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Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863.

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in ästhetischer Beziehung nach Schnaase, III. S. 370 ff., mit grosser Wahrscheinlichkeit angehört; denn der Spitzbogen kommt an den arabischen Bauten in Cairo zum ersten Mal in wiederholter, herkömmlich gewordener Anwendung vor und ist von hier aus vermuthlich durch Vermittelung der sicilianischen Araber im Abendlande bekannt geworden.1) Der Spitzbogen ist bei den Arabern blosse Decoration.2) Wenn man alles über das Aufkommen und die Erfindung des Spitzbogens Gesagte ganz genau erwägt, möchte man sich fast zu der Ansicht bekennen, es sei eigentlich der Spitzbogen, was noch allerdings keineswegs gleichbedeutend ist mit einem förmlichen Spitzbogenstyl und namentlich mit dem gothischen, germanischen oäer deutschen Styl, gleichzeitig und an ganz verschiedenen Orten aufgekommen und nirgends erfunden oder besonders gesucht worden, sondern eben aufgenommen worden, nachdem seine Zeit gekommen war, oder die übrigen baulichen Constructionsweisen auf ihn geleitet hatten. Deshalb ist auch der Spitzbogen in den unterschiedenen Gegenden kein gleichförmiger, sondern ein anderer bei den Arabern zu Cairo, bei den Normannen auf Sicilien, in der Provence,3) in dem Kloster Moissac in Aquitanien,4) in Nordfrankreich und am Rheine, was im Pflanzenreiche und Thierreiche an die sog. generatio aequivoca. d. h. in das Entstehen aus nicht nachweisbarer Fortpflanzung oder Zeugung erinnert. Mit der Erfindung des mittelalterlichen Kirchengewölbbaues befindet man sich in der gleichen Verlegenheit und weiss nicht, ob man ihn der Normandie, den Rheinlanden oder der Lombardei zutheilen müsse. Nachdem einmal ein gewisser Baustyl lebendig in das Leben eingetreten ist, treibt er durch seine eigene Lebenskraft zu seinen weitern Folgen und Ausbildungen fort und die Menschen sind weniger die Erfinder, als die blossen Finder und die weit zerstreuten

1) Vergl. auch Symbolik II. 184.
2) Schnaase, III. S. 445 und IV. 1. S. 289, IV. 2. S. 239 ff.
3) Schnaase, IV. 2. S. 250 unten und S. 256.
4) Schnaase, IV. 2. S. 303.

in ästhetischer Beziehung nach Schnaase, III. S. 370 ff., mit grosser Wahrscheinlichkeit angehört; denn der Spitzbogen kommt an den arabischen Bauten in Cairo zum ersten Mal in wiederholter, herkömmlich gewordener Anwendung vor und ist von hier aus vermuthlich durch Vermittelung der sicilianischen Araber im Abendlande bekannt geworden.1) Der Spitzbogen ist bei den Arabern blosse Decoration.2) Wenn man alles über das Aufkommen und die Erfindung des Spitzbogens Gesagte ganz genau erwägt, möchte man sich fast zu der Ansicht bekennen, es sei eigentlich der Spitzbogen, was noch allerdings keineswegs gleichbedeutend ist mit einem förmlichen Spitzbogenstyl und namentlich mit dem gothischen, germanischen oäer deutschen Styl, gleichzeitig und an ganz verschiedenen Orten aufgekommen und nirgends erfunden oder besonders gesucht worden, sondern eben aufgenommen worden, nachdem seine Zeit gekommen war, oder die übrigen baulichen Constructionsweisen auf ihn geleitet hatten. Deshalb ist auch der Spitzbogen in den unterschiedenen Gegenden kein gleichförmiger, sondern ein anderer bei den Arabern zu Cairo, bei den Normannen auf Sicilien, in der Provence,3) in dem Kloster Moissac in Aquitanien,4) in Nordfrankreich und am Rheine, was im Pflanzenreiche und Thierreiche an die sog. generatio aequivoca. d. h. in das Entstehen aus nicht nachweisbarer Fortpflanzung oder Zeugung erinnert. Mit der Erfindung des mittelalterlichen Kirchengewölbbaues befindet man sich in der gleichen Verlegenheit und weiss nicht, ob man ihn der Normandie, den Rheinlanden oder der Lombardei zutheilen müsse. Nachdem einmal ein gewisser Baustyl lebendig in das Leben eingetreten ist, treibt er durch seine eigene Lebenskraft zu seinen weitern Folgen und Ausbildungen fort und die Menschen sind weniger die Erfinder, als die blossen Finder und die weit zerstreuten

1) Vergl. auch Symbolik II. 184.
2) Schnaase, III. S. 445 und IV. 1. S. 289, IV. 2. S. 239 ff.
3) Schnaase, IV. 2. S. 250 unten und S. 256.
4) Schnaase, IV. 2. S. 303.
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[79/0099] in ästhetischer Beziehung nach Schnaase, III. S. 370 ff., mit grosser Wahrscheinlichkeit angehört; denn der Spitzbogen kommt an den arabischen Bauten in Cairo zum ersten Mal in wiederholter, herkömmlich gewordener Anwendung vor und ist von hier aus vermuthlich durch Vermittelung der sicilianischen Araber im Abendlande bekannt geworden. 1) Der Spitzbogen ist bei den Arabern blosse Decoration. 2) Wenn man alles über das Aufkommen und die Erfindung des Spitzbogens Gesagte ganz genau erwägt, möchte man sich fast zu der Ansicht bekennen, es sei eigentlich der Spitzbogen, was noch allerdings keineswegs gleichbedeutend ist mit einem förmlichen Spitzbogenstyl und namentlich mit dem gothischen, germanischen oäer deutschen Styl, gleichzeitig und an ganz verschiedenen Orten aufgekommen und nirgends erfunden oder besonders gesucht worden, sondern eben aufgenommen worden, nachdem seine Zeit gekommen war, oder die übrigen baulichen Constructionsweisen auf ihn geleitet hatten. Deshalb ist auch der Spitzbogen in den unterschiedenen Gegenden kein gleichförmiger, sondern ein anderer bei den Arabern zu Cairo, bei den Normannen auf Sicilien, in der Provence, 3) in dem Kloster Moissac in Aquitanien, 4) in Nordfrankreich und am Rheine, was im Pflanzenreiche und Thierreiche an die sog. generatio aequivoca. d. h. in das Entstehen aus nicht nachweisbarer Fortpflanzung oder Zeugung erinnert. Mit der Erfindung des mittelalterlichen Kirchengewölbbaues befindet man sich in der gleichen Verlegenheit und weiss nicht, ob man ihn der Normandie, den Rheinlanden oder der Lombardei zutheilen müsse. Nachdem einmal ein gewisser Baustyl lebendig in das Leben eingetreten ist, treibt er durch seine eigene Lebenskraft zu seinen weitern Folgen und Ausbildungen fort und die Menschen sind weniger die Erfinder, als die blossen Finder und die weit zerstreuten 1) Vergl. auch Symbolik II. 184. 2) Schnaase, III. S. 445 und IV. 1. S. 289, IV. 2. S. 239 ff. 3) Schnaase, IV. 2. S. 250 unten und S. 256. 4) Schnaase, IV. 2. S. 303.

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Zitationshilfe: Schauberg, Joseph: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei, Bd. 3. Schaffhausen, 1863, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schauberg_freimaurerei03_1863/99>, abgerufen am 18.05.2024.