Wenn ihn indeß der Schlaf beym Gehn über Land überfällt, so bleibt er nicht stehen, sondern geht fast geschwinder, als wachend fort, ohne des rechten Weges zu verfehlen, oder ohne über et- was im Wege liegendes zu stolpern. Mehr als einmal ging er schlafend nach Naumburg, und wie ihm einst in einer Gasse Bauholz im Wege lag, stieg er ohne allen Anstoß, wie ein Wa- chender, darüber hinweg. Wenn es ihm unter seiner Arbeit im Spinnen anwandelt, spinnt er gleichfalls fort, und macht die Fäden so gut, als wenn er gewacht hätte. Auf einem Ritte nach Weimar fiel er einst bey dem nächsten Dorfe vor Weimar in den Schlaf, ritt aber fort, und traf den Weg auch durch ein klein Gehölz, ohne das Gesicht vom Gesträuche zu verletzen, ritt durch die Jlme, tränkte sein Pferd darin, pfiff demselben dazu, zog die Beine in die Höhe, damit sie nicht naß würden, ritt hernach (noch immer im Schla- fe) über den grade mit Leuten, Buden und Kar- ren ganz erfüllten Markt so glücklich und behut- sam, daß er ohne jemandes Beschädigung vor dem Hause, wohin er gedachte, ankam, wo er abstieg, das Pferd an einen Rinken band, in die Stube und nach wenigen daselbst gespro- chenen Worten unter dem Vorwande heraus- ging, er müsse auf die Hochfürstliche Regie- rung gehen. Er erwachte auch erst, nachdem
er
H
Wenn ihn indeß der Schlaf beym Gehn uͤber Land uͤberfaͤllt, ſo bleibt er nicht ſtehen, ſondern geht faſt geſchwinder, als wachend fort, ohne des rechten Weges zu verfehlen, oder ohne uͤber et- was im Wege liegendes zu ſtolpern. Mehr als einmal ging er ſchlafend nach Naumburg, und wie ihm einſt in einer Gaſſe Bauholz im Wege lag, ſtieg er ohne allen Anſtoß, wie ein Wa- chender, daruͤber hinweg. Wenn es ihm unter ſeiner Arbeit im Spinnen anwandelt, ſpinnt er gleichfalls fort, und macht die Faͤden ſo gut, als wenn er gewacht haͤtte. Auf einem Ritte nach Weimar fiel er einſt bey dem naͤchſten Dorfe vor Weimar in den Schlaf, ritt aber fort, und traf den Weg auch durch ein klein Gehoͤlz, ohne das Geſicht vom Geſtraͤuche zu verletzen, ritt durch die Jlme, traͤnkte ſein Pferd darin, pfiff demſelben dazu, zog die Beine in die Hoͤhe, damit ſie nicht naß wuͤrden, ritt hernach (noch immer im Schla- fe) uͤber den grade mit Leuten, Buden und Kar- ren ganz erfuͤllten Markt ſo gluͤcklich und behut- ſam, daß er ohne jemandes Beſchaͤdigung vor dem Hauſe, wohin er gedachte, ankam, wo er abſtieg, das Pferd an einen Rinken band, in die Stube und nach wenigen daſelbſt geſpro- chenen Worten unter dem Vorwande heraus- ging, er muͤſſe auf die Hochfuͤrſtliche Regie- rung gehen. Er erwachte auch erſt, nachdem
er
H
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0137"n="113"/><p>Wenn ihn indeß der Schlaf beym Gehn uͤber<lb/>
Land uͤberfaͤllt, ſo bleibt er nicht ſtehen, ſondern<lb/>
geht faſt geſchwinder, als wachend fort, ohne des<lb/>
rechten Weges zu verfehlen, oder ohne uͤber et-<lb/>
was im Wege liegendes zu ſtolpern. Mehr als<lb/>
einmal ging er ſchlafend nach Naumburg, und<lb/>
wie ihm einſt in einer Gaſſe Bauholz im Wege<lb/>
lag, ſtieg er ohne allen Anſtoß, wie ein Wa-<lb/>
chender, daruͤber hinweg. Wenn es ihm unter<lb/>ſeiner Arbeit im Spinnen anwandelt, ſpinnt er<lb/>
gleichfalls fort, und macht die Faͤden ſo gut, als<lb/>
wenn er gewacht haͤtte. Auf einem Ritte nach<lb/>
Weimar fiel er einſt bey dem naͤchſten Dorfe vor<lb/>
Weimar in den Schlaf, ritt aber fort, und traf<lb/>
den Weg auch durch ein klein Gehoͤlz, ohne das<lb/>
Geſicht vom Geſtraͤuche zu verletzen, ritt durch die<lb/>
Jlme, traͤnkte ſein Pferd darin, pfiff demſelben<lb/>
dazu, zog die Beine in die Hoͤhe, damit ſie nicht<lb/>
naß wuͤrden, ritt hernach (noch immer im Schla-<lb/>
fe) uͤber den grade mit Leuten, Buden und Kar-<lb/>
ren ganz erfuͤllten Markt ſo gluͤcklich und behut-<lb/>ſam, daß er ohne jemandes Beſchaͤdigung vor<lb/>
dem Hauſe, wohin er gedachte, ankam, wo er<lb/>
abſtieg, das Pferd an einen Rinken band, in<lb/>
die Stube und nach wenigen daſelbſt geſpro-<lb/>
chenen Worten unter dem Vorwande heraus-<lb/>
ging, er muͤſſe auf die Hochfuͤrſtliche Regie-<lb/>
rung gehen. Er erwachte auch erſt, nachdem<lb/><fwplace="bottom"type="sig">H</fw><fwplace="bottom"type="catch">er</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[113/0137]
Wenn ihn indeß der Schlaf beym Gehn uͤber
Land uͤberfaͤllt, ſo bleibt er nicht ſtehen, ſondern
geht faſt geſchwinder, als wachend fort, ohne des
rechten Weges zu verfehlen, oder ohne uͤber et-
was im Wege liegendes zu ſtolpern. Mehr als
einmal ging er ſchlafend nach Naumburg, und
wie ihm einſt in einer Gaſſe Bauholz im Wege
lag, ſtieg er ohne allen Anſtoß, wie ein Wa-
chender, daruͤber hinweg. Wenn es ihm unter
ſeiner Arbeit im Spinnen anwandelt, ſpinnt er
gleichfalls fort, und macht die Faͤden ſo gut, als
wenn er gewacht haͤtte. Auf einem Ritte nach
Weimar fiel er einſt bey dem naͤchſten Dorfe vor
Weimar in den Schlaf, ritt aber fort, und traf
den Weg auch durch ein klein Gehoͤlz, ohne das
Geſicht vom Geſtraͤuche zu verletzen, ritt durch die
Jlme, traͤnkte ſein Pferd darin, pfiff demſelben
dazu, zog die Beine in die Hoͤhe, damit ſie nicht
naß wuͤrden, ritt hernach (noch immer im Schla-
fe) uͤber den grade mit Leuten, Buden und Kar-
ren ganz erfuͤllten Markt ſo gluͤcklich und behut-
ſam, daß er ohne jemandes Beſchaͤdigung vor
dem Hauſe, wohin er gedachte, ankam, wo er
abſtieg, das Pferd an einen Rinken band, in
die Stube und nach wenigen daſelbſt geſpro-
chenen Worten unter dem Vorwande heraus-
ging, er muͤſſe auf die Hochfuͤrſtliche Regie-
rung gehen. Er erwachte auch erſt, nachdem
er
H
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/137>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.