Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite

ihr Haus verschloß, mußte er thun, was ein
Ritter an Kent erzählt:

"Er kämpft mit den erzürnten Elementen,
heißt den Wind die Erde in die See wehen, oder
die gekräuselten Wellen über das feste Land empor
schwellen, damit die Welt anders werde, oder
ganz aufhöre. Er rauft sein weißes Haar, wel-
ches die ungestümen Windstöße mit blinder Wuth
in ihrem Grimm ergreifen und in Nichts verwan-
deln; er bestrebt sich in sich selbst, in seiner innern
Welt, den streitenden Winden und Regen Trotz
zu bieten. Jn dieser Nacht, wo selbst der für
seine Jungen besorgte Bär im Lager bleiben, wo
selbst der Löwe und der ausgehungerte Wolf ihr
Fell gerne trocken behalten würden, rennt er mit
unbedecktem Haupte; und heißt, wer da will,
alles hinnehmen."
*)

Jn dieser Nacht, bey diesem Ungewitter, die-
sem Aufruhr in der Natur, wo keiner, als der
Narr, bey dem vom Gefühl seines Elends, Er-
bitterung auf seine Töchter, Reue über seine thö-
richte Gutwilligkeit, zerrissenen König war, mußte
seine Natur mit starken Schritten sich der Rase-
rey nähern; und so zeigt ihn uns der vortrefliche
Dichter in folgender Rede:

"Blast, ihr Winde, und zersprengt eure
Wangen! wüthet! blast! Jhr Wolkenbrüche
und
*) 3. Aufz. 1. Auftr.

ihr Haus verſchloß, mußte er thun, was ein
Ritter an Kent erzaͤhlt:

„Er kaͤmpft mit den erzuͤrnten Elementen,
heißt den Wind die Erde in die See wehen, oder
die gekraͤuſelten Wellen uͤber das feſte Land empor
ſchwellen, damit die Welt anders werde, oder
ganz aufhoͤre. Er rauft ſein weißes Haar, wel-
ches die ungeſtuͤmen Windſtoͤße mit blinder Wuth
in ihrem Grimm ergreifen und in Nichts verwan-
deln; er beſtrebt ſich in ſich ſelbſt, in ſeiner innern
Welt, den ſtreitenden Winden und Regen Trotz
zu bieten. Jn dieſer Nacht, wo ſelbſt der fuͤr
ſeine Jungen beſorgte Baͤr im Lager bleiben, wo
ſelbſt der Loͤwe und der ausgehungerte Wolf ihr
Fell gerne trocken behalten wuͤrden, rennt er mit
unbedecktem Haupte; und heißt, wer da will,
alles hinnehmen.„
*)

Jn dieſer Nacht, bey dieſem Ungewitter, die-
ſem Aufruhr in der Natur, wo keiner, als der
Narr, bey dem vom Gefuͤhl ſeines Elends, Er-
bitterung auf ſeine Toͤchter, Reue uͤber ſeine thoͤ-
richte Gutwilligkeit, zerriſſenen Koͤnig war, mußte
ſeine Natur mit ſtarken Schritten ſich der Raſe-
rey naͤhern; und ſo zeigt ihn uns der vortrefliche
Dichter in folgender Rede:

„Blaſt, ihr Winde, und zerſprengt eure
Wangen! wuͤthet! blaſt! Jhr Wolkenbruͤche
und
*) 3. Aufz. 1. Auftr.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0224" n="200"/>
ihr Haus ver&#x017F;chloß, mußte er thun, was ein<lb/>
Ritter an Kent erza&#x0364;hlt:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Er ka&#x0364;mpft mit den erzu&#x0364;rnten Elementen,<lb/>
heißt den Wind die Erde in die See wehen, oder<lb/>
die gekra&#x0364;u&#x017F;elten Wellen u&#x0364;ber das fe&#x017F;te Land empor<lb/>
&#x017F;chwellen, damit die Welt anders werde, oder<lb/>
ganz aufho&#x0364;re. Er rauft &#x017F;ein weißes Haar, wel-<lb/>
ches die unge&#x017F;tu&#x0364;men Wind&#x017F;to&#x0364;ße mit blinder Wuth<lb/>
in ihrem Grimm ergreifen und in Nichts verwan-<lb/>
deln; er be&#x017F;trebt &#x017F;ich in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, in &#x017F;einer innern<lb/>
Welt, den &#x017F;treitenden Winden und Regen Trotz<lb/>
zu bieten. Jn die&#x017F;er Nacht, wo &#x017F;elb&#x017F;t der fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;eine Jungen be&#x017F;orgte Ba&#x0364;r im Lager bleiben, wo<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t der Lo&#x0364;we und der ausgehungerte Wolf ihr<lb/>
Fell gerne trocken behalten wu&#x0364;rden, rennt er mit<lb/>
unbedecktem Haupte; und heißt, wer da will,<lb/>
alles hinnehmen.&#x201E;</quote>
          </cit>
          <note place="foot" n="*)">3. Aufz. 1. Auftr.</note><lb/>
          <p>Jn die&#x017F;er Nacht, bey die&#x017F;em Ungewitter, die-<lb/>
&#x017F;em Aufruhr in der Natur, wo keiner, als der<lb/>
Narr, bey dem vom Gefu&#x0364;hl &#x017F;eines Elends, Er-<lb/>
bitterung auf &#x017F;eine To&#x0364;chter, Reue u&#x0364;ber &#x017F;eine tho&#x0364;-<lb/>
richte Gutwilligkeit, zerri&#x017F;&#x017F;enen Ko&#x0364;nig war, mußte<lb/>
&#x017F;eine Natur mit &#x017F;tarken Schritten &#x017F;ich der Ra&#x017F;e-<lb/>
rey na&#x0364;hern; und &#x017F;o zeigt ihn uns der vortrefliche<lb/>
Dichter in folgender Rede:</p><lb/>
          <cit>
            <quote>&#x201E;Bla&#x017F;t, ihr Winde, und zer&#x017F;prengt eure<lb/>
Wangen! wu&#x0364;thet! bla&#x017F;t! Jhr Wolkenbru&#x0364;che<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></quote>
          </cit>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[200/0224] ihr Haus verſchloß, mußte er thun, was ein Ritter an Kent erzaͤhlt: „Er kaͤmpft mit den erzuͤrnten Elementen, heißt den Wind die Erde in die See wehen, oder die gekraͤuſelten Wellen uͤber das feſte Land empor ſchwellen, damit die Welt anders werde, oder ganz aufhoͤre. Er rauft ſein weißes Haar, wel- ches die ungeſtuͤmen Windſtoͤße mit blinder Wuth in ihrem Grimm ergreifen und in Nichts verwan- deln; er beſtrebt ſich in ſich ſelbſt, in ſeiner innern Welt, den ſtreitenden Winden und Regen Trotz zu bieten. Jn dieſer Nacht, wo ſelbſt der fuͤr ſeine Jungen beſorgte Baͤr im Lager bleiben, wo ſelbſt der Loͤwe und der ausgehungerte Wolf ihr Fell gerne trocken behalten wuͤrden, rennt er mit unbedecktem Haupte; und heißt, wer da will, alles hinnehmen.„ *) Jn dieſer Nacht, bey dieſem Ungewitter, die- ſem Aufruhr in der Natur, wo keiner, als der Narr, bey dem vom Gefuͤhl ſeines Elends, Er- bitterung auf ſeine Toͤchter, Reue uͤber ſeine thoͤ- richte Gutwilligkeit, zerriſſenen Koͤnig war, mußte ſeine Natur mit ſtarken Schritten ſich der Raſe- rey naͤhern; und ſo zeigt ihn uns der vortrefliche Dichter in folgender Rede: „Blaſt, ihr Winde, und zerſprengt eure Wangen! wuͤthet! blaſt! Jhr Wolkenbruͤche und *) 3. Aufz. 1. Auftr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/224
Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 200. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/224>, abgerufen am 04.12.2024.