Jch hatte mich bis zur völligen Beendigung der Gottesverehrung vergessen. Jtzt ward ich aber durch Kopfweh und Angängen von Schwin- del wieder an mich erinnert. Die Dünste, wel- che aus den Gefangenstuben, die zu beyden Sei- ten der Kirche, zum Theil hart an derselben liegen, in die Kirche zogen, vermischt mit dem Dampf des Räucherwerks, der sie vernichten sollte, waren die Ursachen dieser unangenehmen Empfindungen.
Nun suchten wir einen von den Aufsehern des Hauses, der uns durch die Wohnungen der Vernunftberaubten führen sollte, auf. Jch er- wartete einen finstern, mit Menschenfeindschaft gezeichneten Mann -- aber leicht ward mein Herz, als ich einen Menschen mit freundlicher und bie- drer Mine sich erbieten sah, uns zu führen. Jch werde Jhnen, liebster B., die Bedienten dieses Hauses am Schluß meiner Erzählung, so weit ich sie selbst oder durch meine Freunde habe ken- nen lernen, noch genauer schildern; hier bemerke ich nur überhaupt, daß ich die Personen, deren Köpfe, Herzen oder Händen dies Haus mit seiner Familie anvertrauet ist, menschenfreundlicher ge- funden habe, als sie zu seyn pflegen, und in eini- gen Häusern ähnlicher Art in unserm lieben Deutsch- land sind. Man sollte die allermenschenfreund- lichsten zu solchen Aemtern aufsuchen; denn wo
ist
O 3
Jch hatte mich bis zur voͤlligen Beendigung der Gottesverehrung vergeſſen. Jtzt ward ich aber durch Kopfweh und Angaͤngen von Schwin- del wieder an mich erinnert. Die Duͤnſte, wel- che aus den Gefangenſtuben, die zu beyden Sei- ten der Kirche, zum Theil hart an derſelben liegen, in die Kirche zogen, vermiſcht mit dem Dampf des Raͤucherwerks, der ſie vernichten ſollte, waren die Urſachen dieſer unangenehmen Empfindungen.
Nun ſuchten wir einen von den Aufſehern des Hauſes, der uns durch die Wohnungen der Vernunftberaubten fuͤhren ſollte, auf. Jch er- wartete einen finſtern, mit Menſchenfeindſchaft gezeichneten Mann — aber leicht ward mein Herz, als ich einen Menſchen mit freundlicher und bie- drer Mine ſich erbieten ſah, uns zu fuͤhren. Jch werde Jhnen, liebſter B., die Bedienten dieſes Hauſes am Schluß meiner Erzaͤhlung, ſo weit ich ſie ſelbſt oder durch meine Freunde habe ken- nen lernen, noch genauer ſchildern; hier bemerke ich nur uͤberhaupt, daß ich die Perſonen, deren Koͤpfe, Herzen oder Haͤnden dies Haus mit ſeiner Familie anvertrauet iſt, menſchenfreundlicher ge- funden habe, als ſie zu ſeyn pflegen, und in eini- gen Haͤuſern aͤhnlicher Art in unſerm lieben Deutſch- land ſind. Man ſollte die allermenſchenfreund- lichſten zu ſolchen Aemtern aufſuchen; denn wo
iſt
O 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><floatingText><body><divtype="letter"><pbfacs="#f0237"n="213"/><p>Jch hatte mich bis zur voͤlligen Beendigung<lb/>
der Gottesverehrung vergeſſen. Jtzt ward ich<lb/>
aber durch Kopfweh und Angaͤngen von Schwin-<lb/>
del wieder an mich erinnert. Die Duͤnſte, wel-<lb/>
che aus den Gefangenſtuben, die zu beyden Sei-<lb/>
ten der Kirche, zum Theil hart an derſelben liegen,<lb/>
in die Kirche zogen, vermiſcht mit dem Dampf<lb/>
des Raͤucherwerks, der ſie vernichten ſollte, waren<lb/>
die Urſachen dieſer unangenehmen Empfindungen.</p><lb/><p>Nun ſuchten wir einen von den Aufſehern<lb/>
des Hauſes, der uns durch die Wohnungen der<lb/>
Vernunftberaubten fuͤhren ſollte, auf. Jch er-<lb/>
wartete einen finſtern, mit Menſchenfeindſchaft<lb/>
gezeichneten Mann — aber leicht ward mein Herz,<lb/>
als ich einen Menſchen mit freundlicher und bie-<lb/>
drer Mine ſich erbieten ſah, uns zu fuͤhren. Jch<lb/>
werde Jhnen, liebſter B., die Bedienten dieſes<lb/>
Hauſes am Schluß meiner Erzaͤhlung, ſo weit<lb/>
ich ſie ſelbſt oder durch meine Freunde habe ken-<lb/>
nen lernen, noch genauer ſchildern; hier bemerke<lb/>
ich nur uͤberhaupt, daß ich die Perſonen, deren<lb/>
Koͤpfe, Herzen oder Haͤnden dies Haus mit ſeiner<lb/>
Familie anvertrauet iſt, menſchenfreundlicher ge-<lb/>
funden habe, als ſie zu ſeyn pflegen, und in eini-<lb/>
gen Haͤuſern aͤhnlicher Art in unſerm lieben Deutſch-<lb/>
land ſind. Man ſollte die allermenſchenfreund-<lb/>
lichſten zu ſolchen Aemtern aufſuchen; denn wo<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 3</fw><fwplace="bottom"type="catch">iſt</fw><lb/></p></div></body></floatingText></div></div></body></text></TEI>
[213/0237]
Jch hatte mich bis zur voͤlligen Beendigung
der Gottesverehrung vergeſſen. Jtzt ward ich
aber durch Kopfweh und Angaͤngen von Schwin-
del wieder an mich erinnert. Die Duͤnſte, wel-
che aus den Gefangenſtuben, die zu beyden Sei-
ten der Kirche, zum Theil hart an derſelben liegen,
in die Kirche zogen, vermiſcht mit dem Dampf
des Raͤucherwerks, der ſie vernichten ſollte, waren
die Urſachen dieſer unangenehmen Empfindungen.
Nun ſuchten wir einen von den Aufſehern
des Hauſes, der uns durch die Wohnungen der
Vernunftberaubten fuͤhren ſollte, auf. Jch er-
wartete einen finſtern, mit Menſchenfeindſchaft
gezeichneten Mann — aber leicht ward mein Herz,
als ich einen Menſchen mit freundlicher und bie-
drer Mine ſich erbieten ſah, uns zu fuͤhren. Jch
werde Jhnen, liebſter B., die Bedienten dieſes
Hauſes am Schluß meiner Erzaͤhlung, ſo weit
ich ſie ſelbſt oder durch meine Freunde habe ken-
nen lernen, noch genauer ſchildern; hier bemerke
ich nur uͤberhaupt, daß ich die Perſonen, deren
Koͤpfe, Herzen oder Haͤnden dies Haus mit ſeiner
Familie anvertrauet iſt, menſchenfreundlicher ge-
funden habe, als ſie zu ſeyn pflegen, und in eini-
gen Haͤuſern aͤhnlicher Art in unſerm lieben Deutſch-
land ſind. Man ſollte die allermenſchenfreund-
lichſten zu ſolchen Aemtern aufſuchen; denn wo
iſt
O 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/237>, abgerufen am 30.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.