zwar leuchtend gleich der Sonne sah. Jhr Herz schien ihr da, wie ein Stäublein, welches in die- sen Feuerofen versenkt wurde. Endlich zog er es ganz entzündet hervor, legte es wieder in ihre Seite, und sprach dabey: Da hast du, Geliebte, ein kostbares Pfand meiner Liebe. Heiße von nun an die geliebte Schülerin meines Herzens.
Natürliche Neigung und Abneigung hält ein solcher Schwärmer für Sünde, weil er glaubt, ein Liebling der Gottheit, der sich ihr nähern wol- le, müsse ganz das Gefühl, daß er ein Mensch sey, verderben. Daher ist der Kampf wider ihr Fleisch ihr beständiges Geschäft, und sie üben manche Grausamkeit gegen sich selbst aus, um in diesem Kampf zu bestehen. Die vorhingenannte Margaretha hatte einen heftigen Abscheu gegen alles, was Käse hieß: sie glaubte indeß, sie müsse denselben, als eine Braut des Herrn, überwin- den; zwang sich, ihn zu essen, und, ob sie im Anfange gleich oft in Gefahr war, bey ihren Versuchen in Ohnmacht zu fallen, und sich ihre Natur gewaltig widersetzte, brachte sie es doch endlich dahin, daß ihr Aberglaube die Natur über- wand. -- Auch die Regungen des edlen Ge- fühls, der Schamhaftigkeit, Sympathie u. s. w. waren von manchem Schwärmer der frühern und spätern Jahrhunderte mit in dem Gebote begrif- fen: Lerne die Kunst, über deine Natur zu siegen.
Zim-
zwar leuchtend gleich der Sonne ſah. Jhr Herz ſchien ihr da, wie ein Staͤublein, welches in die- ſen Feuerofen verſenkt wurde. Endlich zog er es ganz entzuͤndet hervor, legte es wieder in ihre Seite, und ſprach dabey: Da haſt du, Geliebte, ein koſtbares Pfand meiner Liebe. Heiße von nun an die geliebte Schuͤlerin meines Herzens.
Natuͤrliche Neigung und Abneigung haͤlt ein ſolcher Schwaͤrmer fuͤr Suͤnde, weil er glaubt, ein Liebling der Gottheit, der ſich ihr naͤhern wol- le, muͤſſe ganz das Gefuͤhl, daß er ein Menſch ſey, verderben. Daher iſt der Kampf wider ihr Fleiſch ihr beſtaͤndiges Geſchaͤft, und ſie uͤben manche Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt aus, um in dieſem Kampf zu beſtehen. Die vorhingenannte Margaretha hatte einen heftigen Abſcheu gegen alles, was Kaͤſe hieß: ſie glaubte indeß, ſie muͤſſe denſelben, als eine Braut des Herrn, uͤberwin- den; zwang ſich, ihn zu eſſen, und, ob ſie im Anfange gleich oft in Gefahr war, bey ihren Verſuchen in Ohnmacht zu fallen, und ſich ihre Natur gewaltig widerſetzte, brachte ſie es doch endlich dahin, daß ihr Aberglaube die Natur uͤber- wand. — Auch die Regungen des edlen Ge- fuͤhls, der Schamhaftigkeit, Sympathie u. ſ. w. waren von manchem Schwaͤrmer der fruͤhern und ſpaͤtern Jahrhunderte mit in dem Gebote begrif- fen: Lerne die Kunſt, uͤber deine Natur zu ſiegen.
Zim-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0280"n="256"/>
zwar leuchtend gleich der Sonne ſah. Jhr Herz<lb/>ſchien ihr da, wie ein Staͤublein, welches in die-<lb/>ſen Feuerofen verſenkt wurde. Endlich zog er es<lb/>
ganz entzuͤndet hervor, legte es wieder in ihre<lb/>
Seite, und ſprach dabey: Da haſt du, Geliebte,<lb/>
ein koſtbares Pfand meiner Liebe. Heiße von<lb/>
nun an die geliebte Schuͤlerin meines Herzens.</p><lb/><p>Natuͤrliche Neigung und Abneigung haͤlt ein<lb/>ſolcher Schwaͤrmer fuͤr Suͤnde, weil er glaubt,<lb/>
ein Liebling der Gottheit, der ſich ihr naͤhern wol-<lb/>
le, muͤſſe ganz das Gefuͤhl, daß er ein Menſch<lb/>ſey, verderben. Daher iſt der Kampf wider ihr<lb/>
Fleiſch ihr beſtaͤndiges Geſchaͤft, und ſie uͤben<lb/>
manche Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt aus, um in<lb/>
dieſem Kampf zu beſtehen. Die vorhingenannte<lb/>
Margaretha hatte einen heftigen Abſcheu gegen<lb/>
alles, was Kaͤſe hieß: ſie glaubte indeß, ſie muͤſſe<lb/>
denſelben, als eine Braut des Herrn, uͤberwin-<lb/>
den; zwang ſich, ihn zu eſſen, und, ob ſie im<lb/>
Anfange gleich oft in Gefahr war, bey ihren<lb/>
Verſuchen in Ohnmacht zu fallen, und ſich ihre<lb/>
Natur gewaltig widerſetzte, brachte ſie es doch<lb/>
endlich dahin, daß ihr Aberglaube die Natur uͤber-<lb/>
wand. — Auch die Regungen des edlen Ge-<lb/>
fuͤhls, der Schamhaftigkeit, Sympathie u. ſ. w.<lb/>
waren von manchem Schwaͤrmer der fruͤhern und<lb/>ſpaͤtern Jahrhunderte mit in dem Gebote begrif-<lb/>
fen: Lerne die Kunſt, uͤber deine Natur zu ſiegen.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Zim-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[256/0280]
zwar leuchtend gleich der Sonne ſah. Jhr Herz
ſchien ihr da, wie ein Staͤublein, welches in die-
ſen Feuerofen verſenkt wurde. Endlich zog er es
ganz entzuͤndet hervor, legte es wieder in ihre
Seite, und ſprach dabey: Da haſt du, Geliebte,
ein koſtbares Pfand meiner Liebe. Heiße von
nun an die geliebte Schuͤlerin meines Herzens.
Natuͤrliche Neigung und Abneigung haͤlt ein
ſolcher Schwaͤrmer fuͤr Suͤnde, weil er glaubt,
ein Liebling der Gottheit, der ſich ihr naͤhern wol-
le, muͤſſe ganz das Gefuͤhl, daß er ein Menſch
ſey, verderben. Daher iſt der Kampf wider ihr
Fleiſch ihr beſtaͤndiges Geſchaͤft, und ſie uͤben
manche Grauſamkeit gegen ſich ſelbſt aus, um in
dieſem Kampf zu beſtehen. Die vorhingenannte
Margaretha hatte einen heftigen Abſcheu gegen
alles, was Kaͤſe hieß: ſie glaubte indeß, ſie muͤſſe
denſelben, als eine Braut des Herrn, uͤberwin-
den; zwang ſich, ihn zu eſſen, und, ob ſie im
Anfange gleich oft in Gefahr war, bey ihren
Verſuchen in Ohnmacht zu fallen, und ſich ihre
Natur gewaltig widerſetzte, brachte ſie es doch
endlich dahin, daß ihr Aberglaube die Natur uͤber-
wand. — Auch die Regungen des edlen Ge-
fuͤhls, der Schamhaftigkeit, Sympathie u. ſ. w.
waren von manchem Schwaͤrmer der fruͤhern und
ſpaͤtern Jahrhunderte mit in dem Gebote begrif-
fen: Lerne die Kunſt, uͤber deine Natur zu ſiegen.
Zim-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/280>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.