auf der 22sten Seite des angeführten Buches, wie mich dünkt, sehr scharfsinnig und sinnreich folgendermaßen: "Alles Nachsinnen erfodert die Vermittlung der Zeichen für die zu erweckenden Jdeen, um in deren Begleitung und Unterstützung denselben den erfoderlichen Grad der Klarheit zu geben. Die Zeichen unsrer Vorstellungen aber sind vornehmlich solche, die entweder durchs Ge- hör oder das Gesicht empfangen sind, welche beyde Sinne durch die Eindrücke im Gehirn bewegt werden, indem ihre Organe auch diesem Theile am nächsten liegen. Wenn nun die Erweckung dieser Zeichen, welche Cartesius ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu ei- ner ähnlichen Bewegung mit derjenigen ist, wel- che die Empfindung ehedem hervorbrachte, so wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornemlich genöthiget werden mit vormaligen Ein- drücken harmonisch zu beben und dadurch ermüdet zu werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll ist, so empfindet man nicht allein An- strengungen des Gehirnes, sondern zugleich An- griffe der reizbaren Theile, welche sonst mit den Vorstellungen der in Leidenschaft versetzten Seele in Sympathie stehen."
Ob wir nun aber gleich die Seele nicht in das Gehirn, wie die Spinne in den Mittelpunkt ihres Gewebes einschließen dürfen; so müssen wir
doch
auf der 22ſten Seite des angefuͤhrten Buches, wie mich duͤnkt, ſehr ſcharfſinnig und ſinnreich folgendermaßen: „Alles Nachſinnen erfodert die Vermittlung der Zeichen fuͤr die zu erweckenden Jdeen, um in deren Begleitung und Unterſtuͤtzung denſelben den erfoderlichen Grad der Klarheit zu geben. Die Zeichen unſrer Vorſtellungen aber ſind vornehmlich ſolche, die entweder durchs Ge- hoͤr oder das Geſicht empfangen ſind, welche beyde Sinne durch die Eindruͤcke im Gehirn bewegt werden, indem ihre Organe auch dieſem Theile am naͤchſten liegen. Wenn nun die Erweckung dieſer Zeichen, welche Carteſius ideas materiales nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu ei- ner aͤhnlichen Bewegung mit derjenigen iſt, wel- che die Empfindung ehedem hervorbrachte, ſo wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken vornemlich genoͤthiget werden mit vormaligen Ein- druͤcken harmoniſch zu beben und dadurch ermuͤdet zu werden. Denn wenn das Denken zugleich affektvoll iſt, ſo empfindet man nicht allein An- ſtrengungen des Gehirnes, ſondern zugleich An- griffe der reizbaren Theile, welche ſonſt mit den Vorſtellungen der in Leidenſchaft verſetzten Seele in Sympathie ſtehen.„
Ob wir nun aber gleich die Seele nicht in das Gehirn, wie die Spinne in den Mittelpunkt ihres Gewebes einſchließen duͤrfen; ſo muͤſſen wir
doch
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auf der 22ſten Seite des angefuͤhrten Buches,
wie mich duͤnkt, ſehr ſcharfſinnig und ſinnreich
folgendermaßen: „Alles Nachſinnen erfodert die
Vermittlung der Zeichen fuͤr die zu erweckenden
Jdeen, um in deren Begleitung und Unterſtuͤtzung
denſelben den erfoderlichen Grad der Klarheit zu
geben. Die Zeichen unſrer Vorſtellungen aber
ſind vornehmlich ſolche, die entweder durchs Ge-
hoͤr oder das Geſicht empfangen ſind, welche beyde
Sinne durch die Eindruͤcke im Gehirn bewegt
werden, indem ihre Organe auch dieſem Theile
am naͤchſten liegen. Wenn nun die Erweckung
dieſer Zeichen, welche Carteſius ideas materiales
nennt, eigentlich eine Reizung der Nerven zu ei-
ner aͤhnlichen Bewegung mit derjenigen iſt, wel-
che die Empfindung ehedem hervorbrachte, ſo
wird das Gewebe des Gehirns im Nachdenken
vornemlich genoͤthiget werden mit vormaligen Ein-
druͤcken harmoniſch zu beben und dadurch ermuͤdet
zu werden. Denn wenn das Denken zugleich
affektvoll iſt, ſo empfindet man nicht allein An-
ſtrengungen des Gehirnes, ſondern zugleich An-
griffe der reizbaren Theile, welche ſonſt mit den
Vorſtellungen der in Leidenſchaft verſetzten Seele
in Sympathie ſtehen.„
Ob wir nun aber gleich die Seele nicht in
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 1. Halle, 1791, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche01_1791/35>, abgerufen am 21.11.2024.
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