gien über dies Thema zu singen und zu seufzen, oder die Gebrechen und Fehler Andrer aufzusu- chen, und mit schwarzen Farben zu bestreichen, um recht von Herzen in den Ausruf ausbrechen zu können: Jch danke dir, Gott, daß ich nicht bin, wie dieser.
Keiner versteht die Künste der Heucheley bes- ser, wie der Moralischstolze -- nur müssen sie nicht eine Aufopferung seiner heimlichen Neigun- gen erfordern, denn da wird er sich wenigstens nicht lange verbergen können. Er ist wohlthätig, nur muß es ihm nichts kosten: er ist leutselig, nur muß ihn niemand aus seiner Fassung bringen: er ist demüthig, nur muß man ihm schmeicheln: er ist von Herzen sanftmüthig, nur muß man sich in seinen Willen ergeben. Man frage seine Haus- genossen, seine Kinder, sein Gesinde, und man wird erfahren, daß er ein Muster aller menschli- chen und göttlichen Tugenden ist, so lange er be- tet und predigt; und diesen Character nur dann ablegt, wenn er handelt.
So mancherley äußere Verhältnisse es giebt; so mancherley Arten des Verhältniß-Stolzes. Es stechen indeß von den unter diese Rubrik ge- hörigen Arten der Adelstolz, Geldstolz und der geistliche Stolz vorzüglich hervor, und sind am meisten charakteristisch.
Da
gien uͤber dies Thema zu ſingen und zu ſeufzen, oder die Gebrechen und Fehler Andrer aufzuſu- chen, und mit ſchwarzen Farben zu beſtreichen, um recht von Herzen in den Ausruf ausbrechen zu koͤnnen: Jch danke dir, Gott, daß ich nicht bin, wie dieſer.
Keiner verſteht die Kuͤnſte der Heucheley beſ- ſer, wie der Moraliſchſtolze — nur muͤſſen ſie nicht eine Aufopferung ſeiner heimlichen Neigun- gen erfordern, denn da wird er ſich wenigſtens nicht lange verbergen koͤnnen. Er iſt wohlthaͤtig, nur muß es ihm nichts koſten: er iſt leutſelig, nur muß ihn niemand aus ſeiner Faſſung bringen: er iſt demuͤthig, nur muß man ihm ſchmeicheln: er iſt von Herzen ſanftmuͤthig, nur muß man ſich in ſeinen Willen ergeben. Man frage ſeine Haus- genoſſen, ſeine Kinder, ſein Geſinde, und man wird erfahren, daß er ein Muſter aller menſchli- chen und goͤttlichen Tugenden iſt, ſo lange er be- tet und predigt; und dieſen Character nur dann ablegt, wenn er handelt.
So mancherley aͤußere Verhaͤltniſſe es giebt; ſo mancherley Arten des Verhaͤltniß-Stolzes. Es ſtechen indeß von den unter dieſe Rubrik ge- hoͤrigen Arten der Adelſtolz, Geldſtolz und der geiſtliche Stolz vorzuͤglich hervor, und ſind am meiſten charakteriſtiſch.
Da
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gien uͤber dies Thema zu ſingen und zu ſeufzen,
oder die Gebrechen und Fehler Andrer aufzuſu-
chen, und mit ſchwarzen Farben zu beſtreichen,
um recht von Herzen in den Ausruf ausbrechen
zu koͤnnen: Jch danke dir, Gott, daß ich
nicht bin, wie dieſer.
Keiner verſteht die Kuͤnſte der Heucheley beſ-
ſer, wie der Moraliſchſtolze — nur muͤſſen ſie
nicht eine Aufopferung ſeiner heimlichen Neigun-
gen erfordern, denn da wird er ſich wenigſtens
nicht lange verbergen koͤnnen. Er iſt wohlthaͤtig,
nur muß es ihm nichts koſten: er iſt leutſelig, nur
muß ihn niemand aus ſeiner Faſſung bringen: er
iſt demuͤthig, nur muß man ihm ſchmeicheln: er
iſt von Herzen ſanftmuͤthig, nur muß man ſich in
ſeinen Willen ergeben. Man frage ſeine Haus-
genoſſen, ſeine Kinder, ſein Geſinde, und man
wird erfahren, daß er ein Muſter aller menſchli-
chen und goͤttlichen Tugenden iſt, ſo lange er be-
tet und predigt; und dieſen Character nur dann
ablegt, wenn er handelt.
So mancherley aͤußere Verhaͤltniſſe es giebt;
ſo mancherley Arten des Verhaͤltniß-Stolzes.
Es ſtechen indeß von den unter dieſe Rubrik ge-
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geiſtliche Stolz vorzuͤglich hervor, und ſind am
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/154>, abgerufen am 21.11.2024.
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