Jn den Meynungen des Geldstolzen gelten die Menschen so viel, als das Kapital, welches sie besitzen. Gegen Andre, äußere oder innere Vorzüge, sind sie gefühllos; diejenigen ausge- nommen, welche nur aus einem schweren Geld- kasten entspringen können, als da sind, eine fette Tafel, schwerbesetzte Kleider, wohlgemästetes Vieh und kostbare Entreprisen. Sie urtheilen sehr niedrig von denen, die vornehmer, als sie sind, und nehmen eine sehr mitleidige Mine an, wenn von Personen die Rede ist, deren Vorzüge in Geistesvollkommenheiten und Gelehrsam- keit bestehen. Nur dann halten sie Adel und Gelehrsamkeit für wichtig, wenn sie mit Reich- thum verknüpft sind. Sie sind verschwende- risch, wenn sie gesehen werden, und vornehm- lich in den Fällen, wo es ihnen niemand gleich thun kann; aber karg, wenn sie nicht gesehen werden, und wo sie geben müssen, und geizig gegen niedere Personen. Jeder Aufwand, den sie gemacht, jeder Schaden, den sie gelitten, je- des Allmosen, das sie gegeben haben, wird mit selbstgefälliger Prahlerey jedermann verkündigt. Wer ihrer bedarf, hoffe nicht auf ihr Pflichtge- fühl; sondern reize ihren Stolz und preise ihr goldenes Glück, so wird er seinen Zweck errei- chen. Auf ihren Minen ruht die ganze Arith- metik; ihre Rechnungsbücher sind ihre angenehm-
ste
Jn den Meynungen des Geldſtolzen gelten die Menſchen ſo viel, als das Kapital, welches ſie beſitzen. Gegen Andre, aͤußere oder innere Vorzuͤge, ſind ſie gefuͤhllos; diejenigen ausge- nommen, welche nur aus einem ſchweren Geld- kaſten entſpringen koͤnnen, als da ſind, eine fette Tafel, ſchwerbeſetzte Kleider, wohlgemaͤſtetes Vieh und koſtbare Entrepriſen. Sie urtheilen ſehr niedrig von denen, die vornehmer, als ſie ſind, und nehmen eine ſehr mitleidige Mine an, wenn von Perſonen die Rede iſt, deren Vorzuͤge in Geiſtesvollkommenheiten und Gelehrſam- keit beſtehen. Nur dann halten ſie Adel und Gelehrſamkeit fuͤr wichtig, wenn ſie mit Reich- thum verknuͤpft ſind. Sie ſind verſchwende- riſch, wenn ſie geſehen werden, und vornehm- lich in den Faͤllen, wo es ihnen niemand gleich thun kann; aber karg, wenn ſie nicht geſehen werden, und wo ſie geben muͤſſen, und geizig gegen niedere Perſonen. Jeder Aufwand, den ſie gemacht, jeder Schaden, den ſie gelitten, je- des Allmoſen, das ſie gegeben haben, wird mit ſelbſtgefaͤlliger Prahlerey jedermann verkuͤndigt. Wer ihrer bedarf, hoffe nicht auf ihr Pflichtge- fuͤhl; ſondern reize ihren Stolz und preiſe ihr goldenes Gluͤck, ſo wird er ſeinen Zweck errei- chen. Auf ihren Minen ruht die ganze Arith- metik; ihre Rechnungsbuͤcher ſind ihre angenehm-
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Jn den Meynungen des Geldſtolzen gelten
die Menſchen ſo viel, als das Kapital, welches
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Vorzuͤge, ſind ſie gefuͤhllos; diejenigen ausge-
nommen, welche nur aus einem ſchweren Geld-
kaſten entſpringen koͤnnen, als da ſind, eine fette
Tafel, ſchwerbeſetzte Kleider, wohlgemaͤſtetes
Vieh und koſtbare Entrepriſen. Sie urtheilen
ſehr niedrig von denen, die vornehmer, als ſie
ſind, und nehmen eine ſehr mitleidige Mine an,
wenn von Perſonen die Rede iſt, deren Vorzuͤge
in Geiſtesvollkommenheiten und Gelehrſam-
keit beſtehen. Nur dann halten ſie Adel und
Gelehrſamkeit fuͤr wichtig, wenn ſie mit Reich-
thum verknuͤpft ſind. Sie ſind verſchwende-
riſch, wenn ſie geſehen werden, und vornehm-
lich in den Faͤllen, wo es ihnen niemand gleich
thun kann; aber karg, wenn ſie nicht geſehen
werden, und wo ſie geben muͤſſen, und geizig
gegen niedere Perſonen. Jeder Aufwand, den
ſie gemacht, jeder Schaden, den ſie gelitten, je-
des Allmoſen, das ſie gegeben haben, wird mit
ſelbſtgefaͤlliger Prahlerey jedermann verkuͤndigt.
Wer ihrer bedarf, hoffe nicht auf ihr Pflichtge-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 442. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/158>, abgerufen am 21.11.2024.
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