abstrakte Jdeen, welche ich in gar keiner Bezie- hung auf meinen fühlbaren Zustand gedenke, lassen es unbewegt.
Es war und ist nicht die Jdee Freyheit, wel- che Griechen, Römer und Franzosen in Bewe- gung setzt; diese Wirkung gehört den vorgestellten Folgen eines Zustandes, wo die Thätigkeit unein- geschränkt wäre, an -- der vorgestellten Ehre, dem gehoften Reichthum, dem gewünschten Wohl- leben.
Die Vorstellung von einem noch entfernten Gegenstand, greift gar nicht oder sehr matt in das Gefühl; indeß die von einem nahen es stark be- wegt. Man erinnre den Wollüstling noch so oft und so viel, daß er sich den Weg zum Tode verkürze -- dies rührt ihn nicht! Er hängt zu fest in den Armen der Wollust; wünscht, durch nichts aus denselben gerissen zu werden; drum rückt er sich den Tod, den man ihm vorstellt, noch weit aus den Augen, und glaubt, vor einem Feinde, den er nicht sieht, auch wirklich sicher zu seyn.
Stellt eine entfernte und gegenwärtige Freu- de zusammen, laßt jene viel größer, als diese seyn; der größte Theil der Menschen wird von dieser doch mehr bewegt werden, als von jener, weil er diese itzt haben soll, und gewiß ist, daß sie ihm nicht wieder entzogen, oder an ihrer Stelle eine
andre
abſtrakte Jdeen, welche ich in gar keiner Bezie- hung auf meinen fuͤhlbaren Zuſtand gedenke, laſſen es unbewegt.
Es war und iſt nicht die Jdee Freyheit, wel- che Griechen, Roͤmer und Franzoſen in Bewe- gung ſetzt; dieſe Wirkung gehoͤrt den vorgeſtellten Folgen eines Zuſtandes, wo die Thaͤtigkeit unein- geſchraͤnkt waͤre, an — der vorgeſtellten Ehre, dem gehoften Reichthum, dem gewuͤnſchten Wohl- leben.
Die Vorſtellung von einem noch entfernten Gegenſtand, greift gar nicht oder ſehr matt in das Gefuͤhl; indeß die von einem nahen es ſtark be- wegt. Man erinnre den Wolluͤſtling noch ſo oft und ſo viel, daß er ſich den Weg zum Tode verkuͤrze — dies ruͤhrt ihn nicht! Er haͤngt zu feſt in den Armen der Wolluſt; wuͤnſcht, durch nichts aus denſelben geriſſen zu werden; drum ruͤckt er ſich den Tod, den man ihm vorſtellt, noch weit aus den Augen, und glaubt, vor einem Feinde, den er nicht ſieht, auch wirklich ſicher zu ſeyn.
Stellt eine entfernte und gegenwaͤrtige Freu- de zuſammen, laßt jene viel groͤßer, als dieſe ſeyn; der groͤßte Theil der Menſchen wird von dieſer doch mehr bewegt werden, als von jener, weil er dieſe itzt haben ſoll, und gewiß iſt, daß ſie ihm nicht wieder entzogen, oder an ihrer Stelle eine
andre
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[301/0017]
abſtrakte Jdeen, welche ich in gar keiner Bezie-
hung auf meinen fuͤhlbaren Zuſtand gedenke,
laſſen es unbewegt.
Es war und iſt nicht die Jdee Freyheit, wel-
che Griechen, Roͤmer und Franzoſen in Bewe-
gung ſetzt; dieſe Wirkung gehoͤrt den vorgeſtellten
Folgen eines Zuſtandes, wo die Thaͤtigkeit unein-
geſchraͤnkt waͤre, an — der vorgeſtellten Ehre, dem
gehoften Reichthum, dem gewuͤnſchten Wohl-
leben.
Die Vorſtellung von einem noch entfernten
Gegenſtand, greift gar nicht oder ſehr matt in das
Gefuͤhl; indeß die von einem nahen es ſtark be-
wegt. Man erinnre den Wolluͤſtling noch ſo
oft und ſo viel, daß er ſich den Weg zum Tode
verkuͤrze — dies ruͤhrt ihn nicht! Er haͤngt zu
feſt in den Armen der Wolluſt; wuͤnſcht, durch
nichts aus denſelben geriſſen zu werden; drum
ruͤckt er ſich den Tod, den man ihm vorſtellt, noch
weit aus den Augen, und glaubt, vor einem
Feinde, den er nicht ſieht, auch wirklich ſicher
zu ſeyn.
Stellt eine entfernte und gegenwaͤrtige Freu-
de zuſammen, laßt jene viel groͤßer, als dieſe ſeyn;
der groͤßte Theil der Menſchen wird von dieſer
doch mehr bewegt werden, als von jener, weil
er dieſe itzt haben ſoll, und gewiß iſt, daß ſie ihm
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 301. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/17>, abgerufen am 21.11.2024.
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