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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.

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freut sich nicht mit dem edlen Wohlthäter, dem
unschuldigen Kinde, der belohnten Tugend? --

Das Gesetz der Reinheit des Ausdrucks reicht
indeß allein nicht hin, den Grad der Stärke des
Mitgefühls zu erklären: es muß hiebey auch auf
die Verbindung des Objektes mit dem sympathi-
sirenden Rücksicht genommen werden.

Je mehr etwas mit uns übereinstimmt, je
ähnlicher es uns in jeder Hinsicht ist, desto stär-
ker werden die Zustände desselben unser Herz affi-
ciren*). Jedes Alter sympathisirt am lebhafte-
sten mit dem seinigen, Geschlecht mit Geschlecht,
der Freund mit dem Freunde.

Süße Freuden gewährt das Mitgefühl, dem,
für welchen es sich regt. Es erhöht seine Freuden,
und mildert seine Leiden; denn es überzeugt ihn,
daß er in den Augen Anderer einen Werth hat,
daß er geliebt wird, und auf Hülfe, wenn er ihrer
bedarf, rechnen kann. Aber auch denen, welche
sie fühlen, giebt die Sympathie einen süßen Ge-
nuß; und nicht nur die Sympathie der Freude,
auch das Mitleiden ist kein durchaus unangeneh-
mes Gefühl.

Fragt nur Euer Herz, Jhr, die Jhr des
Mitleidens fähig seyd, wenn es um Euren un-

glück-
*) Nathan der Weise sagt daher sehr wahr:
-- -- -- dem Menschen ist
Ein Mensch noch immer lieber, als ein Engel.

freut ſich nicht mit dem edlen Wohlthaͤter, dem
unſchuldigen Kinde, der belohnten Tugend? —

Das Geſetz der Reinheit des Ausdrucks reicht
indeß allein nicht hin, den Grad der Staͤrke des
Mitgefuͤhls zu erklaͤren: es muß hiebey auch auf
die Verbindung des Objektes mit dem ſympathi-
ſirenden Ruͤckſicht genommen werden.

Je mehr etwas mit uns uͤbereinſtimmt, je
aͤhnlicher es uns in jeder Hinſicht iſt, deſto ſtaͤr-
ker werden die Zuſtaͤnde deſſelben unſer Herz affi-
ciren*). Jedes Alter ſympathiſirt am lebhafte-
ſten mit dem ſeinigen, Geſchlecht mit Geſchlecht,
der Freund mit dem Freunde.

Suͤße Freuden gewaͤhrt das Mitgefuͤhl, dem,
fuͤr welchen es ſich regt. Es erhoͤht ſeine Freuden,
und mildert ſeine Leiden; denn es uͤberzeugt ihn,
daß er in den Augen Anderer einen Werth hat,
daß er geliebt wird, und auf Huͤlfe, wenn er ihrer
bedarf, rechnen kann. Aber auch denen, welche
ſie fuͤhlen, giebt die Sympathie einen ſuͤßen Ge-
nuß; und nicht nur die Sympathie der Freude,
auch das Mitleiden iſt kein durchaus unangeneh-
mes Gefuͤhl.

Fragt nur Euer Herz, Jhr, die Jhr des
Mitleidens faͤhig ſeyd, wenn es um Euren un-

gluͤck-
*) Nathan der Weiſe ſagt daher ſehr wahr:
— — — dem Menſchen iſt
Ein Menſch noch immer lieber, als ein Engel.
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[528/0244] freut ſich nicht mit dem edlen Wohlthaͤter, dem unſchuldigen Kinde, der belohnten Tugend? — Das Geſetz der Reinheit des Ausdrucks reicht indeß allein nicht hin, den Grad der Staͤrke des Mitgefuͤhls zu erklaͤren: es muß hiebey auch auf die Verbindung des Objektes mit dem ſympathi- ſirenden Ruͤckſicht genommen werden. Je mehr etwas mit uns uͤbereinſtimmt, je aͤhnlicher es uns in jeder Hinſicht iſt, deſto ſtaͤr- ker werden die Zuſtaͤnde deſſelben unſer Herz affi- ciren *). Jedes Alter ſympathiſirt am lebhafte- ſten mit dem ſeinigen, Geſchlecht mit Geſchlecht, der Freund mit dem Freunde. Suͤße Freuden gewaͤhrt das Mitgefuͤhl, dem, fuͤr welchen es ſich regt. Es erhoͤht ſeine Freuden, und mildert ſeine Leiden; denn es uͤberzeugt ihn, daß er in den Augen Anderer einen Werth hat, daß er geliebt wird, und auf Huͤlfe, wenn er ihrer bedarf, rechnen kann. Aber auch denen, welche ſie fuͤhlen, giebt die Sympathie einen ſuͤßen Ge- nuß; und nicht nur die Sympathie der Freude, auch das Mitleiden iſt kein durchaus unangeneh- mes Gefuͤhl. Fragt nur Euer Herz, Jhr, die Jhr des Mitleidens faͤhig ſeyd, wenn es um Euren un- gluͤck- *) Nathan der Weiſe ſagt daher ſehr wahr: — — — dem Menſchen iſt Ein Menſch noch immer lieber, als ein Engel.

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Zitationshilfe: Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 528. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/244>, abgerufen am 27.11.2024.