Die Liebe zur Gottheit verbindet mich mit dem Universum. --
Jnnige Verbindung des Selbsts mit dem Ge- liebten, ist das Verlangen der Liebe; die in dem Andern wahrgenommene Harmonie mit dem Selbst erweckt dieses Verlangen. Wo der Glaube nicht ist, daß die Natur des Andern zu meiner Selbstheit passe, da kann auch die Hofnung nicht seyn, daß er Eins mit mir werden könne. Aber wenn ich Aehnlichkeit der Gesinnungen mit den meinigen, und Geneigtheit, meinen Wünschen zu folgen, hoffe oder entdecke; kann ich auch auf Vereinigung rechnen, und mein Verlangen da- nach, die Liebe, rege werden.
Schönheit reizt daher in der Regel weit eher zur Liebe, als Häßlichkeit. Bey dieser verheißt die Disharmonie der Züge, das Mißverhältniß der einzelnen Theile gegen einander, das widerli- che Colorit, auch Disharmonie in der Denkungs- art, Ungemessenheit der Neigungen, Ungefällig- keit der Sitten. Aber das Ebenmaaß, die Gra- zie, die Anmuth einer schönen Form läßt auch auf Schönheit der Seele, Anmuth des Betra- gens und Wohlwollen des Herzens schließen*).
So
*)Pulchritudo, sagt Ludovicus Vives, ein Psycholog des 16ten Jahrhunderts, in seiner Schrift de ani- ma et vita. Basileae. S. 157.: Pulchritudo ve-
luti
Die Liebe zur Gottheit verbindet mich mit dem Univerſum. —
Jnnige Verbindung des Selbſts mit dem Ge- liebten, iſt das Verlangen der Liebe; die in dem Andern wahrgenommene Harmonie mit dem Selbſt erweckt dieſes Verlangen. Wo der Glaube nicht iſt, daß die Natur des Andern zu meiner Selbſtheit paſſe, da kann auch die Hofnung nicht ſeyn, daß er Eins mit mir werden koͤnne. Aber wenn ich Aehnlichkeit der Geſinnungen mit den meinigen, und Geneigtheit, meinen Wuͤnſchen zu folgen, hoffe oder entdecke; kann ich auch auf Vereinigung rechnen, und mein Verlangen da- nach, die Liebe, rege werden.
Schoͤnheit reizt daher in der Regel weit eher zur Liebe, als Haͤßlichkeit. Bey dieſer verheißt die Disharmonie der Zuͤge, das Mißverhaͤltniß der einzelnen Theile gegen einander, das widerli- che Colorit, auch Disharmonie in der Denkungs- art, Ungemeſſenheit der Neigungen, Ungefaͤllig- keit der Sitten. Aber das Ebenmaaß, die Gra- zie, die Anmuth einer ſchoͤnen Form laͤßt auch auf Schoͤnheit der Seele, Anmuth des Betra- gens und Wohlwollen des Herzens ſchließen*).
So
*)Pulchritudo, ſagt Ludovicus Vives, ein Pſycholog des 16ten Jahrhunderts, in ſeiner Schrift de ani- ma et vita. Baſileae. S. 157.: Pulchritudo ve-
luti
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Die Liebe zur Gottheit verbindet mich mit dem
Univerſum. —
Jnnige Verbindung des Selbſts mit dem Ge-
liebten, iſt das Verlangen der Liebe; die in dem
Andern wahrgenommene Harmonie mit dem Selbſt
erweckt dieſes Verlangen. Wo der Glaube
nicht iſt, daß die Natur des Andern zu meiner
Selbſtheit paſſe, da kann auch die Hofnung nicht
ſeyn, daß er Eins mit mir werden koͤnne. Aber
wenn ich Aehnlichkeit der Geſinnungen mit den
meinigen, und Geneigtheit, meinen Wuͤnſchen
zu folgen, hoffe oder entdecke; kann ich auch auf
Vereinigung rechnen, und mein Verlangen da-
nach, die Liebe, rege werden.
Schoͤnheit reizt daher in der Regel weit eher
zur Liebe, als Haͤßlichkeit. Bey dieſer verheißt
die Disharmonie der Zuͤge, das Mißverhaͤltniß
der einzelnen Theile gegen einander, das widerli-
che Colorit, auch Disharmonie in der Denkungs-
art, Ungemeſſenheit der Neigungen, Ungefaͤllig-
keit der Sitten. Aber das Ebenmaaß, die Gra-
zie, die Anmuth einer ſchoͤnen Form laͤßt auch
auf Schoͤnheit der Seele, Anmuth des Betra-
gens und Wohlwollen des Herzens ſchließen *).
So
*) Pulchritudo, ſagt Ludovicus Vives, ein Pſycholog
des 16ten Jahrhunderts, in ſeiner Schrift de ani-
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 543. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/259>, abgerufen am 28.07.2024.
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