Opfer deiner Phantasie! Sie mahlt sich, gereizt von der schönen Gestalt, dieselbe zu einem schönen Ganzen aus, und schaft eine Seele mit Tugend und Herzensgüte geschmückt zu dem Körper, der sie entzückte. Durch diese Verbindung der edel- sten Seele mit dem schönsten Körper weiß sie das Herz so zu bezaubern, daß mehr, als kalte Vor- stellungen dazu gehören, es demselben empfindbar zu machen, daß das schöne Ganze, welches es mit seiner innigsten Liebe umfaßt, nur seinem ge- ringsten Theile nach in der Form, welche die Phan- tasie reizte, existirt, und der Haupttheil desselben ein wesenloses Bild ist. Nur harte Schläge, Jahrenlange Leiden, für jeden Andern unaushalt- bare Qualen können es endlich bewegen, der Ver- nunft und Wahrheit zu glauben, daß es die Thö- rin der Phantasie sey, aber dennoch kostet es viel Anstrengung und viel Muth, ehe es sich ganz von dem Gegenstande seiner Liebe und seiner Leiden losreißt, und es bedarf nur einer der Wahrheit nahe kommende Heucheley desselben, so ist es aufs neue bethört.
Eben so unglücklich und eben so mitleids- würdig ist der, welcher liebt, ohne Gegenliebe zu finden. Man sage ja nicht, daß der, der bey den sichtbarsten Beweisen des Mangels an Ge- genliebe dennoch fortfährt, um Erhörung seiner Liebe zu bitten, ein Thor sey. So urtheilt nur
der,
Mm
Opfer deiner Phantaſie! Sie mahlt ſich, gereizt von der ſchoͤnen Geſtalt, dieſelbe zu einem ſchoͤnen Ganzen aus, und ſchaft eine Seele mit Tugend und Herzensguͤte geſchmuͤckt zu dem Koͤrper, der ſie entzuͤckte. Durch dieſe Verbindung der edel- ſten Seele mit dem ſchoͤnſten Koͤrper weiß ſie das Herz ſo zu bezaubern, daß mehr, als kalte Vor- ſtellungen dazu gehoͤren, es demſelben empfindbar zu machen, daß das ſchoͤne Ganze, welches es mit ſeiner innigſten Liebe umfaßt, nur ſeinem ge- ringſten Theile nach in der Form, welche die Phan- taſie reizte, exiſtirt, und der Haupttheil deſſelben ein weſenloſes Bild iſt. Nur harte Schlaͤge, Jahrenlange Leiden, fuͤr jeden Andern unaushalt- bare Qualen koͤnnen es endlich bewegen, der Ver- nunft und Wahrheit zu glauben, daß es die Thoͤ- rin der Phantaſie ſey, aber dennoch koſtet es viel Anſtrengung und viel Muth, ehe es ſich ganz von dem Gegenſtande ſeiner Liebe und ſeiner Leiden losreißt, und es bedarf nur einer der Wahrheit nahe kommende Heucheley deſſelben, ſo iſt es aufs neue bethoͤrt.
Eben ſo ungluͤcklich und eben ſo mitleids- wuͤrdig iſt der, welcher liebt, ohne Gegenliebe zu finden. Man ſage ja nicht, daß der, der bey den ſichtbarſten Beweiſen des Mangels an Ge- genliebe dennoch fortfaͤhrt, um Erhoͤrung ſeiner Liebe zu bitten, ein Thor ſey. So urtheilt nur
der,
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Opfer deiner Phantaſie! Sie mahlt ſich, gereizt
von der ſchoͤnen Geſtalt, dieſelbe zu einem ſchoͤnen
Ganzen aus, und ſchaft eine Seele mit Tugend
und Herzensguͤte geſchmuͤckt zu dem Koͤrper, der
ſie entzuͤckte. Durch dieſe Verbindung der edel-
ſten Seele mit dem ſchoͤnſten Koͤrper weiß ſie das
Herz ſo zu bezaubern, daß mehr, als kalte Vor-
ſtellungen dazu gehoͤren, es demſelben empfindbar
zu machen, daß das ſchoͤne Ganze, welches es
mit ſeiner innigſten Liebe umfaßt, nur ſeinem ge-
ringſten Theile nach in der Form, welche die Phan-
taſie reizte, exiſtirt, und der Haupttheil deſſelben
ein weſenloſes Bild iſt. Nur harte Schlaͤge,
Jahrenlange Leiden, fuͤr jeden Andern unaushalt-
bare Qualen koͤnnen es endlich bewegen, der Ver-
nunft und Wahrheit zu glauben, daß es die Thoͤ-
rin der Phantaſie ſey, aber dennoch koſtet es viel
Anſtrengung und viel Muth, ehe es ſich ganz
von dem Gegenſtande ſeiner Liebe und ſeiner Leiden
losreißt, und es bedarf nur einer der Wahrheit
nahe kommende Heucheley deſſelben, ſo iſt es aufs
neue bethoͤrt.
Eben ſo ungluͤcklich und eben ſo mitleids-
wuͤrdig iſt der, welcher liebt, ohne Gegenliebe zu
finden. Man ſage ja nicht, daß der, der bey
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/261>, abgerufen am 22.11.2024.
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