Schon hat der fürchterliche Zustand seines Herzens den Gedanken, durch den Tod denselben zu endigen, in ihm erregt. Er kann unter Men- schen nicht mehr weilen, denn auf jedem Gesichte liest er den Fluch des Verräthers. Er Ging, und eilte davon, floh der Menschen Anblick, und riß sich Aus Jerusalem.
Seine Seele war von schrecklichen Gefühlen zerrissen. Liebe zum Leben kämpft mit der Angst des Gewissens und der wüthenden Reue: er -- stand, itzt ging er! itzt stand er! itzt floh er! Schaute mit wildem Antlitz umher, ob er Men- schen erblickte.
Denn er glaubte in jedem seinen Rächer, sei- nen Verfolger zu sehn, der ihm selbst die schreck- liche Zuflucht, den Tod nicht vergönnen wollte. Endlich Als er keinen erblickte, der Stadt nun stum- mes Getöse Ganz sich dem Ohr verlor, beschloß er, zu ster- ben. --
Nichts rührte nunmehr seine Sinnen -- er empfand nichts als sich selbst, und in sich die Hölle des Gewissens. Nichts hielt also seinen Entschluß auf, zu sterben. Doch ist die Stimme der Na-
tur
Schon hat der fuͤrchterliche Zuſtand ſeines Herzens den Gedanken, durch den Tod denſelben zu endigen, in ihm erregt. Er kann unter Men- ſchen nicht mehr weilen, denn auf jedem Geſichte lieſt er den Fluch des Verraͤthers. Er Ging, und eilte davon, floh der Menſchen Anblick, und riß ſich Aus Jeruſalem.
Seine Seele war von ſchrecklichen Gefuͤhlen zerriſſen. Liebe zum Leben kaͤmpft mit der Angſt des Gewiſſens und der wuͤthenden Reue: er — ſtand, itzt ging er! itzt ſtand er! itzt floh er! Schaute mit wildem Antlitz umher, ob er Men- ſchen erblickte.
Denn er glaubte in jedem ſeinen Raͤcher, ſei- nen Verfolger zu ſehn, der ihm ſelbſt die ſchreck- liche Zuflucht, den Tod nicht vergoͤnnen wollte. Endlich Als er keinen erblickte, der Stadt nun ſtum- mes Getoͤſe Ganz ſich dem Ohr verlor, beſchloß er, zu ſter- ben. —
Nichts ruͤhrte nunmehr ſeine Sinnen — er empfand nichts als ſich ſelbſt, und in ſich die Hoͤlle des Gewiſſens. Nichts hielt alſo ſeinen Entſchluß auf, zu ſterben. Doch iſt die Stimme der Na-
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Schon hat der fuͤrchterliche Zuſtand ſeines
Herzens den Gedanken, durch den Tod denſelben
zu endigen, in ihm erregt. Er kann unter Men-
ſchen nicht mehr weilen, denn auf jedem Geſichte
lieſt er den Fluch des Verraͤthers. Er
Ging, und eilte davon, floh der Menſchen
Anblick, und riß ſich
Aus Jeruſalem.
Seine Seele war von ſchrecklichen Gefuͤhlen
zerriſſen. Liebe zum Leben kaͤmpft mit der Angſt
des Gewiſſens und der wuͤthenden Reue: er
— ſtand, itzt ging er! itzt ſtand er! itzt floh er!
Schaute mit wildem Antlitz umher, ob er Men-
ſchen erblickte.
Denn er glaubte in jedem ſeinen Raͤcher, ſei-
nen Verfolger zu ſehn, der ihm ſelbſt die ſchreck-
liche Zuflucht, den Tod nicht vergoͤnnen wollte.
Endlich
Als er keinen erblickte, der Stadt nun ſtum-
mes Getoͤſe
Ganz ſich dem Ohr verlor, beſchloß er, zu ſter-
ben. —
Nichts ruͤhrte nunmehr ſeine Sinnen — er
empfand nichts als ſich ſelbſt, und in ſich die Hoͤlle
des Gewiſſens. Nichts hielt alſo ſeinen Entſchluß
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/33>, abgerufen am 24.11.2024.
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