Beleidiger zu erschrecken, anzugreifen und die üb- len Folgen der Beleidigung fühlen zu lassen, oder mittelbar, indem er den Brief seines Feindes zerknittert und zerreißt, und das, was ihm ange- hört, wegstößt, oder indem er seine eigne Hals- krause zerreißt, sein Kleid zerzupft, seine Papiere von sich wirft, Kopf und Brust mit geballter Faust schlägt, seine Freunde zurückstößt, oder indem er auf dem Boden stampft, hastig und stark umher geht, und heftige Streiche durch die Luft führt.
Der alte Psycholog Vives hat nicht Unrecht, wenn er den Zorn, als einen Affekt aus dem Gefühl der Verachtung dessen, was wir werth halten, es sey in oder außer uns, oder wir selbst, erklärt*). Dieses Gefühl reizt uns, dem An- dern zu zeigen, daß er Ursach habe, uns und das Unsrige für Etwas zu halten, und um dies zu zeigen, nehmen wir alle unsre Kräfte, besonders diejenigen, durch welche unser Wunsch am schnell- sten erfüllt werden kann, (die körperlichen) zusam- men, und treten ihm gerüstet unter die Augen.
Man
*)Ira, sagt er, est concitatio animi acerba, quod bona sua videt contemni, quae ipse videt non esse contemnenda, in quo et semet ipsum con- temni. Cuique enim pretium atque aestimatio ex suis bonis. Jo. Lud. Vivis, de Anima, Lib. 3. 210. Basel 1538.
Rr 4
Beleidiger zu erſchrecken, anzugreifen und die uͤb- len Folgen der Beleidigung fuͤhlen zu laſſen, oder mittelbar, indem er den Brief ſeines Feindes zerknittert und zerreißt, und das, was ihm ange- hoͤrt, wegſtoͤßt, oder indem er ſeine eigne Hals- krauſe zerreißt, ſein Kleid zerzupft, ſeine Papiere von ſich wirft, Kopf und Bruſt mit geballter Fauſt ſchlaͤgt, ſeine Freunde zuruͤckſtoͤßt, oder indem er auf dem Boden ſtampft, haſtig und ſtark umher geht, und heftige Streiche durch die Luft fuͤhrt.
Der alte Pſycholog Vives hat nicht Unrecht, wenn er den Zorn, als einen Affekt aus dem Gefuͤhl der Verachtung deſſen, was wir werth halten, es ſey in oder außer uns, oder wir ſelbſt, erklaͤrt*). Dieſes Gefuͤhl reizt uns, dem An- dern zu zeigen, daß er Urſach habe, uns und das Unſrige fuͤr Etwas zu halten, und um dies zu zeigen, nehmen wir alle unſre Kraͤfte, beſonders diejenigen, durch welche unſer Wunſch am ſchnell- ſten erfuͤllt werden kann, (die koͤrperlichen) zuſam- men, und treten ihm geruͤſtet unter die Augen.
Man
*)Ira, ſagt er, eſt concitatio animi acerba, quod bona ſua videt contemni, quae ipſe videt non eſſe contemnenda, in quo et ſemet ipſum con- temni. Cuique enim pretium atque aeſtimatio ex ſuis bonis. Jo. Lud. Vivis, de Anima, Lib. 3. 210. Baſel 1538.
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Beleidiger zu erſchrecken, anzugreifen und die uͤb-
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mittelbar, indem er den Brief ſeines Feindes
zerknittert und zerreißt, und das, was ihm ange-
hoͤrt, wegſtoͤßt, oder indem er ſeine eigne Hals-
krauſe zerreißt, ſein Kleid zerzupft, ſeine Papiere
von ſich wirft, Kopf und Bruſt mit geballter
Fauſt ſchlaͤgt, ſeine Freunde zuruͤckſtoͤßt, oder
indem er auf dem Boden ſtampft, haſtig und
ſtark umher geht, und heftige Streiche durch die
Luft fuͤhrt.
Der alte Pſycholog Vives hat nicht Unrecht,
wenn er den Zorn, als einen Affekt aus dem
Gefuͤhl der Verachtung deſſen, was wir werth
halten, es ſey in oder außer uns, oder wir ſelbſt,
erklaͤrt *). Dieſes Gefuͤhl reizt uns, dem An-
dern zu zeigen, daß er Urſach habe, uns und
das Unſrige fuͤr Etwas zu halten, und um dies
zu zeigen, nehmen wir alle unſre Kraͤfte, beſonders
diejenigen, durch welche unſer Wunſch am ſchnell-
ſten erfuͤllt werden kann, (die koͤrperlichen) zuſam-
men, und treten ihm geruͤſtet unter die Augen.
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*) Ira, ſagt er, eſt concitatio animi acerba, quod
bona ſua videt contemni, quae ipſe videt non
eſſe contemnenda, in quo et ſemet ipſum con-
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3. 210. Baſel 1538.
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Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schaumann_psyche02_1791/347>, abgerufen am 27.07.2024.
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