Schaumann, Johann Christian Gottlieb: Psyche oder Unterhaltungen über die Seele. Bd. 2. Halle, 1791.lenkt sie natürlich die Seele dahin, wo sie dieselbe Bittrer Haß, welcher sich itzt noch nicht an Auch die Liebe, welche itzt noch nicht genießen Aber die Gränzen dieses Erdenlebens be- danken *) Man pflegt wohl dieses Hinsehen auf die Ewigkeit oder den Trieb nach dem Unendlichen, als einen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele anzuführen. Aber, wie mich dünkt, nicht mit Recht, wenn man ihn nicht als einen blinden oder angebohrnen Trieb, welches zwar ein Wort, aber keine Erklärung ist, ansehen will. Denn wo dieser Trieb sich finden soll, da muß eine Vorstellung von der Ewigkeit sich finden. Mit jemehr Ueberzeugung dieselbe ver- knüpft ist, desto lebhafter wird dieser Trieb seyn. Aa 2
lenkt ſie natuͤrlich die Seele dahin, wo ſie dieſelbe Bittrer Haß, welcher ſich itzt noch nicht an Auch die Liebe, welche itzt noch nicht genießen Aber die Graͤnzen dieſes Erdenlebens be- danken *) Man pflegt wohl dieſes Hinſehen auf die Ewigkeit oder den Trieb nach dem Unendlichen, als einen Beweis fuͤr die Unſterblichkeit der Seele anzufuͤhren. Aber, wie mich duͤnkt, nicht mit Recht, wenn man ihn nicht als einen blinden oder angebohrnen Trieb, welches zwar ein Wort, aber keine Erklaͤrung iſt, anſehen will. Denn wo dieſer Trieb ſich finden ſoll, da muß eine Vorſtellung von der Ewigkeit ſich finden. Mit jemehr Ueberzeugung dieſelbe ver- knuͤpft iſt, deſto lebhafter wird dieſer Trieb ſeyn. Aa 2
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lenkt ſie natuͤrlich die Seele dahin, wo ſie dieſelbe
erwartet, auf die Zukunft.
Bittrer Haß, welcher ſich itzt noch nicht an
der Rache ſaͤttigen kann, bruͤtet uͤber ſeinen ſchwar-
zen Plaͤnen immerfort, weil er von der Zukunft
hoft.
Auch die Liebe, welche itzt noch nicht genießen
kann, ſieht mit froͤhlichem Auge auf die kuͤnftige
Zeit, und harrt auf die Erfuͤllung ihrer innigſten
Wuͤnſche.
Aber die Graͤnzen dieſes Erdenlebens be-
graͤnzen nicht den Geſichtskreis der vorausſehen-
den Vernunft. Sie kann ſich keinen letzten Punkt
und kein Ende gedenken: ſondern ſieht eine Ewig-
keit vor ſich *). Je feſter die Ueberzeugung von
der Unſterblichkeit, je groͤßer die Seele des Men-
ſchen und je genauer er mit ſeiner hoͤhern Beſtim-
mung bekannt iſt, deſto oͤfter werden ſeine Ge-
danken
*) Man pflegt wohl dieſes Hinſehen auf die Ewigkeit
oder den Trieb nach dem Unendlichen, als einen
Beweis fuͤr die Unſterblichkeit der Seele anzufuͤhren.
Aber, wie mich duͤnkt, nicht mit Recht, wenn man
ihn nicht als einen blinden oder angebohrnen Trieb,
welches zwar ein Wort, aber keine Erklaͤrung iſt,
anſehen will. Denn wo dieſer Trieb ſich finden
ſoll, da muß eine Vorſtellung von der Ewigkeit ſich
finden. Mit jemehr Ueberzeugung dieſelbe ver-
knuͤpft iſt, deſto lebhafter wird dieſer Trieb ſeyn.
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