Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ihr befehlet, sprach Ekkehard, so Ihr mich wieder fraget, will ich
einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe.

Solcherlei Gespräch war für Ekkehard neu, unklar.

Ihr habt mir Eure Ansicht vom Virgilius gestern vorenthalten,
sprach er.

Ja so, sprach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer-
land gewesen, ich weiß nicht, ob ich nicht die Gesänge verbrannt und
den Mann für immer schweigen geheißen hätte ...

Ekkehard fuhr sie starr verwundert an.

Es ist mein Ernst! fuhr sie fort. Wißt Ihr, warum? -- weil er
die Götter seines Landes schlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt,
wie Ihr der Juno Reden gestern vortruget. Des Herrn aller Götter
Ehfrau -- und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troischer
Hirtenknab' sie nicht für die Schönste erklärt, und ist nicht im Stande,
aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein
zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer
Nymphe verführen .... und Neptun will Herrscher der Meere sein
und läßt sich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in sein Reich
blasen und merkt's erst, wie es fast vorbei ist -- was ist All' das
für ein Wesen? Als Herzogin sag' ich Euch, in dem Reich, dessen
Götter gescholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen.

Ekkehard schien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum
an Schriftwerk überliefert, stand ihm da als ein Festes, Unerschütter-
liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, sich in Bedeutung und
Verständniß einzuarbeiten, -- nun solche Zweifel!

Erlaubet, Herrin, sprach er, wir haben noch nicht weit gelesen,
es steht zu hoffen, daß Euch die Menschen der Aeneis besser gefallen.
Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Augustus der Kaiser seine
Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu
leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl
davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß
sein ....

Frau Hadwig hatte gesprochen nach dem ersten Eindruck. Mit dem
Lehrer streiten mochte sie nicht.

Praxedis, sprach sie scherzend, was ist deine Meinung?

Ihr befehlet, ſprach Ekkehard, ſo Ihr mich wieder fraget, will ich
einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe.

Solcherlei Geſpräch war für Ekkehard neu, unklar.

Ihr habt mir Eure Anſicht vom Virgilius geſtern vorenthalten,
ſprach er.

Ja ſo, ſprach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer-
land geweſen, ich weiß nicht, ob ich nicht die Geſänge verbrannt und
den Mann für immer ſchweigen geheißen hätte ...

Ekkehard fuhr ſie ſtarr verwundert an.

Es iſt mein Ernſt! fuhr ſie fort. Wißt Ihr, warum? — weil er
die Götter ſeines Landes ſchlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt,
wie Ihr der Juno Reden geſtern vortruget. Des Herrn aller Götter
Ehfrau — und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troiſcher
Hirtenknab' ſie nicht für die Schönſte erklärt, und iſt nicht im Stande,
aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein
zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer
Nymphe verführen .... und Neptun will Herrſcher der Meere ſein
und läßt ſich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in ſein Reich
blaſen und merkt's erſt, wie es faſt vorbei iſt — was iſt All' das
für ein Weſen? Als Herzogin ſag' ich Euch, in dem Reich, deſſen
Götter geſcholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen.

Ekkehard ſchien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum
an Schriftwerk überliefert, ſtand ihm da als ein Feſtes, Unerſchütter-
liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, ſich in Bedeutung und
Verſtändniß einzuarbeiten, — nun ſolche Zweifel!

Erlaubet, Herrin, ſprach er, wir haben noch nicht weit geleſen,
es ſteht zu hoffen, daß Euch die Menſchen der Aeneϊs beſſer gefallen.
Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Auguſtus der Kaiſer ſeine
Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu
leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl
davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß
ſein ....

Frau Hadwig hatte geſprochen nach dem erſten Eindruck. Mit dem
Lehrer ſtreiten mochte ſie nicht.

Praxedis, ſprach ſie ſcherzend, was iſt deine Meinung?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0108" n="86"/>
        <p>Ihr befehlet, &#x017F;prach Ekkehard, &#x017F;o Ihr mich wieder fraget, will ich<lb/>
einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe.</p><lb/>
        <p>Solcherlei Ge&#x017F;präch war für Ekkehard neu, unklar.</p><lb/>
        <p>Ihr habt mir Eure An&#x017F;icht vom Virgilius ge&#x017F;tern vorenthalten,<lb/>
&#x017F;prach er.</p><lb/>
        <p>Ja &#x017F;o, &#x017F;prach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer-<lb/>
land gewe&#x017F;en, ich weiß nicht, ob ich nicht die Ge&#x017F;änge verbrannt und<lb/>
den Mann für immer &#x017F;chweigen geheißen hätte ...</p><lb/>
        <p>Ekkehard fuhr &#x017F;ie &#x017F;tarr verwundert an.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t mein Ern&#x017F;t! fuhr &#x017F;ie fort. Wißt Ihr, warum? &#x2014; weil er<lb/>
die Götter &#x017F;eines Landes &#x017F;chlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt,<lb/>
wie Ihr der Juno Reden ge&#x017F;tern vortruget. Des Herrn aller Götter<lb/>
Ehfrau &#x2014; und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troi&#x017F;cher<lb/>
Hirtenknab' &#x017F;ie nicht für die Schön&#x017F;te erklärt, und i&#x017F;t nicht im Stande,<lb/>
aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein<lb/>
zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer<lb/>
Nymphe verführen .... und Neptun will Herr&#x017F;cher der Meere &#x017F;ein<lb/>
und läßt &#x017F;ich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in &#x017F;ein Reich<lb/>
bla&#x017F;en und merkt's er&#x017F;t, wie es fa&#x017F;t vorbei i&#x017F;t &#x2014; was i&#x017F;t All' das<lb/>
für ein We&#x017F;en? Als Herzogin &#x017F;ag' ich Euch, in dem Reich, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
Götter ge&#x017F;cholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen.</p><lb/>
        <p>Ekkehard &#x017F;chien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum<lb/>
an Schriftwerk überliefert, &#x017F;tand ihm da als ein Fe&#x017F;tes, Uner&#x017F;chütter-<lb/>
liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, &#x017F;ich in Bedeutung und<lb/>
Ver&#x017F;tändniß einzuarbeiten, &#x2014; nun &#x017F;olche Zweifel!</p><lb/>
        <p>Erlaubet, Herrin, &#x017F;prach er, wir haben noch nicht weit gele&#x017F;en,<lb/>
es &#x017F;teht zu hoffen, daß Euch die Men&#x017F;chen der Aene<hi rendition="#aq">&#x03CA;</hi>s be&#x017F;&#x017F;er gefallen.<lb/>
Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Augu&#x017F;tus der Kai&#x017F;er &#x017F;eine<lb/>
Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu<lb/>
leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl<lb/>
davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß<lb/>
&#x017F;ein ....</p><lb/>
        <p>Frau Hadwig hatte ge&#x017F;prochen nach dem er&#x017F;ten Eindruck. Mit dem<lb/>
Lehrer &#x017F;treiten mochte &#x017F;ie nicht.</p><lb/>
        <p>Praxedis, &#x017F;prach &#x017F;ie &#x017F;cherzend, was i&#x017F;t deine Meinung?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[86/0108] Ihr befehlet, ſprach Ekkehard, ſo Ihr mich wieder fraget, will ich einen Traum erzählen, auch wenn ich ihn nicht geträumt habe. Solcherlei Geſpräch war für Ekkehard neu, unklar. Ihr habt mir Eure Anſicht vom Virgilius geſtern vorenthalten, ſprach er. Ja ſo, ſprach Frau Hadwig. Höret, wenn ich Herrin im Römer- land geweſen, ich weiß nicht, ob ich nicht die Geſänge verbrannt und den Mann für immer ſchweigen geheißen hätte ... Ekkehard fuhr ſie ſtarr verwundert an. Es iſt mein Ernſt! fuhr ſie fort. Wißt Ihr, warum? — weil er die Götter ſeines Landes ſchlecht macht. Ich hab' gute Acht gehabt, wie Ihr der Juno Reden geſtern vortruget. Des Herrn aller Götter Ehfrau — und trägt eine Wunde im Gemüth, daß ein troiſcher Hirtenknab' ſie nicht für die Schönſte erklärt, und iſt nicht im Stande, aus eigener Macht einen Sturm zu befehlen, daß die paar Schifflein zertrümmert werden, und muß den Aeolus durch Antragung einer Nymphe verführen .... und Neptun will Herrſcher der Meere ſein und läßt ſich von fremdem Gewind Sturm und Wetter in ſein Reich blaſen und merkt's erſt, wie es faſt vorbei iſt — was iſt All' das für ein Weſen? Als Herzogin ſag' ich Euch, in dem Reich, deſſen Götter geſcholten werden, möcht' ich den Scepter nicht führen. Ekkehard ſchien um eine Antwort verlegen. Was das Alterthum an Schriftwerk überliefert, ſtand ihm da als ein Feſtes, Unerſchütter- liches, wie altes Gebirg; er war zufrieden, ſich in Bedeutung und Verſtändniß einzuarbeiten, — nun ſolche Zweifel! Erlaubet, Herrin, ſprach er, wir haben noch nicht weit geleſen, es ſteht zu hoffen, daß Euch die Menſchen der Aeneϊs beſſer gefallen. Wollet auch bedenken, daß zur Zeit, wo Auguſtus der Kaiſer ſeine Unterthanen aufzeichnen ließ, das Licht der Welt zu Bethlehem zu leuchten anhub; es geht die Sage, daß auch auf Virgilius ein Strahl davon gefallen, da mochten ihm die alten Götter nicht mehr groß ſein .... Frau Hadwig hatte geſprochen nach dem erſten Eindruck. Mit dem Lehrer ſtreiten mochte ſie nicht. Praxedis, ſprach ſie ſcherzend, was iſt deine Meinung?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/108
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/108>, abgerufen am 21.05.2024.