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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Herr Spazzo trat seinen Rückzug an: Aeneas der Troer! mur-
melte er im Gang; hat wieder einmal ein rheinfränkischer Landfahrer
sich einen erlogenen Stammbaum gemacht? Troja?! -- umwallender
Nebel?... Aeneas der Troer, wir werden eine Lanze brechen, wenn
wir uns treffen! Mord und Brand!



Achtes Kapitel.
Audifax.


In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Au-
difax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm
weggestorben, da war er wild aufgewachsen, und die Leute hatten sein
nicht viel Acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem
Dach wächst, und der Epheu, der sich um die Mauern schlingt. Man
hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewiesen. Die trieb er auch
getreulich hinaus und herein, und war schweigsam und scheu. Er
hatte ein blaß Gesicht und kurzgeschnitten blondes Haupthaar, denn
nur der Freigeborene durfte sich mit wallenden Locken schmücken.118)

Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch
waltete, saß Audifax vergnüglich draußen und schnitt Sackpfeifen aus
dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einsam schwermüthi-
ges Getön, und Frau Hadwig war einmal schier eines Mittags Länge
oben auf dem Söller gestanden, und hatte ihm gelauscht, vielleicht daß
ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entsprach -- und wie
Audifax des Abends seine Ziegen eintrieb, sprach sie zu ihm: heische
dir eine Gnade. Da bat er um ein Glöcklein für eine seiner Ziegen, die
hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, seither war
in Audifax Leben Nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zu-
sehends scheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch sein Pfeifenblasen
eingestellt.

Herr Spazzo trat ſeinen Rückzug an: Aeneas der Troer! mur-
melte er im Gang; hat wieder einmal ein rheinfränkiſcher Landfahrer
ſich einen erlogenen Stammbaum gemacht? Troja?! — umwallender
Nebel?... Aeneas der Troer, wir werden eine Lanze brechen, wenn
wir uns treffen! Mord und Brand!



Achtes Kapitel.
Audifax.


In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Au-
difax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm
weggeſtorben, da war er wild aufgewachſen, und die Leute hatten ſein
nicht viel Acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem
Dach wächst, und der Epheu, der ſich um die Mauern ſchlingt. Man
hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewieſen. Die trieb er auch
getreulich hinaus und herein, und war ſchweigſam und ſcheu. Er
hatte ein blaß Geſicht und kurzgeſchnitten blondes Haupthaar, denn
nur der Freigeborene durfte ſich mit wallenden Locken ſchmücken.118)

Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch
waltete, ſaß Audifax vergnüglich draußen und ſchnitt Sackpfeifen aus
dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einſam ſchwermüthi-
ges Getön, und Frau Hadwig war einmal ſchier eines Mittags Länge
oben auf dem Söller geſtanden, und hatte ihm gelauſcht, vielleicht daß
ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entſprach — und wie
Audifax des Abends ſeine Ziegen eintrieb, ſprach ſie zu ihm: heiſche
dir eine Gnade. Da bat er um ein Glöcklein für eine ſeiner Ziegen, die
hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, ſeither war
in Audifax Leben Nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zu-
ſehends ſcheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch ſein Pfeifenblaſen
eingeſtellt.

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[89/0111] Herr Spazzo trat ſeinen Rückzug an: Aeneas der Troer! mur- melte er im Gang; hat wieder einmal ein rheinfränkiſcher Landfahrer ſich einen erlogenen Stammbaum gemacht? Troja?! — umwallender Nebel?... Aeneas der Troer, wir werden eine Lanze brechen, wenn wir uns treffen! Mord und Brand! Achtes Kapitel. Audifax. In jener Zeit lebte auf dem Hohentwiel ein Knabe, der hieß Au- difax. Er war eigener Leute Kind, Vater und Mutter waren ihm weggeſtorben, da war er wild aufgewachſen, und die Leute hatten ſein nicht viel Acht, er gehörte zur Burg wie die Hauswurz, die auf dem Dach wächst, und der Epheu, der ſich um die Mauern ſchlingt. Man hatte ihm aber die Ziegen zu hüten angewieſen. Die trieb er auch getreulich hinaus und herein, und war ſchweigſam und ſcheu. Er hatte ein blaß Geſicht und kurzgeſchnitten blondes Haupthaar, denn nur der Freigeborene durfte ſich mit wallenden Locken ſchmücken. ¹¹⁸⁾ Im Frühjahr, wenn neuer Schuß und Trieb in Baum und Strauch waltete, ſaß Audifax vergnüglich draußen und ſchnitt Sackpfeifen aus dem jungen Holz und blies darauf; es war ein einſam ſchwermüthi- ges Getön, und Frau Hadwig war einmal ſchier eines Mittags Länge oben auf dem Söller geſtanden, und hatte ihm gelauſcht, vielleicht daß ihre Stimmung der Melodie der Sackpfeife entſprach — und wie Audifax des Abends ſeine Ziegen eintrieb, ſprach ſie zu ihm: heiſche dir eine Gnade. Da bat er um ein Glöcklein für eine ſeiner Ziegen, die hieß Schwarzfuß. Der Schwarzfuß bekam das Glöcklein, ſeither war in Audifax Leben Nichts von Belang vorgefallen. Aber er ward zu- ſehends ſcheuer, im letzten Frühjahr hatte er auch ſein Pfeifenblaſen eingeſtellt.

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/111>, abgerufen am 24.11.2024.