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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? *)

und mit eiserner Geduld sagte Audifax die fremden Worte her, bis er
sie sprachrichtig dem Gedächtniß eingeprägt.

Schreibt mir's auf, daß ich's auf dem Leib tragen kann, bat er ihn.

Ekkehard gedachte den Scherz vollständig zu machen, und schrieb
ihm die Worte auf einen dünnen Pergamentstreif, der Knabe barg's
in seiner Brusttasche; hoch schlug sein Herz, wiederum küßte er Ekke-
hard's Gewand -- in Sprüngen, wie sie die kletterfroheste Ziege nicht
machte, sprang er aus dem Hofe.

Bei diesem Kinde gilt Virgilius mehr als bei der Herzogin, dachte
Ekkehard.

Des Mittags saß Audifax wieder auf seinem Steinblock. Aber
es perlten keine Thränen mehr in seinen scheuen Augen; seit langem
zum erstenmal war die alte Sackpfeife wieder mit ihm auf die Ziegen-
hut ausgezogen, der Wind trug die Klänge ins Thal hinab. Ver-
gnügt kam seine Freundin Hadumoth zu ihm herüber: Wollen wir
wieder Seifenblasen machen? frug sie ihn.

Ich mache keine Seifenblasen mehr! sprach Audifax und blies auf
seiner Pfeife weiter. Dann stieg er auf, sah sich sorgsam um, zog
Hadumoth zu sich -- sein Auge glänzte seltsam: Ich bin beim hei-
ligen Mann gewesen, raunte er ihr ins Ohr, heut Nacht heben wir
den Schatz. Du gehst mit. Hadumoth versprach's ihm.

Der dienenden Leute Nachtessen in der Gesindestube war zu Ende;
gleichzeitig stunden sie alle von ihren Bänken auf und stellten sich in
die Reihe; zu unterst waren Audifax und Hadumoth gesessen, die
junge Hirtin sprach den grobkörnigen Menschen das Gebet vor, sie
zitterte heut mit der Stimme ...

Eh der Tisch abgeräumt war, huschte es wie zwei Schatten zu
dem noch unverschlossenen Burgthor hinaus, es waren die zwei Kinder,
Audifax ging voran. Die Nacht wird kalt sein, hatte er zu Hadu-
moth gesagt und ihr ein langhaariges Ziegenfell umgeworfen. Da
wo der Berg jäh nach Süden hin abfällt, war ein alter Erdwall ge-
zogen, dort machte Audifax Halt -- sie waren vor dem Herbstwind

*) Graulicher Hunger nach Golde, wozu nicht zwingst du der Menschen
nimmersattes Gemüth?
Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? *)

und mit eiſerner Geduld ſagte Audifax die fremden Worte her, bis er
ſie ſprachrichtig dem Gedächtniß eingeprägt.

Schreibt mir's auf, daß ich's auf dem Leib tragen kann, bat er ihn.

Ekkehard gedachte den Scherz vollſtändig zu machen, und ſchrieb
ihm die Worte auf einen dünnen Pergamentſtreif, der Knabe barg's
in ſeiner Bruſttaſche; hoch ſchlug ſein Herz, wiederum küßte er Ekke-
hard's Gewand — in Sprüngen, wie ſie die kletterfroheſte Ziege nicht
machte, ſprang er aus dem Hofe.

Bei dieſem Kinde gilt Virgilius mehr als bei der Herzogin, dachte
Ekkehard.

Des Mittags ſaß Audifax wieder auf ſeinem Steinblock. Aber
es perlten keine Thränen mehr in ſeinen ſcheuen Augen; ſeit langem
zum erſtenmal war die alte Sackpfeife wieder mit ihm auf die Ziegen-
hut ausgezogen, der Wind trug die Klänge ins Thal hinab. Ver-
gnügt kam ſeine Freundin Hadumoth zu ihm herüber: Wollen wir
wieder Seifenblaſen machen? frug ſie ihn.

Ich mache keine Seifenblaſen mehr! ſprach Audifax und blies auf
ſeiner Pfeife weiter. Dann ſtieg er auf, ſah ſich ſorgſam um, zog
Hadumoth zu ſich — ſein Auge glänzte ſeltſam: Ich bin beim hei-
ligen Mann geweſen, raunte er ihr ins Ohr, heut Nacht heben wir
den Schatz. Du gehſt mit. Hadumoth verſprach's ihm.

Der dienenden Leute Nachteſſen in der Geſindeſtube war zu Ende;
gleichzeitig ſtunden ſie alle von ihren Bänken auf und ſtellten ſich in
die Reihe; zu unterſt waren Audifax und Hadumoth geſeſſen, die
junge Hirtin ſprach den grobkörnigen Menſchen das Gebet vor, ſie
zitterte heut mit der Stimme ...

Eh der Tiſch abgeräumt war, huſchte es wie zwei Schatten zu
dem noch unverſchloſſenen Burgthor hinaus, es waren die zwei Kinder,
Audifax ging voran. Die Nacht wird kalt ſein, hatte er zu Hadu-
moth geſagt und ihr ein langhaariges Ziegenfell umgeworfen. Da
wo der Berg jäh nach Süden hin abfällt, war ein alter Erdwall ge-
zogen, dort machte Audifax Halt — ſie waren vor dem Herbſtwind

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[96/0118] Auri sacra fames, quid non mortalia cogis pectora? *) und mit eiſerner Geduld ſagte Audifax die fremden Worte her, bis er ſie ſprachrichtig dem Gedächtniß eingeprägt. Schreibt mir's auf, daß ich's auf dem Leib tragen kann, bat er ihn. Ekkehard gedachte den Scherz vollſtändig zu machen, und ſchrieb ihm die Worte auf einen dünnen Pergamentſtreif, der Knabe barg's in ſeiner Bruſttaſche; hoch ſchlug ſein Herz, wiederum küßte er Ekke- hard's Gewand — in Sprüngen, wie ſie die kletterfroheſte Ziege nicht machte, ſprang er aus dem Hofe. Bei dieſem Kinde gilt Virgilius mehr als bei der Herzogin, dachte Ekkehard. Des Mittags ſaß Audifax wieder auf ſeinem Steinblock. Aber es perlten keine Thränen mehr in ſeinen ſcheuen Augen; ſeit langem zum erſtenmal war die alte Sackpfeife wieder mit ihm auf die Ziegen- hut ausgezogen, der Wind trug die Klänge ins Thal hinab. Ver- gnügt kam ſeine Freundin Hadumoth zu ihm herüber: Wollen wir wieder Seifenblaſen machen? frug ſie ihn. Ich mache keine Seifenblaſen mehr! ſprach Audifax und blies auf ſeiner Pfeife weiter. Dann ſtieg er auf, ſah ſich ſorgſam um, zog Hadumoth zu ſich — ſein Auge glänzte ſeltſam: Ich bin beim hei- ligen Mann geweſen, raunte er ihr ins Ohr, heut Nacht heben wir den Schatz. Du gehſt mit. Hadumoth verſprach's ihm. Der dienenden Leute Nachteſſen in der Geſindeſtube war zu Ende; gleichzeitig ſtunden ſie alle von ihren Bänken auf und ſtellten ſich in die Reihe; zu unterſt waren Audifax und Hadumoth geſeſſen, die junge Hirtin ſprach den grobkörnigen Menſchen das Gebet vor, ſie zitterte heut mit der Stimme ... Eh der Tiſch abgeräumt war, huſchte es wie zwei Schatten zu dem noch unverſchloſſenen Burgthor hinaus, es waren die zwei Kinder, Audifax ging voran. Die Nacht wird kalt ſein, hatte er zu Hadu- moth geſagt und ihr ein langhaariges Ziegenfell umgeworfen. Da wo der Berg jäh nach Süden hin abfällt, war ein alter Erdwall ge- zogen, dort machte Audifax Halt — ſie waren vor dem Herbſtwind *) Graulicher Hunger nach Golde, wozu nicht zwingſt du der Menſchen nimmerſattes Gemüth?

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/118>, abgerufen am 25.11.2024.