Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

In seiner Ziegen Hut war er säumig. Eine seiner Untergebenen
verlief sich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo-
densee entströmenden Rheines umsäumen. Da ging er, sie zu suchen;
einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück.

Hadumoth freute sich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge
ersparte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall.
Eines Tages saßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knechtstube.
Sie waren allein.

Du denkst noch immer an Schatz und Spruch? sagte Hadumoth.
Da zog sie Audifax geheimnißvoll zu sich: Der heilige Mann hat doch
den rechten Gott! sprach er.

Warum? frug Hadumoth.

Er ging in seine Kammer hinüber; im Stroh seines Lagers hatte
er allerhand Gestein untergebracht, er griff einen heraus und brachte
ihn herüber: Schau an! sprach er. Es war ein glimmeriger grauer
Schieferstein, er umschloß die Reste eines Fisches, in zartem Umriß
waren Haupt, Flossen und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den
hab' ich drüben am Schiener Berg123) mitgenommen, da ich die Ziege
suchen ging. Der muß von der Fluth sein, von der der Vater Vin-
centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels
und der Erde über die Welt gehen lassen, da er den Noah das große
Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts.

Hadumoth wurde nachdenklich: Dann ist die Waldfrau Schuld,
daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen sind, wir wollen sie beim
heiligen Mann verklagen.

Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in
jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte sie freund-
lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig
lächelte.

Sie haben einen seltsamen Geschmack, meine treuen Unterthanen, sprach
sie. Ueberall sind ihnen schmucke Kirchen gebaut, sanft und eindringlich
wird das Wort Gottes verkündet, stattlicher Gesang, große Feste, Bitt-
gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, --
und doch ist's nicht genug. Da müssen sie noch in kalter Nacht auf
ihren Berggipfeln sitzen, und wissen selber nicht, was sie dort treiben,

In ſeiner Ziegen Hut war er ſäumig. Eine ſeiner Untergebenen
verlief ſich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo-
denſee entſtrömenden Rheines umſäumen. Da ging er, ſie zu ſuchen;
einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück.

Hadumoth freute ſich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge
erſparte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall.
Eines Tages ſaßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knechtſtube.
Sie waren allein.

Du denkſt noch immer an Schatz und Spruch? ſagte Hadumoth.
Da zog ſie Audifax geheimnißvoll zu ſich: Der heilige Mann hat doch
den rechten Gott! ſprach er.

Warum? frug Hadumoth.

Er ging in ſeine Kammer hinüber; im Stroh ſeines Lagers hatte
er allerhand Geſtein untergebracht, er griff einen heraus und brachte
ihn herüber: Schau an! ſprach er. Es war ein glimmeriger grauer
Schieferſtein, er umſchloß die Reſte eines Fiſches, in zartem Umriß
waren Haupt, Floſſen und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den
hab' ich drüben am Schiener Berg123) mitgenommen, da ich die Ziege
ſuchen ging. Der muß von der Fluth ſein, von der der Vater Vin-
centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels
und der Erde über die Welt gehen laſſen, da er den Noah das große
Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts.

Hadumoth wurde nachdenklich: Dann iſt die Waldfrau Schuld,
daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen ſind, wir wollen ſie beim
heiligen Mann verklagen.

Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in
jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte ſie freund-
lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig
lächelte.

Sie haben einen ſeltſamen Geſchmack, meine treuen Unterthanen, ſprach
ſie. Ueberall ſind ihnen ſchmucke Kirchen gebaut, ſanft und eindringlich
wird das Wort Gottes verkündet, ſtattlicher Geſang, große Feſte, Bitt-
gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, —
und doch iſt's nicht genug. Da müſſen ſie noch in kalter Nacht auf
ihren Berggipfeln ſitzen, und wiſſen ſelber nicht, was ſie dort treiben,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0123" n="101"/>
        <p>In &#x017F;einer Ziegen Hut war er &#x017F;äumig. Eine &#x017F;einer Untergebenen<lb/>
verlief &#x017F;ich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo-<lb/>
den&#x017F;ee ent&#x017F;trömenden Rheines um&#x017F;äumen. Da ging er, &#x017F;ie zu &#x017F;uchen;<lb/>
einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück.</p><lb/>
        <p>Hadumoth freute &#x017F;ich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge<lb/>
er&#x017F;parte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall.<lb/>
Eines Tages &#x017F;aßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knecht&#x017F;tube.<lb/>
Sie waren allein.</p><lb/>
        <p>Du denk&#x017F;t noch immer an Schatz und Spruch? &#x017F;agte Hadumoth.<lb/>
Da zog &#x017F;ie Audifax geheimnißvoll zu &#x017F;ich: Der heilige Mann hat doch<lb/>
den rechten Gott! &#x017F;prach er.</p><lb/>
        <p>Warum? frug Hadumoth.</p><lb/>
        <p>Er ging in &#x017F;eine Kammer hinüber; im Stroh &#x017F;eines Lagers hatte<lb/>
er allerhand Ge&#x017F;tein untergebracht, er griff einen heraus und brachte<lb/>
ihn herüber: Schau an! &#x017F;prach er. Es war ein glimmeriger grauer<lb/>
Schiefer&#x017F;tein, er um&#x017F;chloß die Re&#x017F;te eines Fi&#x017F;ches, in zartem Umriß<lb/>
waren Haupt, Flo&#x017F;&#x017F;en und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den<lb/>
hab' ich drüben am Schiener Berg<note xml:id="ed123" next="#edt123" place="end" n="123)"/> mitgenommen, da ich die Ziege<lb/>
&#x017F;uchen ging. Der muß von der Fluth &#x017F;ein, von der der Vater Vin-<lb/>
centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels<lb/>
und der Erde über die Welt gehen la&#x017F;&#x017F;en, da er den Noah das große<lb/>
Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts.</p><lb/>
        <p>Hadumoth wurde nachdenklich: Dann i&#x017F;t die Waldfrau Schuld,<lb/>
daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen &#x017F;ind, wir wollen &#x017F;ie beim<lb/>
heiligen Mann verklagen.</p><lb/>
        <p>Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in<lb/>
jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte &#x017F;ie freund-<lb/>
lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig<lb/>
lächelte.</p><lb/>
        <p>Sie haben einen &#x017F;elt&#x017F;amen Ge&#x017F;chmack, meine treuen Unterthanen, &#x017F;prach<lb/>
&#x017F;ie. Ueberall &#x017F;ind ihnen &#x017F;chmucke Kirchen gebaut, &#x017F;anft und eindringlich<lb/>
wird das Wort Gottes verkündet, &#x017F;tattlicher Ge&#x017F;ang, große Fe&#x017F;te, Bitt-<lb/>
gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, &#x2014;<lb/>
und doch i&#x017F;t's nicht genug. Da mü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie noch in kalter Nacht auf<lb/>
ihren Berggipfeln &#x017F;itzen, und wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;elber nicht, was &#x017F;ie dort treiben,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0123] In ſeiner Ziegen Hut war er ſäumig. Eine ſeiner Untergebenen verlief ſich, nach den platten Hügeln hin, die den Lauf des dem Bo- denſee entſtrömenden Rheines umſäumen. Da ging er, ſie zu ſuchen; einen Tag blieb er aus, dann kehrte er mit der Entronnenen zurück. Hadumoth freute ſich des Erfolges, der ihrem Gefährten Schläge erſparte. Der Winter kam mälig heran, die Thiere blieben im Stall. Eines Tages ſaßen die Kinder am Kaminfeuer in der Knechtſtube. Sie waren allein. Du denkſt noch immer an Schatz und Spruch? ſagte Hadumoth. Da zog ſie Audifax geheimnißvoll zu ſich: Der heilige Mann hat doch den rechten Gott! ſprach er. Warum? frug Hadumoth. Er ging in ſeine Kammer hinüber; im Stroh ſeines Lagers hatte er allerhand Geſtein untergebracht, er griff einen heraus und brachte ihn herüber: Schau an! ſprach er. Es war ein glimmeriger grauer Schieferſtein, er umſchloß die Reſte eines Fiſches, in zartem Umriß waren Haupt, Floſſen und Gräthen dem Schiefer eingedrückt. Den hab' ich drüben am Schiener Berg ¹²³⁾ mitgenommen, da ich die Ziege ſuchen ging. Der muß von der Fluth ſein, von der der Vater Vin- centius einmal gepredigt hat, und die Fluth hat der Herr Himmels und der Erde über die Welt gehen laſſen, da er den Noah das große Schiff bauen hieß, davon weiß die Waldfrau nichts. Hadumoth wurde nachdenklich: Dann iſt die Waldfrau Schuld, daß uns die Sterne nicht in Schooß gefallen ſind, wir wollen ſie beim heiligen Mann verklagen. Da gingen die Beiden zu Ekkehard und berichteten ihm, was in jener Nacht auf dem Hohenkrähen vorgegangen. Er hörte ſie freund- lich an. Des Abends erzählte er's der Herzogin. Frau Hadwig lächelte. Sie haben einen ſeltſamen Geſchmack, meine treuen Unterthanen, ſprach ſie. Ueberall ſind ihnen ſchmucke Kirchen gebaut, ſanft und eindringlich wird das Wort Gottes verkündet, ſtattlicher Geſang, große Feſte, Bitt- gänge mit Kreuz und Fahnen durch wogendes Kornfeld und Flur, — und doch iſt's nicht genug. Da müſſen ſie noch in kalter Nacht auf ihren Berggipfeln ſitzen, und wiſſen ſelber nicht, was ſie dort treiben,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/123
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/123>, abgerufen am 25.11.2024.