Hof heruntergestiegen. Bei der Linde stand sie und schaute auf die einziehenden Männer; schon waren die von Sanct Gallen alle im Hofraum versammelt, unverwandt schaute sie nach dem Thor, als müsse noch Einer nachkommen; doch der, den ihr Blick suchte, war nicht unter denen, die da kamen.
In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der Gäste. Der Raum war spärlich gemessen. Im runden Hauptthurm war eine luftige Halle, dort wurde mit aufgeschüttetem Stroh für nothdürftig Nachtlager gesorgt. Wenn das so fortgeht, hatte der Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf stand, so haben wir bald die ganze Pfaffheit Europa's auf unserem Fels beisammen.
Küche und Keller gaben, was sie hatten.
Unten saßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit. Frau Hadwig hatte die beiden Aebte und wer von edeln Gästen sich bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu be- sprechen und zu berathen, ein Summen und Schwirren von Frag und Antwort.
Da erzählte Abt Cralo die Geschicke seines Klosters.166)
Diesmal, sprach er, ist uns die Gefahr schier über's Haupt ge- wachsen. Kaum ward von den Hunnen gesprochen, so tönte der Boden schon vom Hufe ihrer Rosse. Itzt galt's. Die Klosterschule hab' ich in die feste Verschanzung von Wasserburg geschickt, Aristoteles und Cicero werden eine Zeitlang Staub ansetzen, die Jungen mögen Fische im Bodensee fangen, wenn's nicht noch schärfere Arbeit gibt, die alten Professoren sind zu rechter Zeit mit ihnen über's Wasser. Wir aber hatten uns ein festes Castell als Unterschlupf hergerichtet; wo die Sitterbach durch tannbewaldet enges Thal schäumt, war ein trefflich Plätzlein, waldabgeschieden, als wenn keine heidnische Spürnase den Pfad jemals finden sollt', dort bauten wir ein festes Haus mit Thurm und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit -- mög' sie ihm fürder ihren Schutz leihen!
Noch war's nicht unter Dach und Fach, da kamen schon die Boten vom See: flieht, die Hunnen sind da! und vom Rheinthal kamen andere: flieht! war die Losung, der Himmel roth von Brand und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeschrei flüchtender Leute
Hof heruntergeſtiegen. Bei der Linde ſtand ſie und ſchaute auf die einziehenden Männer; ſchon waren die von Sanct Gallen alle im Hofraum verſammelt, unverwandt ſchaute ſie nach dem Thor, als müſſe noch Einer nachkommen; doch der, den ihr Blick ſuchte, war nicht unter denen, die da kamen.
In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der Gäſte. Der Raum war ſpärlich gemeſſen. Im runden Hauptthurm war eine luftige Halle, dort wurde mit aufgeſchüttetem Stroh für nothdürftig Nachtlager geſorgt. Wenn das ſo fortgeht, hatte der Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf ſtand, ſo haben wir bald die ganze Pfaffheit Europa's auf unſerem Fels beiſammen.
Küche und Keller gaben, was ſie hatten.
Unten ſaßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit. Frau Hadwig hatte die beiden Aebte und wer von edeln Gäſten ſich bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu be- ſprechen und zu berathen, ein Summen und Schwirren von Frag und Antwort.
Da erzählte Abt Cralo die Geſchicke ſeines Kloſters.166)
Diesmal, ſprach er, iſt uns die Gefahr ſchier über's Haupt ge- wachſen. Kaum ward von den Hunnen geſprochen, ſo tönte der Boden ſchon vom Hufe ihrer Roſſe. Itzt galt's. Die Kloſterſchule hab' ich in die feſte Verſchanzung von Waſſerburg geſchickt, Ariſtoteles und Cicero werden eine Zeitlang Staub anſetzen, die Jungen mögen Fiſche im Bodenſee fangen, wenn's nicht noch ſchärfere Arbeit gibt, die alten Profeſſoren ſind zu rechter Zeit mit ihnen über's Waſſer. Wir aber hatten uns ein feſtes Caſtell als Unterſchlupf hergerichtet; wo die Sitterbach durch tannbewaldet enges Thal ſchäumt, war ein trefflich Plätzlein, waldabgeſchieden, als wenn keine heidniſche Spürnaſe den Pfad jemals finden ſollt', dort bauten wir ein feſtes Haus mit Thurm und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit — mög' ſie ihm fürder ihren Schutz leihen!
Noch war's nicht unter Dach und Fach, da kamen ſchon die Boten vom See: flieht, die Hunnen ſind da! und vom Rheinthal kamen andere: flieht! war die Loſung, der Himmel roth von Brand und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeſchrei flüchtender Leute
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Hof heruntergeſtiegen. Bei der Linde ſtand ſie und ſchaute auf die
einziehenden Männer; ſchon waren die von Sanct Gallen alle im
Hofraum verſammelt, unverwandt ſchaute ſie nach dem Thor, als
müſſe noch Einer nachkommen; doch der, den ihr Blick ſuchte, war
nicht unter denen, die da kamen.
In der Burg ging es an ein Einrichten und Unterbringen der
Gäſte. Der Raum war ſpärlich gemeſſen. Im runden Hauptthurm
war eine luftige Halle, dort wurde mit aufgeſchüttetem Stroh für
nothdürftig Nachtlager geſorgt. Wenn das ſo fortgeht, hatte der
Schaffner gebrummt, der bald nicht mehr wußte, wo ihm der Kopf
ſtand, ſo haben wir bald die ganze Pfaffheit Europa's auf unſerem
Fels beiſammen.
Küche und Keller gaben, was ſie hatten.
Unten ſaßen Mönche und Kriegsleute bei lärmender Mahlzeit.
Frau Hadwig hatte die beiden Aebte und wer von edeln Gäſten ſich
bei ihr eingefunden, in ihrem Saale vereinigt; es war viel zu be-
ſprechen und zu berathen, ein Summen und Schwirren von Frag
und Antwort.
Da erzählte Abt Cralo die Geſchicke ſeines Kloſters.
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Diesmal, ſprach er, iſt uns die Gefahr ſchier über's Haupt ge-
wachſen. Kaum ward von den Hunnen geſprochen, ſo tönte der Boden
ſchon vom Hufe ihrer Roſſe. Itzt galt's. Die Kloſterſchule hab' ich
in die feſte Verſchanzung von Waſſerburg geſchickt, Ariſtoteles und
Cicero werden eine Zeitlang Staub anſetzen, die Jungen mögen Fiſche
im Bodenſee fangen, wenn's nicht noch ſchärfere Arbeit gibt, die alten
Profeſſoren ſind zu rechter Zeit mit ihnen über's Waſſer. Wir aber
hatten uns ein feſtes Caſtell als Unterſchlupf hergerichtet; wo die
Sitterbach durch tannbewaldet enges Thal ſchäumt, war ein trefflich
Plätzlein, waldabgeſchieden, als wenn keine heidniſche Spürnaſe den
Pfad jemals finden ſollt', dort bauten wir ein feſtes Haus mit Thurm
und Mauer und weihten es der heiligen Dreieinigkeit — mög' ſie
ihm fürder ihren Schutz leihen!
Noch war's nicht unter Dach und Fach, da kamen ſchon die
Boten vom See: flieht, die Hunnen ſind da! und vom Rheinthal
kamen andere: flieht! war die Loſung, der Himmel roth von Brand
und Wachtfeuer, die Luft erfüllt vom Wehgeſchrei flüchtender Leute
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/179>, abgerufen am 21.11.2024.
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