Schatten der Nacht deckten die Erschlagenen, als wolle der Himmel mitleidig verhüllen, was der Menschen Hände da unten geschafft. Dann jagten die Wolken von dannen, als wären sie selber von Grauen getrieben über den Anblick unter ihnen -- andere folgten, auch sie zogen fort, Gestalt und Formen wechselnd, verlierend, in neue über- gehend ... Alles ist unstet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die auf dem Blachfeld lagen still, Freund und Feind, wie das Wogen des Streits sie gebettet.
Eine Gestalt sah der Wächter über die Walstatt huschen, wie die eines Kindes. Sie beugte sich nieder und ging weiter und beugte sich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm sie an- zurufen. Er stand wie gebannt. Es wird der Engel sein, der die Stirn der Todten zeichnet mit dem Buchstaben, auf daß man sie er- kenne wann der Geist dereinst ihr Gebein anbläst, daß sie wieder leben und auf den Füßen stehen und ein Heer sind wie ehedem; so dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte sich und schwieg. Die Gestalt verschwand aus seinen Augen.
Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die Mönche abzulösen. Die Herzogin sandte sie. Herr Simon Bardo war zwar nicht einverstanden. Sieg ist nur halber Sieg, so er nicht benutzt wird, wir müssen den Fliehenden nachrücken bis der letzte von ihnen getilgt ist, hatte er gesagt. Aber die Mönche drangen auf Rückkehr, der Ostertage wegen, und die Andern sprachen: bis wir die mit ihren schnellen Rossen einholen, mögen wir weit ziehen, sie sind gekommen, wir haben sie gehauen, kommen sie wieder, sind neue Hiebe vorräthig -- die Arbeit von gestern ist ihrer Ruhe werth. Da ward beschlossen, die Todten zu begraben vor Anbruch des Osterfestes.
Die Männer trugen Karst und Spaten und schaufelten zwei große Gräber. Es war eine verlassene Kiesgrube seitwärts im Feld, die weiteten sie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen sie der Hunnen Leichname. Waffen und Rüstung wurden abgethan und gesammelt, viel Traglasten von Beutestücken. Und sie warfen die Todten in die Grube, sonder Rücksicht wie sie gebracht wurden -- es war ein wild verschlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und Menschen durcheinander verstrickt, ein Gewühl wie beim Höllensturz der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte sich. Einer der Schaufeln-
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Schatten der Nacht deckten die Erſchlagenen, als wolle der Himmel mitleidig verhüllen, was der Menſchen Hände da unten geſchafft. Dann jagten die Wolken von dannen, als wären ſie ſelber von Grauen getrieben über den Anblick unter ihnen — andere folgten, auch ſie zogen fort, Geſtalt und Formen wechſelnd, verlierend, in neue über- gehend ... Alles iſt unſtet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die auf dem Blachfeld lagen ſtill, Freund und Feind, wie das Wogen des Streits ſie gebettet.
Eine Geſtalt ſah der Wächter über die Walſtatt huſchen, wie die eines Kindes. Sie beugte ſich nieder und ging weiter und beugte ſich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm ſie an- zurufen. Er ſtand wie gebannt. Es wird der Engel ſein, der die Stirn der Todten zeichnet mit dem Buchſtaben, auf daß man ſie er- kenne wann der Geiſt dereinſt ihr Gebein anbläst, daß ſie wieder leben und auf den Füßen ſtehen und ein Heer ſind wie ehedem; ſo dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte ſich und ſchwieg. Die Geſtalt verſchwand aus ſeinen Augen.
Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die Mönche abzulöſen. Die Herzogin ſandte ſie. Herr Simon Bardo war zwar nicht einverſtanden. Sieg iſt nur halber Sieg, ſo er nicht benutzt wird, wir müſſen den Fliehenden nachrücken bis der letzte von ihnen getilgt iſt, hatte er geſagt. Aber die Mönche drangen auf Rückkehr, der Oſtertage wegen, und die Andern ſprachen: bis wir die mit ihren ſchnellen Roſſen einholen, mögen wir weit ziehen, ſie ſind gekommen, wir haben ſie gehauen, kommen ſie wieder, ſind neue Hiebe vorräthig — die Arbeit von geſtern iſt ihrer Ruhe werth. Da ward beſchloſſen, die Todten zu begraben vor Anbruch des Oſterfeſtes.
Die Männer trugen Karſt und Spaten und ſchaufelten zwei große Gräber. Es war eine verlaſſene Kiesgrube ſeitwärts im Feld, die weiteten ſie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen ſie der Hunnen Leichname. Waffen und Rüſtung wurden abgethan und geſammelt, viel Traglaſten von Beuteſtücken. Und ſie warfen die Todten in die Grube, ſonder Rückſicht wie ſie gebracht wurden — es war ein wild verſchlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und Menſchen durcheinander verſtrickt, ein Gewühl wie beim Höllenſturz der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte ſich. Einer der Schaufeln-
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Schatten der Nacht deckten die Erſchlagenen, als wolle der Himmel
mitleidig verhüllen, was der Menſchen Hände da unten geſchafft.
Dann jagten die Wolken von dannen, als wären ſie ſelber von Grauen
getrieben über den Anblick unter ihnen — andere folgten, auch ſie
zogen fort, Geſtalt und Formen wechſelnd, verlierend, in neue über-
gehend ... Alles iſt unſtet, nur im Tod ewige eherne Ruhe. Die
auf dem Blachfeld lagen ſtill, Freund und Feind, wie das Wogen
des Streits ſie gebettet.
Eine Geſtalt ſah der Wächter über die Walſtatt huſchen, wie die
eines Kindes. Sie beugte ſich nieder und ging weiter und beugte
ſich abermals und wandelte auf und ab, aber es grauste ihm ſie an-
zurufen. Er ſtand wie gebannt. Es wird der Engel ſein, der die
Stirn der Todten zeichnet mit dem Buchſtaben, auf daß man ſie er-
kenne wann der Geiſt dereinſt ihr Gebein anbläst, daß ſie wieder
leben und auf den Füßen ſtehen und ein Heer ſind wie ehedem; ſo
dachte er nach dem Bild des Propheten, bekreuzte ſich und ſchwieg.
Die Geſtalt verſchwand aus ſeinen Augen.
Der Morgen graute, da kamen viel Männer vom Heerbann, die
Mönche abzulöſen. Die Herzogin ſandte ſie. Herr Simon Bardo
war zwar nicht einverſtanden. Sieg iſt nur halber Sieg, ſo er nicht
benutzt wird, wir müſſen den Fliehenden nachrücken bis der letzte von
ihnen getilgt iſt, hatte er geſagt. Aber die Mönche drangen auf
Rückkehr, der Oſtertage wegen, und die Andern ſprachen: bis wir
die mit ihren ſchnellen Roſſen einholen, mögen wir weit ziehen, ſie
ſind gekommen, wir haben ſie gehauen, kommen ſie wieder, ſind neue
Hiebe vorräthig — die Arbeit von geſtern iſt ihrer Ruhe werth. Da
ward beſchloſſen, die Todten zu begraben vor Anbruch des Oſterfeſtes.
Die Männer trugen Karſt und Spaten und ſchaufelten zwei
große Gräber. Es war eine verlaſſene Kiesgrube ſeitwärts im Feld,
die weiteten ſie aus zu geräumigem Ruheplatz. Dorthin trugen ſie
der Hunnen Leichname. Waffen und Rüſtung wurden abgethan und
geſammelt, viel Traglaſten von Beuteſtücken. Und ſie warfen die
Todten in die Grube, ſonder Rückſicht wie ſie gebracht wurden —
es war ein wild verſchlungener Knäuel von Gliedmaßen, Roß und
Menſchen durcheinander verſtrickt, ein Gewühl wie beim Höllenſturz
der abtrünnigen Engel. Die Tiefe füllte ſich. Einer der Schaufeln-
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/217>, abgerufen am 04.12.2024.
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