Ich glaub' mein Gefangener gefällt dir, rief ihr Herr Spazzo eines Morgens zu, als der Hunn' fleißig mit Holzspalten beschäftigt war. Dunkelroth färbten sich die Wangen der hohen Gestalt. Sie schlug die Augen nieder. -- Wenn der Bursch deutsch reden könnt' und kein verdammter Heidenmensch wär' ... fuhr Herr Spazzo fort.
Die Schlanke schwieg verschämt.
Ich weiß, daß du ein Glück verdienst, Friderun ... sprach Herr Spazzo weiter. Da löste sich Friderun's Zunge: Von wegen des deutsch Redens .. sagte sie mit fortwährend gesenktem Blick, auf die Sprache käm' mir's gar nicht an. Und wenn er ein Heide ist, so braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ...
Was aber?
Er kann nicht sitzen beim Essen wie ein vernünftiger Mensch. Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn's ihm schmecken soll.
Das wird ihm ein Ehegespons wie du sattsam austreiben. Habt ihr euch schon verständigt?
Friderun schwieg abermals. Plötzlich lief sie davon wie ein ge- hetztes Wild, die Holzschuhe klapperten auf dem Steinpflaster des Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzspaltenden Cappan, schlug ihm auf die Schulter, daß er aufschaute, deutete mit gehobenem Zeige- finger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte ihn scharf an. Der Hunn' aber fuhr mit dem rechten Arm auf die Brust, neigte sich, that dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß er sich um sich selber herum drehte, wie der Erdball um seine Achse, und verzog seinen Mund zu fröhlichem Grinsen.
Da wußte Herr Spazzo, wie es mit Beider Gemüth beschaffen war.198) Friderun hatte des Hunnen Luftsprung nicht erschaut. Zweifel lasteten noch auf ihrer Seele, darum erging sie sich vor dem Burgthor; sie hatte eine Wiesenblume gepflückt und zupfte die weißen Blumenblättlein, eines nach dem andern: er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich. Wie sie alle ein Spiel der Winde geworden bis auf's Letzte, hörte ihr Gemurmel auf; sie sah den kahlen Blumen- rest mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an199) und nickte wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo der Kämmerer aber trug die Sache seines Gefangenen der Herzogin vor. Geschäftigen Geistes
Ich glaub' mein Gefangener gefällt dir, rief ihr Herr Spazzo eines Morgens zu, als der Hunn' fleißig mit Holzſpalten beſchäftigt war. Dunkelroth färbten ſich die Wangen der hohen Geſtalt. Sie ſchlug die Augen nieder. — Wenn der Burſch deutſch reden könnt' und kein verdammter Heidenmenſch wär' ... fuhr Herr Spazzo fort.
Die Schlanke ſchwieg verſchämt.
Ich weiß, daß du ein Glück verdienſt, Friderun ... ſprach Herr Spazzo weiter. Da löste ſich Friderun's Zunge: Von wegen des deutſch Redens .. ſagte ſie mit fortwährend geſenktem Blick, auf die Sprache käm' mir's gar nicht an. Und wenn er ein Heide iſt, ſo braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ...
Was aber?
Er kann nicht ſitzen beim Eſſen wie ein vernünftiger Menſch. Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn's ihm ſchmecken ſoll.
Das wird ihm ein Ehegeſpons wie du ſattſam austreiben. Habt ihr euch ſchon verſtändigt?
Friderun ſchwieg abermals. Plötzlich lief ſie davon wie ein ge- hetztes Wild, die Holzſchuhe klapperten auf dem Steinpflaſter des Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzſpaltenden Cappan, ſchlug ihm auf die Schulter, daß er aufſchaute, deutete mit gehobenem Zeige- finger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte ihn ſcharf an. Der Hunn' aber fuhr mit dem rechten Arm auf die Bruſt, neigte ſich, that dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß er ſich um ſich ſelber herum drehte, wie der Erdball um ſeine Achſe, und verzog ſeinen Mund zu fröhlichem Grinſen.
Da wußte Herr Spazzo, wie es mit Beider Gemüth beſchaffen war.198) Friderun hatte des Hunnen Luftſprung nicht erſchaut. Zweifel laſteten noch auf ihrer Seele, darum erging ſie ſich vor dem Burgthor; ſie hatte eine Wieſenblume gepflückt und zupfte die weißen Blumenblättlein, eines nach dem andern: er liebt mich, er liebt mich nicht, er liebt mich. Wie ſie alle ein Spiel der Winde geworden bis auf's Letzte, hörte ihr Gemurmel auf; ſie ſah den kahlen Blumen- reſt mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an199) und nickte wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo der Kämmerer aber trug die Sache ſeines Gefangenen der Herzogin vor. Geſchäftigen Geiſtes
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Ich glaub' mein Gefangener gefällt dir, rief ihr Herr Spazzo
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war. Dunkelroth färbten ſich die Wangen der hohen Geſtalt. Sie
ſchlug die Augen nieder. — Wenn der Burſch deutſch reden könnt'
und kein verdammter Heidenmenſch wär' ... fuhr Herr Spazzo fort.
Die Schlanke ſchwieg verſchämt.
Ich weiß, daß du ein Glück verdienſt, Friderun ... ſprach Herr
Spazzo weiter. Da löste ſich Friderun's Zunge: Von wegen des
deutſch Redens .. ſagte ſie mit fortwährend geſenktem Blick, auf die
Sprache käm' mir's gar nicht an. Und wenn er ein Heide iſt, ſo
braucht er ja keiner zu bleiben. Aber ...
Was aber?
Er kann nicht ſitzen beim Eſſen wie ein vernünftiger Menſch.
Er liegt immer den langen Weg auf dem Boden, wenn's ihm
ſchmecken ſoll.
Das wird ihm ein Ehegeſpons wie du ſattſam austreiben. Habt
ihr euch ſchon verſtändigt?
Friderun ſchwieg abermals. Plötzlich lief ſie davon wie ein ge-
hetztes Wild, die Holzſchuhe klapperten auf dem Steinpflaſter des
Hofes. Da ging Herr Spazzo zum holzſpaltenden Cappan, ſchlug
ihm auf die Schulter, daß er aufſchaute, deutete mit gehobenem Zeige-
finger auf die Fliehende, nickte mit dem Haupt fragend und blickte
ihn ſcharf an. Der Hunn' aber fuhr mit dem rechten Arm auf die
Bruſt, neigte ſich, that dann einen mächtigen Satz in die Höhe, daß
er ſich um ſich ſelber herum drehte, wie der Erdball um ſeine Achſe,
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Da wußte Herr Spazzo, wie es mit Beider Gemüth beſchaffen
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Friderun hatte des Hunnen Luftſprung nicht erſchaut.
Zweifel laſteten noch auf ihrer Seele, darum erging ſie ſich vor dem
Burgthor; ſie hatte eine Wieſenblume gepflückt und zupfte die weißen
Blumenblättlein, eines nach dem andern: er liebt mich, er liebt mich
nicht, er liebt mich. Wie ſie alle ein Spiel der Winde geworden
bis auf's Letzte, hörte ihr Gemurmel auf; ſie ſah den kahlen Blumen-
reſt mit dem einen kleinen weißen Blättlein verklärt an
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und nickte
wohlgefällig lächelnd darauf nieder. Spazzo der Kämmerer aber trug
die Sache ſeines Gefangenen der Herzogin vor. Geſchäftigen Geiſtes
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/239>, abgerufen am 04.12.2024.
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