Preis auszusetzen. Siegt Einer von Euch Männern, so mög' er das uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her dro- ben im großen Saal hängt; siegt meine treue Praxedis, so wird ein Schmuckstück ihrer harren. Halmzug bestimme den Anfang!
Praxedis hatte vier Grashalme von verschiedener Länge geordnet und reichte sie der Herzogin.
Soll ich für den jungen Verskünstler auch ein Hälmlein beifügen? fragte sie.
Aber Burkard sprach mit weinerlicher Stimme:
Ich bitt' Euch, verschonet mich. Denn wenn meine Lehrer in Sanct Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen Mähren ergötzt, so würd' ich gestraft wie damals, als wir auf Ro- meias Wächterstube die Geschichte vom alten Hildebrand und seinem Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer seine Freude dran gehabt und hat uns selber die hölzernen Rosse geschnitzt und die langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand gewesen und mein Mitschüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine so große Unterlippe hat, wie ein alter Mann. Und wir sind auf einand eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenster hinauswir- belte; just hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe gereicht, wie das Lied es vorschreibt,237) und ich sprach zu ihm:
Du scheinst mir, alter Heune, doch allzuschlau; lockest mich mit deinen Worten, willst mich mit deinem Speere werfen; bist du so zum Alter gekommen, daß du immer trogest? Mir kündeten Seefahrende westlich über den Wendelsee: hinweg nahm ihn der Krieg, todt ist Hildebrand, Heribrand's Erzeugter! --
Da kam Herr Ratolt unser Lehrer der Rhetorica heraufgeschlichen und fuhr mit seiner großen Ruthe so grimmig zwischen uns, daß Roß und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias schalt er einen altväterischen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ab- lenke, und mein Kamerad Notker und ich sind drei Tage bei Wasser und Brod eingesperrt gesessen und haben zur Strafe für's Hildebrand- spiel jeder hundertundfünfzig lateinische Hexameter zu Ehren des hei- ligen Othmar anfertigen müssen ...
Die Herzogin lächelte. Da sei Gott für, daß wir dich wiederum zu solcher Sünde verleiten, sprach sie.
Preis auszuſetzen. Siegt Einer von Euch Männern, ſo mög' er das uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her dro- ben im großen Saal hängt; ſiegt meine treue Praxedis, ſo wird ein Schmuckſtück ihrer harren. Halmzug beſtimme den Anfang!
Praxedis hatte vier Grashalme von verſchiedener Länge geordnet und reichte ſie der Herzogin.
Soll ich für den jungen Verskünſtler auch ein Hälmlein beifügen? fragte ſie.
Aber Burkard ſprach mit weinerlicher Stimme:
Ich bitt' Euch, verſchonet mich. Denn wenn meine Lehrer in Sanct Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen Mähren ergötzt, ſo würd' ich geſtraft wie damals, als wir auf Ro- meias Wächterſtube die Geſchichte vom alten Hildebrand und ſeinem Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer ſeine Freude dran gehabt und hat uns ſelber die hölzernen Roſſe geſchnitzt und die langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand geweſen und mein Mitſchüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine ſo große Unterlippe hat, wie ein alter Mann. Und wir ſind auf einand eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenſter hinauswir- belte; juſt hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe gereicht, wie das Lied es vorſchreibt,237) und ich ſprach zu ihm:
Du ſcheinſt mir, alter Heune, doch allzuſchlau; lockeſt mich mit deinen Worten, willſt mich mit deinem Speere werfen; biſt du ſo zum Alter gekommen, daß du immer trogeſt? Mir kündeten Seefahrende weſtlich über den Wendelſee: hinweg nahm ihn der Krieg, todt iſt Hildebrand, Heribrand's Erzeugter! —
Da kam Herr Ratolt unſer Lehrer der Rhetorica heraufgeſchlichen und fuhr mit ſeiner großen Ruthe ſo grimmig zwiſchen uns, daß Roß und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias ſchalt er einen altväteriſchen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ab- lenke, und mein Kamerad Notker und ich ſind drei Tage bei Waſſer und Brod eingeſperrt geſeſſen und haben zur Strafe für's Hildebrand- ſpiel jeder hundertundfünfzig lateiniſche Hexameter zu Ehren des hei- ligen Othmar anfertigen müſſen ...
Die Herzogin lächelte. Da ſei Gott für, daß wir dich wiederum zu ſolcher Sünde verleiten, ſprach ſie.
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Preis auszuſetzen. Siegt Einer von Euch Männern, ſo mög' er das
uralte Trinkhorn gewinnen, das aus König Dagoberts Zeiten her dro-
ben im großen Saal hängt; ſiegt meine treue Praxedis, ſo wird ein
Schmuckſtück ihrer harren. Halmzug beſtimme den Anfang!
Praxedis hatte vier Grashalme von verſchiedener Länge geordnet
und reichte ſie der Herzogin.
Soll ich für den jungen Verskünſtler auch ein Hälmlein beifügen?
fragte ſie.
Aber Burkard ſprach mit weinerlicher Stimme:
Ich bitt' Euch, verſchonet mich. Denn wenn meine Lehrer in
Sanct Gallen erfahren möchten, daß ich mich wiederum an unnützen
Mähren ergötzt, ſo würd' ich geſtraft wie damals, als wir auf Ro-
meias Wächterſtube die Geſchichte vom alten Hildebrand und ſeinem
Sohn Hadubrand aufführten. Der Wächter hat immer ſeine Freude
dran gehabt und hat uns ſelber die hölzernen Roſſe geſchnitzt und die
langen dreieckigen Schilde; ich bin der Sohn Hadubrand geweſen und
mein Mitſchüler Notker machte den alten Hildebrand, weil er eine ſo
große Unterlippe hat, wie ein alter Mann. Und wir ſind auf einand
eingeritten, daß eine Staubwolke zu des Romeias Fenſter hinauswir-
belte; juſt hatte Notker den Armring losgelöst und mir als Gabe
gereicht, wie das Lied es vorſchreibt,
²³⁷⁾
und ich ſprach zu ihm:
Du ſcheinſt mir, alter Heune, doch allzuſchlau; lockeſt mich mit
deinen Worten, willſt mich mit deinem Speere werfen; biſt du ſo zum
Alter gekommen, daß du immer trogeſt? Mir kündeten Seefahrende
weſtlich über den Wendelſee: hinweg nahm ihn der Krieg, todt iſt
Hildebrand, Heribrand's Erzeugter! —
Da kam Herr Ratolt unſer Lehrer der Rhetorica heraufgeſchlichen
und fuhr mit ſeiner großen Ruthe ſo grimmig zwiſchen uns, daß Roß
und Schild und Schwert den Händen entfielen: den Romeias ſchalt er
einen altväteriſchen Bärenhäuter, der uns von nützlichem Studium ab-
lenke, und mein Kamerad Notker und ich ſind drei Tage bei Waſſer
und Brod eingeſperrt geſeſſen und haben zur Strafe für's Hildebrand-
ſpiel jeder hundertundfünfzig lateiniſche Hexameter zu Ehren des hei-
ligen Othmar anfertigen müſſen ...
Die Herzogin lächelte. Da ſei Gott für, daß wir dich wiederum
zu ſolcher Sünde verleiten, ſprach ſie.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/308>, abgerufen am 21.11.2024.
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