Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

die Armen, denn sie waren sein nicht mehr gewohnt. Da nahmen sie
die zwölf Grafen und ließen sie aus dem Kerker gehen; jedwedem
folgte sein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen sauer. Voran
schritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerrissen Schürzlein um die
Lenden geschlungen und sein Bart war lang und struppig, der Leib
aber zerschunden. Herr Dietrich stund traurig und wandte sich zur
Seite, daß sie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen
an, denn noch niemals war ihm das Leid so nah gestanden. Er hieß
sie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen sprachen: Wer
war der, der seitab stand? der will uns sicher wohl. Und sie lachten
in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.

Anderen Tages nun lud die Kaiserstochter die Vielgeprüften zu
Hofe, und schenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ sie in die
warme Badstube setzen und einen Tisch richten sie zu atzen. Wie nun
die Herren saßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich
seine Harfe und schlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er-
klingen: er griff die Singweise, die er einst gegriffen am Meeresstrand.
Lupolt hatte den Becher erhoben, da entsank er seiner Hand, daß er
den Wein niedergoß auf den Tisch, und Einer, der das Brod schnitt,
ließ sein Messer fallen und Alle horchten staunend: voller und heller
erklang ihres Königs Singweise, da sprang Lupolt über den Tisch und
alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft
plötzlich über sie gekommen, und sie rissen den Umhang nieder und
küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende.

Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König
Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß
Constantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam -- er mochte wollen oder
nicht, so mußte er sie zusammengeben, und die Gesandten stiegen
nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich
und küßte seine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war
ein glückseliger Mann und hielt sie hoch in Ehren und wenn sie in
Minne beisammen saßen, sprachen sie: Gelobt sei Gott und Mannes-
muth und kluger Kammerfrauen List!

Das ist die Mähr vom König Rother!241) ... Praxedis hatte lang erzählt.

die Armen, denn ſie waren ſein nicht mehr gewohnt. Da nahmen ſie
die zwölf Grafen und ließen ſie aus dem Kerker gehen; jedwedem
folgte ſein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen ſauer. Voran
ſchritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerriſſen Schürzlein um die
Lenden geſchlungen und ſein Bart war lang und ſtruppig, der Leib
aber zerſchunden. Herr Dietrich ſtund traurig und wandte ſich zur
Seite, daß ſie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen
an, denn noch niemals war ihm das Leid ſo nah geſtanden. Er hieß
ſie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen ſprachen: Wer
war der, der ſeitab ſtand? der will uns ſicher wohl. Und ſie lachten
in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.

Anderen Tages nun lud die Kaiſerstochter die Vielgeprüften zu
Hofe, und ſchenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ ſie in die
warme Badſtube ſetzen und einen Tiſch richten ſie zu atzen. Wie nun
die Herren ſaßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich
ſeine Harfe und ſchlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er-
klingen: er griff die Singweiſe, die er einſt gegriffen am Meeresſtrand.
Lupolt hatte den Becher erhoben, da entſank er ſeiner Hand, daß er
den Wein niedergoß auf den Tiſch, und Einer, der das Brod ſchnitt,
ließ ſein Meſſer fallen und Alle horchten ſtaunend: voller und heller
erklang ihres Königs Singweiſe, da ſprang Lupolt über den Tiſch und
alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft
plötzlich über ſie gekommen, und ſie riſſen den Umhang nieder und
küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende.

Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König
Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß
Conſtantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam — er mochte wollen oder
nicht, ſo mußte er ſie zuſammengeben, und die Geſandten ſtiegen
nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich
und küßte ſeine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war
ein glückſeliger Mann und hielt ſie hoch in Ehren und wenn ſie in
Minne beiſammen ſaßen, ſprachen ſie: Gelobt ſei Gott und Mannes-
muth und kluger Kammerfrauen Liſt!

Das iſt die Mähr vom König Rother!241) ... Praxedis hatte lang erzählt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0321" n="299"/>
die Armen, denn &#x017F;ie waren &#x017F;ein nicht mehr gewohnt. Da nahmen &#x017F;ie<lb/>
die zwölf Grafen und ließen &#x017F;ie aus dem Kerker gehen; jedwedem<lb/>
folgte &#x017F;ein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen &#x017F;auer. Voran<lb/>
&#x017F;chritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerri&#x017F;&#x017F;en Schürzlein um die<lb/>
Lenden ge&#x017F;chlungen und &#x017F;ein Bart war lang und &#x017F;truppig, der Leib<lb/>
aber zer&#x017F;chunden. Herr Dietrich &#x017F;tund traurig und wandte &#x017F;ich zur<lb/>
Seite, daß &#x017F;ie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen<lb/>
an, denn noch niemals war ihm das Leid &#x017F;o nah ge&#x017F;tanden. Er hieß<lb/>
&#x017F;ie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen &#x017F;prachen: Wer<lb/>
war der, der &#x017F;eitab &#x017F;tand? der will uns &#x017F;icher wohl. Und &#x017F;ie lachten<lb/>
in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht.</p><lb/>
        <p>Anderen Tages nun lud die Kai&#x017F;erstochter die Vielgeprüften zu<lb/>
Hofe, und &#x017F;chenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ &#x017F;ie in die<lb/>
warme Bad&#x017F;tube &#x017F;etzen und einen Ti&#x017F;ch richten &#x017F;ie zu atzen. Wie nun<lb/>
die Herren &#x017F;aßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich<lb/>
&#x017F;eine Harfe und &#x017F;chlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er-<lb/>
klingen: er griff die Singwei&#x017F;e, die er ein&#x017F;t gegriffen am Meeres&#x017F;trand.<lb/>
Lupolt hatte den Becher erhoben, da ent&#x017F;ank er &#x017F;einer Hand, daß er<lb/>
den Wein niedergoß auf den Ti&#x017F;ch, und Einer, der das Brod &#x017F;chnitt,<lb/>
ließ &#x017F;ein Me&#x017F;&#x017F;er fallen und Alle horchten &#x017F;taunend: voller und heller<lb/>
erklang ihres Königs Singwei&#x017F;e, da &#x017F;prang Lupolt über den Ti&#x017F;ch und<lb/>
alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft<lb/>
plötzlich über &#x017F;ie gekommen, und &#x017F;ie ri&#x017F;&#x017F;en den Umhang nieder und<lb/>
küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende.</p><lb/>
        <p>Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König<lb/>
Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß<lb/>
Con&#x017F;tantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam &#x2014; er mochte wollen oder<lb/>
nicht, &#x017F;o mußte er &#x017F;ie zu&#x017F;ammengeben, und die Ge&#x017F;andten &#x017F;tiegen<lb/>
nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich<lb/>
und küßte &#x017F;eine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war<lb/>
ein glück&#x017F;eliger Mann und hielt &#x017F;ie hoch in Ehren und wenn &#x017F;ie in<lb/>
Minne bei&#x017F;ammen &#x017F;aßen, &#x017F;prachen &#x017F;ie: Gelobt &#x017F;ei Gott und Mannes-<lb/>
muth und kluger Kammerfrauen Li&#x017F;t!</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t die Mähr vom König Rother!<note xml:id="ed241" next="#edt241" place="end" n="241)"/><lb/>
... Praxedis hatte lang erzählt.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[299/0321] die Armen, denn ſie waren ſein nicht mehr gewohnt. Da nahmen ſie die zwölf Grafen und ließen ſie aus dem Kerker gehen; jedwedem folgte ſein Rittersmann, und das Gehen fiel ihnen ſauer. Voran ſchritt Lupolt ihr Führer, der hatte ein zerriſſen Schürzlein um die Lenden geſchlungen und ſein Bart war lang und ſtruppig, der Leib aber zerſchunden. Herr Dietrich ſtund traurig und wandte ſich zur Seite, daß ſie ihn nicht erkennten und hielt mit Gewalt die Thränen an, denn noch niemals war ihm das Leid ſo nah geſtanden. Er hieß ſie zur Herberge führen und pflegen und die Grafen ſprachen: Wer war der, der ſeitab ſtand? der will uns ſicher wohl. Und ſie lachten in Freud und Leid zugleich, aber kannten ihn nicht. Anderen Tages nun lud die Kaiſerstochter die Vielgeprüften zu Hofe, und ſchenkte ihnen gute funkelnde Gewänder und ließ ſie in die warme Badſtube ſetzen und einen Tiſch richten ſie zu atzen. Wie nun die Herren ſaßen und ihres Leids ein Theil vergaßen, nahm Dieterich ſeine Harfe und ſchlich hinter den Umhang und ließ die Saiten er- klingen: er griff die Singweiſe, die er einſt gegriffen am Meeresſtrand. Lupolt hatte den Becher erhoben, da entſank er ſeiner Hand, daß er den Wein niedergoß auf den Tiſch, und Einer, der das Brod ſchnitt, ließ ſein Meſſer fallen und Alle horchten ſtaunend: voller und heller erklang ihres Königs Singweiſe, da ſprang Lupolt über den Tiſch und alle Grafen und Ritter ihm nach, als wär' ein Hauch alter Kraft plötzlich über ſie gekommen, und ſie riſſen den Umhang nieder und küßten den Harfner und knieten vor ihm und des Jubels war kein Ende. Da wußte die Jungfrau, daß er treu und wahrhaft der König Rother von Wikingland war, und that einen lauten Freudenruf, daß Conſtantinus, ihr Vater, herzugelaufen kam — er mochte wollen oder nicht, ſo mußte er ſie zuſammengeben, und die Geſandten ſtiegen nimmermehr in ihren Kerker und Rother hieß nimmermehr Dieterich und küßte ſeine Braut und fuhr mit ihr heim über's Meer und war ein glückſeliger Mann und hielt ſie hoch in Ehren und wenn ſie in Minne beiſammen ſaßen, ſprachen ſie: Gelobt ſei Gott und Mannes- muth und kluger Kammerfrauen Liſt! Das iſt die Mähr vom König Rother! ²⁴¹⁾ ... Praxedis hatte lang erzählt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/321
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/321>, abgerufen am 21.11.2024.