der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!11) zu und schwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend schritt sie durch die Reihen und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber es galt kein langes Verweilen. Schon standen die Rosse bereit, die waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeschickt worden; wie Alle im Sattel saßen, sprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da schau- ten sich die Dienstleute verwundert an: Was soll uns die Wallfahrt? Zum Antworten war's nicht Zeit, schon ging's im Trab das hügelige Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.
Sanct Benedict und seine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer Klöster wohl verstanden. Land ab, Land auf, so irgendwo eine An- siedelung steht, die gleich einer Festung einen ganzen Strich beherrscht, als Schlüssel zu einem Thal, als Mittelpunkt sich kreuzender Heer- straßen, als Hort des feinsten Weinwuchses: so mag der Vorüberwan- dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung aussprechen, daß sothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu- gehört habe, denn heutigen Tages sind die Klöster seltener und die Wirthshäuser häufiger, was mit steigender Bildung zusammenhängt.
Auch der irische Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er, nach Waldluft gierig,12) in helvetischer Einöde sich festsetzte; ein hoch- gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Gestaden des See's gesondert, steinige Waldbäche brausen vorüber, und die riesigen Wände des Alpsteins, dessen Spitzen mit ewigem Schnee um- hüllt im Gewölke verschwinden, erheben sich als schirmende Mauer zur Seite.
Es war ein sonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion und Erin auf's germanische Festland führte. Genau besehen ist's ihnen kaum zu allzu hohem Verdienst anzurechnen. "Die Gewohnheit in die Fremde zu ziehen, ist den Briten so in die Natur gewachsen, daß sie nicht anders können";13) schrieb schon in Karl des Großen Tagen ein unbefangener schwäbischer Mann. Sie kamen, als Vorfahren der heutigen Touristen, man kannte sie schon von Weitem am fremdartig zugeschnittenen Felleisen.14) Und ein Mancher blieb haften und ging nimmer heim, wiewohl die ehrsamen Landesbewohner ihn für sehr un- nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri- tischen Wesens, lebensgewandte Kunst sich einzurichten und beim Volk
der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!11) zu und ſchwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend ſchritt ſie durch die Reihen und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber es galt kein langes Verweilen. Schon ſtanden die Roſſe bereit, die waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeſchickt worden; wie Alle im Sattel ſaßen, ſprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da ſchau- ten ſich die Dienſtleute verwundert an: Was ſoll uns die Wallfahrt? Zum Antworten war's nicht Zeit, ſchon ging's im Trab das hügelige Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.
Sanct Benedict und ſeine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer Klöſter wohl verſtanden. Land ab, Land auf, ſo irgendwo eine An- ſiedelung ſteht, die gleich einer Feſtung einen ganzen Strich beherrſcht, als Schlüſſel zu einem Thal, als Mittelpunkt ſich kreuzender Heer- ſtraßen, als Hort des feinſten Weinwuchſes: ſo mag der Vorüberwan- dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung ausſprechen, daß ſothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu- gehört habe, denn heutigen Tages ſind die Klöſter ſeltener und die Wirthshäuſer häufiger, was mit ſteigender Bildung zuſammenhängt.
Auch der iriſche Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er, nach Waldluft gierig,12) in helvetiſcher Einöde ſich feſtſetzte; ein hoch- gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Geſtaden des See's geſondert, ſteinige Waldbäche brauſen vorüber, und die rieſigen Wände des Alpſteins, deſſen Spitzen mit ewigem Schnee um- hüllt im Gewölke verſchwinden, erheben ſich als ſchirmende Mauer zur Seite.
Es war ein ſonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion und Erin auf's germaniſche Feſtland führte. Genau beſehen iſt's ihnen kaum zu allzu hohem Verdienſt anzurechnen. „Die Gewohnheit in die Fremde zu ziehen, iſt den Briten ſo in die Natur gewachſen, daß ſie nicht anders können“;13) ſchrieb ſchon in Karl des Großen Tagen ein unbefangener ſchwäbiſcher Mann. Sie kamen, als Vorfahren der heutigen Touriſten, man kannte ſie ſchon von Weitem am fremdartig zugeſchnittenen Felleiſen.14) Und ein Mancher blieb haften und ging nimmer heim, wiewohl die ehrſamen Landesbewohner ihn für ſehr un- nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri- tiſchen Weſens, lebensgewandte Kunſt ſich einzurichten und beim Volk
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der Landesherrin ein rauhes: Heil Herro! Heil Liebo!
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ſchwangen mächtige Tannenzweige. Grüßend ſchritt ſie durch die Reihen
und gebot ihrem Kämmerer, etliche Silbermünzen auszuwerfen, aber
es galt kein langes Verweilen. Schon ſtanden die Roſſe bereit, die
waren zur Nachtzeit insgeheim vorausgeſchickt worden; wie Alle im
Sattel ſaßen, ſprach Frau Hadwig: Zum heiligen Gallus! Da ſchau-
ten ſich die Dienſtleute verwundert an: Was ſoll uns die Wallfahrt?
Zum Antworten war's nicht Zeit, ſchon ging's im Trab das hügelige
Stück Landes hinauf, dem Gotteshaus entgegen.
Sanct Benedict und ſeine Schüler haben die bauliche Anlage ihrer
Klöſter wohl verſtanden. Land ab, Land auf, ſo irgendwo eine An-
ſiedelung ſteht, die gleich einer Feſtung einen ganzen Strich beherrſcht,
als Schlüſſel zu einem Thal, als Mittelpunkt ſich kreuzender Heer-
ſtraßen, als Hort des feinſten Weinwuchſes: ſo mag der Vorüberwan-
dernde bis auf weitere Widerlegung die Vermuthung ausſprechen, daß
ſothanes Gotteshaus dem Orden Benedicti zugehöre oder vielmehr zu-
gehört habe, denn heutigen Tages ſind die Klöſter ſeltener und die
Wirthshäuſer häufiger, was mit ſteigender Bildung zuſammenhängt.
Auch der iriſche Gallus hatte einen löblichen Platz erwählt, da er,
nach Waldluft gierig,
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in helvetiſcher Einöde ſich feſtſetzte; ein hoch-
gelegenes Thal, durch dunkle Bergrücken von den milderen Geſtaden
des See's geſondert, ſteinige Waldbäche brauſen vorüber, und die
rieſigen Wände des Alpſteins, deſſen Spitzen mit ewigem Schnee um-
hüllt im Gewölke verſchwinden, erheben ſich als ſchirmende Mauer
zur Seite.
Es war ein ſonderbarer Zug, der jene Glaubensboten von Albion
und Erin auf's germaniſche Feſtland führte. Genau beſehen iſt's ihnen
kaum zu allzu hohem Verdienſt anzurechnen. „Die Gewohnheit in
die Fremde zu ziehen, iſt den Briten ſo in die Natur gewachſen, daß
ſie nicht anders können“;
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ſchrieb ſchon in Karl des Großen Tagen
ein unbefangener ſchwäbiſcher Mann. Sie kamen, als Vorfahren der
heutigen Touriſten, man kannte ſie ſchon von Weitem am fremdartig
zugeſchnittenen Felleiſen.
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Und ein Mancher blieb haften und ging
nimmer heim, wiewohl die ehrſamen Landesbewohner ihn für ſehr un-
nöthig halten mochten. Aber die größere Zähigkeit, das Erbtheil bri-
tiſchen Weſens, lebensgewandte Kunſt ſich einzurichten und beim Volk
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/33>, abgerufen am 23.11.2024.
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