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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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Jetzt stand er unten; da lag geheimnißvoll lockend der grüne See-
alpsee, vom Mondlicht umzittert. Von den verfaulten Stämmen am
Ufer ging ein gespenstig Scheinen. Es ward trüb vor Ekkehard's
Blick: Nimm du mich auf! rief er, mein Herz will Ruhe!

Er rannte hinein in die stille glatte Fluth, -- aber der Boden
wich nicht unter ihm, wohlthätig kühlend drang ihm des Bergsees
Frische durch Mark und Bein.

Schon stund er bis an die Brust im Wasser, da hemmte er sei-
nen Schritt. Wirr schaute er auf: die weißen Wolken waren ver-
schwunden, vom Mond in Duft zerlöst, traurig prächtig funkelte Stern
an Stern ihm zu Häupten.

In kühn phantastischer Linie schwang die Möglisalp ihren bis zur
höchsten Höhe grasumwachsenen Gipfel mondaufwärts; ihr zur Linken
ruhig und ernst das durchfurchte Haupt des alten Mann, zur Rechten,
aus gedoppeltem Eisfeld sich emporthürmend die graue Pyramide des
Säntis, Zacken und Felshörner ringsum wie furchtbare Schrecken der
Nacht. Da knieete Ekkehard auf den Steinboden des Sees, daß ihm
die Fluth über dem Haupt zusammenschlug, dann tauchte er wieder
auf und stund unbeweglich, die Arme hoch erhoben wie ein Beter.264)

Der Mond ging über dem Säntis unter, bläulicher Schimmer
leuchtete auf dem alten Schnee der Gletscher, da zuckte ein stechender
Schmerz durch Ekkehard's Gehirn, die Berge um ihn tanzten und
schwankten, sausendes Getön strömte durch die Wälder, aufschäumte
der See, viel tausend werdende Frösche in schwarzer Kaulquappengestalt
wimmelten in den Wogen ... Aber in thauiger Schöne stieg die Ge-
stalt eines Weibes265) empor und entschwebte bis zum Gipfel der
Möglisalp, dort saß sie im sammtweichen Grün und strich das Wasser
aus dem langen triefenden Haar und flocht sich einen Kranz aus
Alpenblumen, in den Schluchten hob sich ein Krachen, der Säntis
reckte sich auf, der alte Mann zur Rechten nicht minder, Gestalten
himmelstürmenden Ursprungs tobten sie gegen einand, der Säntis griff
seine Wände und schleuderte sie hinüber und der alte Mann riß sich
sein Haupt ab und warf's auf die Säntispyramide -- itzt stund der
Säntis zur Rechten und der alte Mann floh vor ihm zur Linken,
aber die Jungfrau des Sees saß in lächelnder Ruhe auf ihrer Alpe
und spottete der steinernen Zweikämpfer und rang ihr felsgelbes Gelock,

Jetzt ſtand er unten; da lag geheimnißvoll lockend der grüne See-
alpſee, vom Mondlicht umzittert. Von den verfaulten Stämmen am
Ufer ging ein geſpenſtig Scheinen. Es ward trüb vor Ekkehard's
Blick: Nimm du mich auf! rief er, mein Herz will Ruhe!

Er rannte hinein in die ſtille glatte Fluth, — aber der Boden
wich nicht unter ihm, wohlthätig kühlend drang ihm des Bergſees
Friſche durch Mark und Bein.

Schon ſtund er bis an die Bruſt im Waſſer, da hemmte er ſei-
nen Schritt. Wirr ſchaute er auf: die weißen Wolken waren ver-
ſchwunden, vom Mond in Duft zerlöst, traurig prächtig funkelte Stern
an Stern ihm zu Häupten.

In kühn phantaſtiſcher Linie ſchwang die Möglisalp ihren bis zur
höchſten Höhe grasumwachſenen Gipfel mondaufwärts; ihr zur Linken
ruhig und ernſt das durchfurchte Haupt des alten Mann, zur Rechten,
aus gedoppeltem Eisfeld ſich emporthürmend die graue Pyramide des
Säntis, Zacken und Felshörner ringsum wie furchtbare Schrecken der
Nacht. Da knieete Ekkehard auf den Steinboden des Sees, daß ihm
die Fluth über dem Haupt zuſammenſchlug, dann tauchte er wieder
auf und ſtund unbeweglich, die Arme hoch erhoben wie ein Beter.264)

Der Mond ging über dem Säntis unter, bläulicher Schimmer
leuchtete auf dem alten Schnee der Gletſcher, da zuckte ein ſtechender
Schmerz durch Ekkehard's Gehirn, die Berge um ihn tanzten und
ſchwankten, ſauſendes Getön ſtrömte durch die Wälder, aufſchäumte
der See, viel tauſend werdende Fröſche in ſchwarzer Kaulquappengeſtalt
wimmelten in den Wogen ... Aber in thauiger Schöne ſtieg die Ge-
ſtalt eines Weibes265) empor und entſchwebte bis zum Gipfel der
Möglisalp, dort ſaß ſie im ſammtweichen Grün und ſtrich das Waſſer
aus dem langen triefenden Haar und flocht ſich einen Kranz aus
Alpenblumen, in den Schluchten hob ſich ein Krachen, der Säntis
reckte ſich auf, der alte Mann zur Rechten nicht minder, Geſtalten
himmelſtürmenden Urſprungs tobten ſie gegen einand, der Säntis griff
ſeine Wände und ſchleuderte ſie hinüber und der alte Mann riß ſich
ſein Haupt ab und warf's auf die Säntispyramide — itzt ſtund der
Säntis zur Rechten und der alte Mann floh vor ihm zur Linken,
aber die Jungfrau des Sees ſaß in lächelnder Ruhe auf ihrer Alpe
und ſpottete der ſteinernen Zweikämpfer und rang ihr felsgelbes Gelock,

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[329/0351] Jetzt ſtand er unten; da lag geheimnißvoll lockend der grüne See- alpſee, vom Mondlicht umzittert. Von den verfaulten Stämmen am Ufer ging ein geſpenſtig Scheinen. Es ward trüb vor Ekkehard's Blick: Nimm du mich auf! rief er, mein Herz will Ruhe! Er rannte hinein in die ſtille glatte Fluth, — aber der Boden wich nicht unter ihm, wohlthätig kühlend drang ihm des Bergſees Friſche durch Mark und Bein. Schon ſtund er bis an die Bruſt im Waſſer, da hemmte er ſei- nen Schritt. Wirr ſchaute er auf: die weißen Wolken waren ver- ſchwunden, vom Mond in Duft zerlöst, traurig prächtig funkelte Stern an Stern ihm zu Häupten. In kühn phantaſtiſcher Linie ſchwang die Möglisalp ihren bis zur höchſten Höhe grasumwachſenen Gipfel mondaufwärts; ihr zur Linken ruhig und ernſt das durchfurchte Haupt des alten Mann, zur Rechten, aus gedoppeltem Eisfeld ſich emporthürmend die graue Pyramide des Säntis, Zacken und Felshörner ringsum wie furchtbare Schrecken der Nacht. Da knieete Ekkehard auf den Steinboden des Sees, daß ihm die Fluth über dem Haupt zuſammenſchlug, dann tauchte er wieder auf und ſtund unbeweglich, die Arme hoch erhoben wie ein Beter. ²⁶⁴⁾ Der Mond ging über dem Säntis unter, bläulicher Schimmer leuchtete auf dem alten Schnee der Gletſcher, da zuckte ein ſtechender Schmerz durch Ekkehard's Gehirn, die Berge um ihn tanzten und ſchwankten, ſauſendes Getön ſtrömte durch die Wälder, aufſchäumte der See, viel tauſend werdende Fröſche in ſchwarzer Kaulquappengeſtalt wimmelten in den Wogen ... Aber in thauiger Schöne ſtieg die Ge- ſtalt eines Weibes ²⁶⁵⁾ empor und entſchwebte bis zum Gipfel der Möglisalp, dort ſaß ſie im ſammtweichen Grün und ſtrich das Waſſer aus dem langen triefenden Haar und flocht ſich einen Kranz aus Alpenblumen, in den Schluchten hob ſich ein Krachen, der Säntis reckte ſich auf, der alte Mann zur Rechten nicht minder, Geſtalten himmelſtürmenden Urſprungs tobten ſie gegen einand, der Säntis griff ſeine Wände und ſchleuderte ſie hinüber und der alte Mann riß ſich ſein Haupt ab und warf's auf die Säntispyramide — itzt ſtund der Säntis zur Rechten und der alte Mann floh vor ihm zur Linken, aber die Jungfrau des Sees ſaß in lächelnder Ruhe auf ihrer Alpe und ſpottete der ſteinernen Zweikämpfer und rang ihr felsgelbes Gelock,

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/351>, abgerufen am 22.11.2024.