Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askesis wie
Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna-
digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es ist ein fürnehmer Hei-
liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der schaut nur
auf erprobte Streiterinnen.

Er wird mein Gebet nicht gröblich abweisen, warf Praxedis ein.

Ihr sollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft
nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu schaffen? für Eures-
gleichen sind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen sagen. Nehmt
Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.

Den kenn ich nicht, sagte Praxedis.

Schlimm genug, so lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür-
diger Einsiedel in der thebaischen Wüste, aß Wurzeln und Heuschrecken
und war so fromm, daß er schon bei Lebzeiten die Harmonie der
Sphären und Planeten erklingen hörte, und sprach oft: Wenn alle
Menschen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt
sind, sie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen,
ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine
Maid, die hieß Thais, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr,
die Schönheit oder der Leichtsinn. Da sprach Pachomius: ein solche
ist dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte sich auf, schnitt
seinen Bart, salbte sich und bestieg sein Crocodill, das er durch Kraft
des Gebets dienstbar gemacht; das trug ihn auf schuppigem Rücken
den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen
großen Palmstock hatte er auch mitgenommen und erschütterte das
Herz der Sünderin dermaßen, daß sie ihre Seidengewande verbrannte
und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein
dem Hirten. Und er schloß sie in ein Felsengrab ein, daran ließ er
nur ein klein Fenster und unterwies sie im Gebet, und nach fünf
Jahren war der Thais Läuterung zu Ende und vier Engel trugen
ihre Seele gerettet gen Himmel.48)

Aber Praxedis war nicht sehr auferbaut. Der alte Wüstenvater
mit seinem struppigen Bart und den bittern Lippen ist ihr nicht vor-
nehm genug: da soll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte sie. Sie
wagte nicht, es auszusprechen.

Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askeſis wie
Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna-
digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es iſt ein fürnehmer Hei-
liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der ſchaut nur
auf erprobte Streiterinnen.

Er wird mein Gebet nicht gröblich abweiſen, warf Praxedis ein.

Ihr ſollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft
nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu ſchaffen? für Eures-
gleichen ſind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen ſagen. Nehmt
Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.

Den kenn ich nicht, ſagte Praxedis.

Schlimm genug, ſo lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür-
diger Einſiedel in der thebaiſchen Wüſte, aß Wurzeln und Heuſchrecken
und war ſo fromm, daß er ſchon bei Lebzeiten die Harmonie der
Sphären und Planeten erklingen hörte, und ſprach oft: Wenn alle
Menſchen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt
ſind, ſie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen,
ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine
Maid, die hieß Thaïs, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr,
die Schönheit oder der Leichtſinn. Da ſprach Pachomius: ein ſolche
iſt dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte ſich auf, ſchnitt
ſeinen Bart, ſalbte ſich und beſtieg ſein Crocodill, das er durch Kraft
des Gebets dienſtbar gemacht; das trug ihn auf ſchuppigem Rücken
den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen
großen Palmſtock hatte er auch mitgenommen und erſchütterte das
Herz der Sünderin dermaßen, daß ſie ihre Seidengewande verbrannte
und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein
dem Hirten. Und er ſchloß ſie in ein Felſengrab ein, daran ließ er
nur ein klein Fenſter und unterwies ſie im Gebet, und nach fünf
Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen
ihre Seele gerettet gen Himmel.48)

Aber Praxedis war nicht ſehr auferbaut. Der alte Wüſtenvater
mit ſeinem ſtruppigen Bart und den bittern Lippen iſt ihr nicht vor-
nehm genug: da ſoll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte ſie. Sie
wagte nicht, es auszuſprechen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0053" n="31"/>
Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Aske&#x017F;is wie<lb/>
Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna-<lb/>
digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es i&#x017F;t ein fürnehmer Hei-<lb/>
liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der &#x017F;chaut nur<lb/>
auf erprobte Streiterinnen.</p><lb/>
        <p>Er wird mein Gebet nicht gröblich abwei&#x017F;en, warf Praxedis ein.</p><lb/>
        <p>Ihr &#x017F;ollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft<lb/>
nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu &#x017F;chaffen? für Eures-<lb/>
gleichen &#x017F;ind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen &#x017F;agen. Nehmt<lb/>
Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron.</p><lb/>
        <p>Den kenn ich nicht, &#x017F;agte Praxedis.</p><lb/>
        <p>Schlimm genug, &#x017F;o lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür-<lb/>
diger Ein&#x017F;iedel in der thebai&#x017F;chen Wü&#x017F;te, aß Wurzeln und Heu&#x017F;chrecken<lb/>
und war &#x017F;o fromm, daß er &#x017F;chon bei Lebzeiten die Harmonie der<lb/>
Sphären und Planeten erklingen hörte, und &#x017F;prach oft: Wenn alle<lb/>
Men&#x017F;chen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt<lb/>
&#x017F;ind, &#x017F;ie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen,<lb/>
ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine<lb/>
Maid, die hieß Tha<hi rendition="#aq">ï</hi>s, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr,<lb/>
die Schönheit oder der Leicht&#x017F;inn. Da &#x017F;prach Pachomius: ein &#x017F;olche<lb/>
i&#x017F;t dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte &#x017F;ich auf, &#x017F;chnitt<lb/>
&#x017F;einen Bart, &#x017F;albte &#x017F;ich und be&#x017F;tieg &#x017F;ein Crocodill, das er durch Kraft<lb/>
des Gebets dien&#x017F;tbar gemacht; das trug ihn auf &#x017F;chuppigem Rücken<lb/>
den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen<lb/>
großen Palm&#x017F;tock hatte er auch mitgenommen und er&#x017F;chütterte das<lb/>
Herz der Sünderin dermaßen, daß &#x017F;ie ihre Seidengewande verbrannte<lb/>
und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein<lb/>
dem Hirten. Und er &#x017F;chloß &#x017F;ie in ein Fel&#x017F;engrab ein, daran ließ er<lb/>
nur ein klein Fen&#x017F;ter und unterwies &#x017F;ie im Gebet, und nach fünf<lb/>
Jahren war der Tha<hi rendition="#aq">ï</hi>s Läuterung zu Ende und vier Engel trugen<lb/>
ihre Seele gerettet gen Himmel.<note xml:id="ed48" next="#edt48" place="end" n="48)"/></p><lb/>
        <p>Aber Praxedis war nicht &#x017F;ehr auferbaut. Der alte Wü&#x017F;tenvater<lb/>
mit &#x017F;einem &#x017F;truppigen Bart und den bittern Lippen i&#x017F;t ihr nicht vor-<lb/>
nehm genug: da &#x017F;oll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte &#x017F;ie. Sie<lb/>
wagte nicht, es auszu&#x017F;prechen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[31/0053] Viel lange Jahre hab' ich gerungen und die Falten der Askeſis wie Narben auf der Stirn getragen und war noch nicht von ihm begna- digt, daß er mir nur einen Blick zuwarf. Es iſt ein fürnehmer Hei- liger und ein tapferer Kriegsmann vor dem Herrn, der ſchaut nur auf erprobte Streiterinnen. Er wird mein Gebet nicht gröblich abweiſen, warf Praxedis ein. Ihr ſollt aber nicht zu ihm beten, rief Wiborad zornig, Ihr dürft nicht zu ihm beten. Was hat er mit Euch zu ſchaffen? für Eures- gleichen ſind andere Schutzheilige. Ich will Euch einen ſagen. Nehmt Ihr den frommen Vater Pachomius zum Patron. Den kenn ich nicht, ſagte Praxedis. Schlimm genug, ſo lern ihn itzt kennen. Der war ein ehrwür- diger Einſiedel in der thebaiſchen Wüſte, aß Wurzeln und Heuſchrecken und war ſo fromm, daß er ſchon bei Lebzeiten die Harmonie der Sphären und Planeten erklingen hörte, und ſprach oft: Wenn alle Menſchen das hören könnten, was meine Ohren zu hören gewürdigt ſind, ſie ließen Haus und Hof, und wer den rechten Schuh angezogen, ließe den linken und liefe in Orient. In Alexandria aber war eine Maid, die hieß Thaïs, und Niemand wußte, was unendlicher an ihr, die Schönheit oder der Leichtſinn. Da ſprach Pachomius: ein ſolche iſt dem ganzen Land Aegypten eine Plage, und machte ſich auf, ſchnitt ſeinen Bart, ſalbte ſich und beſtieg ſein Crocodill, das er durch Kraft des Gebets dienſtbar gemacht; das trug ihn auf ſchuppigem Rücken den Nil hinab, und er ging zu ihr, als wär' er ein Liebhaber. Seinen großen Palmſtock hatte er auch mitgenommen und erſchütterte das Herz der Sünderin dermaßen, daß ſie ihre Seidengewande verbrannte und ihren Schmuck dazu und dem Pachomius folgte wie ein Zicklein dem Hirten. Und er ſchloß ſie in ein Felſengrab ein, daran ließ er nur ein klein Fenſter und unterwies ſie im Gebet, und nach fünf Jahren war der Thaïs Läuterung zu Ende und vier Engel trugen ihre Seele gerettet gen Himmel. ⁴⁸⁾ Aber Praxedis war nicht ſehr auferbaut. Der alte Wüſtenvater mit ſeinem ſtruppigen Bart und den bittern Lippen iſt ihr nicht vor- nehm genug: da ſoll ich mit ihm vorlieb nehmen, dachte ſie. Sie wagte nicht, es auszuſprechen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/53
Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/53>, abgerufen am 23.11.2024.