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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855.

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auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerschein in des
Menschen Gemüth strahlt ...

Ekkehard sprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte seit dem
Tag als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen
Menschen mehr gesehen, der für Etwas begeistert war. Sie trug
einen hohen Geist in sich, der sich leicht auch Fremdartigem zu-
wandte. Griechisch hatte sie in jungen Tagen der byzantinischen Wer-
bung wegen schnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein,
weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponirt, Erkenntniß führt auf
den wahren Werth, der meist geringer ist als der geahnte. Mit dem
Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden ...

In jener Stunde stieg in Hadwig's Herz der Entschluß auf, La-
teinisch zu lernen. Zeit dazu hatte sie. Wie sie ihren Nachbar
Ekkehard noch einmal angeschaut hatte, wußte sie auch, wer ihr Lehrer
sein sollte ...

Der stattliche Nachtisch, auf dem Pfirsiche, Melonen und trockene
Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Gespräch an den
andern Tischen deutete auf nicht unfleißiges Kreisen des Weinkrugs.

Auch nach der Mahlzeit, -- so wollte es des Ordens Regel --
war zur Erbauung der Gemüther ein Abschnitt aus der Schrift oder
dem Leben heiliger Väter zu verlesen.

Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benedictus
begonnen, das einst Papst Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten
die Tische zusammen, der Weinkrug stand unbewegt und es ward still
in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel76) fort:

"Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Ver-
sucher. Denn ein schwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe
geheißen ist, begann um sein Haupt zu flattern und setzte ihm so
unablässig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergrei-
fen mögen, so er ihn fangen gewollt.

"Er aber schlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.

"Wie aber derselbe Vogel verschwunden war, folgte eine so große
Versuchung des Fleisches, wie sie der heilige Mann noch niemalen
erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewisse Frau erschauet.
Diese stellte ihm der böse Feind jetzo vor die Augen des Geistes und
entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Gestalt mit solchem

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 4

auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerſchein in des
Menſchen Gemüth ſtrahlt ...

Ekkehard ſprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte ſeit dem
Tag als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen
Menſchen mehr geſehen, der für Etwas begeiſtert war. Sie trug
einen hohen Geiſt in ſich, der ſich leicht auch Fremdartigem zu-
wandte. Griechiſch hatte ſie in jungen Tagen der byzantiniſchen Wer-
bung wegen ſchnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein,
weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponirt, Erkenntniß führt auf
den wahren Werth, der meiſt geringer iſt als der geahnte. Mit dem
Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden ...

In jener Stunde ſtieg in Hadwig's Herz der Entſchluß auf, La-
teiniſch zu lernen. Zeit dazu hatte ſie. Wie ſie ihren Nachbar
Ekkehard noch einmal angeſchaut hatte, wußte ſie auch, wer ihr Lehrer
ſein ſollte ...

Der ſtattliche Nachtiſch, auf dem Pfirſiche, Melonen und trockene
Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Geſpräch an den
andern Tiſchen deutete auf nicht unfleißiges Kreiſen des Weinkrugs.

Auch nach der Mahlzeit, — ſo wollte es des Ordens Regel —
war zur Erbauung der Gemüther ein Abſchnitt aus der Schrift oder
dem Leben heiliger Väter zu verleſen.

Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benedictus
begonnen, das einſt Papſt Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten
die Tiſche zuſammen, der Weinkrug ſtand unbewegt und es ward ſtill
in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel76) fort:

„Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Ver-
ſucher. Denn ein ſchwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe
geheißen iſt, begann um ſein Haupt zu flattern und ſetzte ihm ſo
unabläſſig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergrei-
fen mögen, ſo er ihn fangen gewollt.

„Er aber ſchlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel.

„Wie aber derſelbe Vogel verſchwunden war, folgte eine ſo große
Verſuchung des Fleiſches, wie ſie der heilige Mann noch niemalen
erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewiſſe Frau erſchauet.
Dieſe ſtellte ihm der böſe Feind jetzo vor die Augen des Geiſtes und
entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Geſtalt mit ſolchem

D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 4
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[49/0071] auch nach ihrem Niedergang noch mit erquickendem Widerſchein in des Menſchen Gemüth ſtrahlt ... Ekkehard ſprach mit Bewegung. Die Herzogin hatte ſeit dem Tag als der alte Herzog Burkhard um ihre Hand anhielt, keinen Menſchen mehr geſehen, der für Etwas begeiſtert war. Sie trug einen hohen Geiſt in ſich, der ſich leicht auch Fremdartigem zu- wandte. Griechiſch hatte ſie in jungen Tagen der byzantiniſchen Wer- bung wegen ſchnell gelernt. Latein flößte ihr eine Art Ehrfurcht ein, weil es ihr fremd war. Unbekanntes imponirt, Erkenntniß führt auf den wahren Werth, der meiſt geringer iſt als der geahnte. Mit dem Namen Virgilius war auch der Begriff des Zauberhaften verbunden ... In jener Stunde ſtieg in Hadwig's Herz der Entſchluß auf, La- teiniſch zu lernen. Zeit dazu hatte ſie. Wie ſie ihren Nachbar Ekkehard noch einmal angeſchaut hatte, wußte ſie auch, wer ihr Lehrer ſein ſollte ... Der ſtattliche Nachtiſch, auf dem Pfirſiche, Melonen und trockene Feigen geprangt hatten, war verzehrt. Lebhaftes Geſpräch an den andern Tiſchen deutete auf nicht unfleißiges Kreiſen des Weinkrugs. Auch nach der Mahlzeit, — ſo wollte es des Ordens Regel — war zur Erbauung der Gemüther ein Abſchnitt aus der Schrift oder dem Leben heiliger Väter zu verleſen. Ekkehard hatte am Tag zuvor das Leben des heiligen Benedictus begonnen, das einſt Papſt Gregorius abgefaßt. Die Brüder rückten die Tiſche zuſammen, der Weinkrug ſtand unbewegt und es ward ſtill in der Runde. Ekkehard fuhr mit dem zweiten Kapitel ⁷⁶⁾ fort: „Eines Tages aber, dieweil er allein war, nahte ihm der Ver- ſucher. Denn ein ſchwarzer kleiner Vogel, der gemeiniglich Krähe geheißen iſt, begann um ſein Haupt zu flattern und ſetzte ihm ſo unabläſſig zu, daß ihn der heilige Mann mit der Hand hätte ergrei- fen mögen, ſo er ihn fangen gewollt. „Er aber ſchlug das Zeichen des Kreuzes, da wich der Vogel. „Wie aber derſelbe Vogel verſchwunden war, folgte eine ſo große Verſuchung des Fleiſches, wie ſie der heilige Mann noch niemalen erprobt. Denn vor langer Zeit hatte er eine gewiſſe Frau erſchauet. Dieſe ſtellte ihm der böſe Feind jetzo vor die Augen des Geiſtes und entzündete das Herz des Knechtes Gottes durch jene Geſtalt mit ſolchem D. B. VII. Scheffel, Ekkehard. 4

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Zitationshilfe: Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/71>, abgerufen am 27.11.2024.