Er wandte sich zur Bibliothek, den Virgil auszulesen. Wie er droben stand im hochgewölbten Saal, einsam unter den schweigenden Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmuth über ihn; auch das Leblose stellt sich bei Abschied und Wiedersehen vor den Menschen als trüg's eine Seele in sich und nähme Antheil an dem was ihn bewegt.
Die Bücher waren seine besten Freunde. Er kannte sie Alle, und wußte, wer sie geschrieben; -- manche der Schriftzüge erinnerten an einen vom Tode schon entführten Gefährten ...
Was wird das neue Leben bescheeren, das von morgen für mich anhebt? Eine Thräne stand ihm im Auge. Itzt fiel sein Blick auf das kleine in metallene Decke gebundene Glossarium, in dem einst der heilige Gallus, der am Bodensee üblichen Landessprache unkundig, sich vom Pfarrherrn zu Arbon die nothwendigsten Worte hatte verdeutschen lassen.88) Da gedachte Ekkehard, wie des Klosters Stifter mit so wenig Ausrüstung und Hilfe dereinst ausgezogen, ein fremder Mann unter die Heiden, und wie sein Gott und sein unverzagt Herz in Noth und Fährlichkeit ihn immerdar frisch gehalten ... sein Muth stärkte sich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und wandte sich, zu gehen. "Wer dies Buch wegträgt, den sollen tausend Peitschenhiebe treffen und Lähmung und Aussatz dazu!" stand auf dem ersten Blatte. Er schnitt's weg.
Noch einmal schaute er um, als wollten ihm von Brett und Kasten die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub sich ein Knistern an der Wand, der große Bauriß,89) den der Architect Gerung einst auf drei Schuh langer Thierhaut zu des Abt Hartmuth neuem Klosterbau an- gefertigt hatte, löste sich von dem festhaltenden Nagel und stürzte nieder, daß eine Staubwolke draus emporstieg.
Ekkehard machte sich keine Gedanken drüber.
Wie er den Gang des obern Stockwerks entlang schritt, kam er an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten. Der blinde Thieto90) saß drin, einst des Klosters Abt, bis schwinden- des Augenlicht ihn abzudanken nöthigte. Ein Fenster war geöffnet, daß der Greis sich der sonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte Ekkehard manche Stunde in traulichem Gespräch verbracht. Der Blinde kannte ihn am Schritt und rief ihn zu sich. Wohin? frug er.
Er wandte ſich zur Bibliothek, den Virgil auszuleſen. Wie er droben ſtand im hochgewölbten Saal, einſam unter den ſchweigenden Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmuth über ihn; auch das Lebloſe ſtellt ſich bei Abſchied und Wiederſehen vor den Menſchen als trüg's eine Seele in ſich und nähme Antheil an dem was ihn bewegt.
Die Bücher waren ſeine beſten Freunde. Er kannte ſie Alle, und wußte, wer ſie geſchrieben; — manche der Schriftzüge erinnerten an einen vom Tode ſchon entführten Gefährten ...
Was wird das neue Leben beſcheeren, das von morgen für mich anhebt? Eine Thräne ſtand ihm im Auge. Itzt fiel ſein Blick auf das kleine in metallene Decke gebundene Gloſſarium, in dem einſt der heilige Gallus, der am Bodenſee üblichen Landesſprache unkundig, ſich vom Pfarrherrn zu Arbon die nothwendigſten Worte hatte verdeutſchen laſſen.88) Da gedachte Ekkehard, wie des Kloſters Stifter mit ſo wenig Ausrüſtung und Hilfe dereinſt ausgezogen, ein fremder Mann unter die Heiden, und wie ſein Gott und ſein unverzagt Herz in Noth und Fährlichkeit ihn immerdar friſch gehalten ... ſein Muth ſtärkte ſich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und wandte ſich, zu gehen. „Wer dies Buch wegträgt, den ſollen tauſend Peitſchenhiebe treffen und Lähmung und Ausſatz dazu!“ ſtand auf dem erſten Blatte. Er ſchnitt's weg.
Noch einmal ſchaute er um, als wollten ihm von Brett und Kaſten die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub ſich ein Kniſtern an der Wand, der große Bauriß,89) den der Architect Gerung einſt auf drei Schuh langer Thierhaut zu des Abt Hartmuth neuem Kloſterbau an- gefertigt hatte, löste ſich von dem feſthaltenden Nagel und ſtürzte nieder, daß eine Staubwolke draus emporſtieg.
Ekkehard machte ſich keine Gedanken drüber.
Wie er den Gang des obern Stockwerks entlang ſchritt, kam er an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten. Der blinde Thieto90) ſaß drin, einſt des Kloſters Abt, bis ſchwinden- des Augenlicht ihn abzudanken nöthigte. Ein Fenſter war geöffnet, daß der Greis ſich der ſonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte Ekkehard manche Stunde in traulichem Geſpräch verbracht. Der Blinde kannte ihn am Schritt und rief ihn zu ſich. Wohin? frug er.
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Er wandte ſich zur Bibliothek, den Virgil auszuleſen. Wie er
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Pergamenten, da kam ein Gefühl der Wehmuth über ihn; auch das
Lebloſe ſtellt ſich bei Abſchied und Wiederſehen vor den Menſchen
als trüg's eine Seele in ſich und nähme Antheil an dem was ihn
bewegt.
Die Bücher waren ſeine beſten Freunde. Er kannte ſie Alle, und
wußte, wer ſie geſchrieben; — manche der Schriftzüge erinnerten an
einen vom Tode ſchon entführten Gefährten ...
Was wird das neue Leben beſcheeren, das von morgen für mich
anhebt? Eine Thräne ſtand ihm im Auge. Itzt fiel ſein Blick auf
das kleine in metallene Decke gebundene Gloſſarium, in dem einſt der
heilige Gallus, der am Bodenſee üblichen Landesſprache unkundig, ſich
vom Pfarrherrn zu Arbon die nothwendigſten Worte hatte verdeutſchen
laſſen.
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Da gedachte Ekkehard, wie des Kloſters Stifter mit ſo
wenig Ausrüſtung und Hilfe dereinſt ausgezogen, ein fremder Mann
unter die Heiden, und wie ſein Gott und ſein unverzagt Herz in Noth
und Fährlichkeit ihn immerdar friſch gehalten ... ſein Muth ſtärkte
ſich, er küßte das Büchlein, nahm den Virgil aus dem Schrein und
wandte ſich, zu gehen. „Wer dies Buch wegträgt, den ſollen tauſend
Peitſchenhiebe treffen und Lähmung und Ausſatz dazu!“ ſtand auf dem
erſten Blatte. Er ſchnitt's weg.
Noch einmal ſchaute er um, als wollten ihm von Brett und Kaſten
die Bücher einen Gruß zuwinken. Da hub ſich ein Kniſtern an der
Wand, der große Bauriß,
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den der Architect Gerung einſt auf drei
Schuh langer Thierhaut zu des Abt Hartmuth neuem Kloſterbau an-
gefertigt hatte, löste ſich von dem feſthaltenden Nagel und ſtürzte
nieder, daß eine Staubwolke draus emporſtieg.
Ekkehard machte ſich keine Gedanken drüber.
Wie er den Gang des obern Stockwerks entlang ſchritt, kam er
an einem offenen Gemach vorüber. Das war der Winkel der Alten.
Der blinde Thieto
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ſaß drin, einſt des Kloſters Abt, bis ſchwinden-
des Augenlicht ihn abzudanken nöthigte. Ein Fenſter war geöffnet,
daß der Greis ſich der ſonnenwarmen Luft erfreue. Bei ihm hatte
Ekkehard manche Stunde in traulichem Geſpräch verbracht. Der Blinde
kannte ihn am Schritt und rief ihn zu ſich. Wohin? frug er.
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Scheffel, Joseph Victor von: Ekkehard. Frankfurt (Main), 1855, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffel_ekkehard_1855/78>, abgerufen am 27.11.2024.
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