Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

Bild:
<< vorherige Seite

freylich nicht gut vorlesen, allein sein vori-
ger Adjutant hatte jedesmal das Diktirte
nach seiner eignen Weise zu Papier gebracht,
und beym Vorlesen gaubten dann Se. Ex-
cellenz so diktirt zu haben. Jch hätte auch
ohne avis au lecteur eben so klug seyn kön-
nen, allein der Wille des Himmels war, daß
ich zur völligen Bürgerlichkeit zurückkehren
sollte, und ich erhielt meinen wiederholent-
lich gebetenen Abschied, aber ohne die min-
deste Aussicht auf eine Civilversorgung, um
die ich mich auch nicht eben sehr bekümmerte.
Das Pensions- und Anstellungswesen war
damals keinesweges in dem großen Flor, zu
dem es in der folgenden Zeit gediehen oder
ausgeartet ist, und sogar bey zunehmender
Unvermögenheit des Staats immer reichli-
cher einzureißen scheint, obwohl aber nicht
zur Verbesserung des Dienstgeistes, zu wel-
cher es indessen bey sorgfältig unpartheyischer
Verwaltung gewiß viel beytragen könnte.

Meine liebe, liebe Mutter war während
des Krieges in Gumbinnen gestorben,
und ob mein Erbtheil gleich nicht viel be-
trug, so hätt' ich doch bey meiner gewöhn-
lichen Art zu leben lange damit auskommen
können. Meine Lage in Berlin war ganz

freylich nicht gut vorleſen, allein ſein vori-
ger Adjutant hatte jedesmal das Diktirte
nach ſeiner eignen Weiſe zu Papier gebracht,
und beym Vorleſen gaubten dann Se. Ex-
cellenz ſo diktirt zu haben. Jch haͤtte auch
ohne avis au lecteur eben ſo klug ſeyn koͤn-
nen, allein der Wille des Himmels war, daß
ich zur voͤlligen Buͤrgerlichkeit zuruͤckkehren
ſollte, und ich erhielt meinen wiederholent-
lich gebetenen Abſchied, aber ohne die min-
deſte Ausſicht auf eine Civilverſorgung, um
die ich mich auch nicht eben ſehr bekuͤmmerte.
Das Penſions- und Anſtellungsweſen war
damals keinesweges in dem großen Flor, zu
dem es in der folgenden Zeit gediehen oder
ausgeartet iſt, und ſogar bey zunehmender
Unvermoͤgenheit des Staats immer reichli-
cher einzureißen ſcheint, obwohl aber nicht
zur Verbeſſerung des Dienſtgeiſtes, zu wel-
cher es indeſſen bey ſorgfaͤltig unpartheyiſcher
Verwaltung gewiß viel beytragen koͤnnte.

Meine liebe, liebe Mutter war waͤhrend
des Krieges in Gumbinnen geſtorben,
und ob mein Erbtheil gleich nicht viel be-
trug, ſo haͤtt’ ich doch bey meiner gewoͤhn-
lichen Art zu leben lange damit auskommen
koͤnnen. Meine Lage in Berlin war ganz

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0131" n="114"/>
freylich nicht gut vorle&#x017F;en, allein &#x017F;ein vori-<lb/>
ger Adjutant hatte jedesmal das Diktirte<lb/>
nach &#x017F;einer eignen Wei&#x017F;e zu Papier gebracht,<lb/>
und beym Vorle&#x017F;en gaubten dann Se. Ex-<lb/>
cellenz &#x017F;o diktirt zu haben. Jch ha&#x0364;tte auch<lb/>
ohne <hi rendition="#aq">avis au lecteur</hi> eben &#x017F;o klug &#x017F;eyn ko&#x0364;n-<lb/>
nen, allein der Wille des Himmels war, daß<lb/>
ich zur vo&#x0364;lligen Bu&#x0364;rgerlichkeit zuru&#x0364;ckkehren<lb/>
&#x017F;ollte, und ich erhielt meinen wiederholent-<lb/>
lich gebetenen Ab&#x017F;chied, aber ohne die min-<lb/>
de&#x017F;te Aus&#x017F;icht auf eine Civilver&#x017F;orgung, um<lb/>
die ich mich auch nicht eben &#x017F;ehr beku&#x0364;mmerte.<lb/>
Das Pen&#x017F;ions- und An&#x017F;tellungswe&#x017F;en war<lb/>
damals keinesweges in dem großen Flor, zu<lb/>
dem es in der folgenden Zeit gediehen oder<lb/>
ausgeartet i&#x017F;t, und &#x017F;ogar bey zunehmender<lb/>
Unvermo&#x0364;genheit des Staats immer reichli-<lb/>
cher einzureißen &#x017F;cheint, obwohl aber nicht<lb/>
zur Verbe&#x017F;&#x017F;erung des Dien&#x017F;tgei&#x017F;tes, zu wel-<lb/>
cher es inde&#x017F;&#x017F;en bey &#x017F;orgfa&#x0364;ltig unpartheyi&#x017F;cher<lb/>
Verwaltung gewiß viel beytragen ko&#x0364;nnte.</p><lb/>
        <p>Meine liebe, liebe Mutter war wa&#x0364;hrend<lb/>
des Krieges in <hi rendition="#g">Gumbinnen</hi> ge&#x017F;torben,<lb/>
und ob mein Erbtheil gleich nicht viel be-<lb/>
trug, &#x017F;o ha&#x0364;tt&#x2019; ich doch bey meiner gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Art zu leben lange damit auskommen<lb/>
ko&#x0364;nnen. Meine Lage in Berlin war ganz<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0131] freylich nicht gut vorleſen, allein ſein vori- ger Adjutant hatte jedesmal das Diktirte nach ſeiner eignen Weiſe zu Papier gebracht, und beym Vorleſen gaubten dann Se. Ex- cellenz ſo diktirt zu haben. Jch haͤtte auch ohne avis au lecteur eben ſo klug ſeyn koͤn- nen, allein der Wille des Himmels war, daß ich zur voͤlligen Buͤrgerlichkeit zuruͤckkehren ſollte, und ich erhielt meinen wiederholent- lich gebetenen Abſchied, aber ohne die min- deſte Ausſicht auf eine Civilverſorgung, um die ich mich auch nicht eben ſehr bekuͤmmerte. Das Penſions- und Anſtellungsweſen war damals keinesweges in dem großen Flor, zu dem es in der folgenden Zeit gediehen oder ausgeartet iſt, und ſogar bey zunehmender Unvermoͤgenheit des Staats immer reichli- cher einzureißen ſcheint, obwohl aber nicht zur Verbeſſerung des Dienſtgeiſtes, zu wel- cher es indeſſen bey ſorgfaͤltig unpartheyiſcher Verwaltung gewiß viel beytragen koͤnnte. Meine liebe, liebe Mutter war waͤhrend des Krieges in Gumbinnen geſtorben, und ob mein Erbtheil gleich nicht viel be- trug, ſo haͤtt’ ich doch bey meiner gewoͤhn- lichen Art zu leben lange damit auskommen koͤnnen. Meine Lage in Berlin war ganz

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/131
Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/131>, abgerufen am 23.11.2024.