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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823.

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durchaus keinem Manne in königlichem Dienst
geben wollte. Das junge Ehepaar begab
sich nach Königsberg und zeugte zuerst mich
und in Zwischenräumen von 4 Jahren noch
zwey Töchter.

Meine Mutter, in jedem Betracht eine
liebenswürdige Hausfrau, obgleich ohne alle,
damals noch nicht so stark eingerissene wis-
senschaftliche Bildung, hatte uns alle, mich
nur 3/4 Jahr, selbst gesäugt, führte ihre Wirth-
schaft mit einer ihrer kleinen Monatsein-
nahme entsprechenden Genauigkeit und lehrte
mich im dritten Jahre Gedrucktes lesen, nach
welcher Methode, weiß ich nicht. Da sie
selbst vom Schreiben keine Liebhaberin war,
so hielt sie nicht darauf, mich auch Geschrie-
benes lesen zu lassen, und vermuthlich kommt
davon mein schlechtes Lesen alles Handschrift-
lichen, dessen Buchstaben nicht sehr deutlich
sind, selbst meines eignen.

Ob die Welt dadurch gewonnen habe,
daß man dem andern Geschlecht eine außer-
häuslich wichtige Rolle zu spielen eingeräumt
hat, wag ich nicht zu entscheiden; die Stim-
menmehrheit hätt' ich sicher wider mich, denn
es würden nicht allein Mädchen und Frauen
die Ausprüche auf das Recht zur großen

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durchaus keinem Manne in koͤniglichem Dienſt
geben wollte. Das junge Ehepaar begab
ſich nach Koͤnigsberg und zeugte zuerſt mich
und in Zwiſchenraͤumen von 4 Jahren noch
zwey Toͤchter.

Meine Mutter, in jedem Betracht eine
liebenswuͤrdige Hausfrau, obgleich ohne alle,
damals noch nicht ſo ſtark eingeriſſene wiſ-
ſenſchaftliche Bildung, hatte uns alle, mich
nur ¾ Jahr, ſelbſt geſaͤugt, fuͤhrte ihre Wirth-
ſchaft mit einer ihrer kleinen Monatsein-
nahme entſprechenden Genauigkeit und lehrte
mich im dritten Jahre Gedrucktes leſen, nach
welcher Methode, weiß ich nicht. Da ſie
ſelbſt vom Schreiben keine Liebhaberin war,
ſo hielt ſie nicht darauf, mich auch Geſchrie-
benes leſen zu laſſen, und vermuthlich kommt
davon mein ſchlechtes Leſen alles Handſchrift-
lichen, deſſen Buchſtaben nicht ſehr deutlich
ſind, ſelbſt meines eignen.

Ob die Welt dadurch gewonnen habe,
daß man dem andern Geſchlecht eine außer-
haͤuslich wichtige Rolle zu ſpielen eingeraͤumt
hat, wag ich nicht zu entſcheiden; die Stim-
menmehrheit haͤtt’ ich ſicher wider mich, denn
es wuͤrden nicht allein Maͤdchen und Frauen
die Auſpruͤche auf das Recht zur großen

A 2
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[3/0020] durchaus keinem Manne in koͤniglichem Dienſt geben wollte. Das junge Ehepaar begab ſich nach Koͤnigsberg und zeugte zuerſt mich und in Zwiſchenraͤumen von 4 Jahren noch zwey Toͤchter. Meine Mutter, in jedem Betracht eine liebenswuͤrdige Hausfrau, obgleich ohne alle, damals noch nicht ſo ſtark eingeriſſene wiſ- ſenſchaftliche Bildung, hatte uns alle, mich nur ¾ Jahr, ſelbſt geſaͤugt, fuͤhrte ihre Wirth- ſchaft mit einer ihrer kleinen Monatsein- nahme entſprechenden Genauigkeit und lehrte mich im dritten Jahre Gedrucktes leſen, nach welcher Methode, weiß ich nicht. Da ſie ſelbſt vom Schreiben keine Liebhaberin war, ſo hielt ſie nicht darauf, mich auch Geſchrie- benes leſen zu laſſen, und vermuthlich kommt davon mein ſchlechtes Leſen alles Handſchrift- lichen, deſſen Buchſtaben nicht ſehr deutlich ſind, ſelbſt meines eignen. Ob die Welt dadurch gewonnen habe, daß man dem andern Geſchlecht eine außer- haͤuslich wichtige Rolle zu ſpielen eingeraͤumt hat, wag ich nicht zu entſcheiden; die Stim- menmehrheit haͤtt’ ich ſicher wider mich, denn es wuͤrden nicht allein Maͤdchen und Frauen die Auſpruͤche auf das Recht zur großen A 2

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Zitationshilfe: Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/20>, abgerufen am 03.12.2024.