Unbefangenheit hab ich in keinem weiblichen Gesicht gesehen und wahrgenommen. Mit wahrem Vergnügen erinnre ich mich noch der Gespräche mit ihr, in denen ich ihr nie etwas Unwahres über Sachen oder Perso- nen gesagt, sie mochten betreffen das Hof- oder das ewige Leben, die fürstliche, von der bürgerlichen sehr verschiedne Erziehung, die schwere Wahl eines Oberhofmeisters, die Wirthschaftlichkeit bey Wohlthaten als Mut- ter ächter Freygebigkeit, den Schaden vor- schneller Gutmüthigkeitsäußerungen, die Nothwendigkeit des Hofetiquets, die höfische Zeitverschwendung etc. von politischen Gegen- ständen brach sie jedesmal gleich ab. Sie verstand einem alles, und alles Wahre, Gute und Schöne machte viel Eindruck auf sie. --
Den 2. Juny 1807. folgte die Königin ihrem schon vorausgegangenen Gemahl nach Memel, und den 15. trank General L'Estocq die Abschiedstasse Caffee bey mir, nachdem die zu vermeiden mögliche Schlacht bey Friedland vom General Bennigsen, dem viel Sonderbares und Eignes im Gesicht ge- schrieben steht, verloren, und dadurch Kö-
Unbefangenheit hab ich in keinem weiblichen Geſicht geſehen und wahrgenommen. Mit wahrem Vergnuͤgen erinnre ich mich noch der Geſpraͤche mit ihr, in denen ich ihr nie etwas Unwahres uͤber Sachen oder Perſo- nen geſagt, ſie mochten betreffen das Hof- oder das ewige Leben, die fuͤrſtliche, von der buͤrgerlichen ſehr verſchiedne Erziehung, die ſchwere Wahl eines Oberhofmeiſters, die Wirthſchaftlichkeit bey Wohlthaten als Mut- ter aͤchter Freygebigkeit, den Schaden vor- ſchneller Gutmuͤthigkeitsaͤußerungen, die Nothwendigkeit des Hofetiquets, die hoͤfiſche Zeitverſchwendung ꝛc. von politiſchen Gegen- ſtaͤnden brach ſie jedesmal gleich ab. Sie verſtand einem alles, und alles Wahre, Gute und Schoͤne machte viel Eindruck auf ſie. —
Den 2. Juny 1807. folgte die Koͤnigin ihrem ſchon vorausgegangenen Gemahl nach Memel, und den 15. trank General L’Eſtocq die Abſchiedstaſſe Caffee bey mir, nachdem die zu vermeiden moͤgliche Schlacht bey Friedland vom General Bennigſen, dem viel Sonderbares und Eignes im Geſicht ge- ſchrieben ſteht, verloren, und dadurch Koͤ-
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Unbefangenheit hab ich in keinem weiblichen
Geſicht geſehen und wahrgenommen. Mit
wahrem Vergnuͤgen erinnre ich mich noch
der Geſpraͤche mit ihr, in denen ich ihr nie
etwas Unwahres uͤber Sachen oder Perſo-
nen geſagt, ſie mochten betreffen das Hof-
oder das ewige Leben, die fuͤrſtliche, von der
buͤrgerlichen ſehr verſchiedne Erziehung, die
ſchwere Wahl eines Oberhofmeiſters, die
Wirthſchaftlichkeit bey Wohlthaten als Mut-
ter aͤchter Freygebigkeit, den Schaden vor-
ſchneller Gutmuͤthigkeitsaͤußerungen, die
Nothwendigkeit des Hofetiquets, die hoͤfiſche
Zeitverſchwendung ꝛc. von politiſchen Gegen-
ſtaͤnden brach ſie jedesmal gleich ab. Sie
verſtand einem alles, und alles Wahre,
Gute und Schoͤne machte viel Eindruck auf
ſie. —
Den 2. Juny 1807. folgte die Koͤnigin
ihrem ſchon vorausgegangenen Gemahl nach
Memel, und den 15. trank General L’Eſtocq
die Abſchiedstaſſe Caffee bey mir, nachdem
die zu vermeiden moͤgliche Schlacht bey
Friedland vom General Bennigſen, dem viel
Sonderbares und Eignes im Geſicht ge-
ſchrieben ſteht, verloren, und dadurch Koͤ-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/285>, abgerufen am 27.11.2024.
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