jämmerlichkeit dürfte also wohl zur Ord- nung der Dinge gehören, denn alles, was geschieht, hat mehrentheils Eine, oft sogar die Hauptwurzel im Hoferdreich geschlagen. Und wer bearbeitet dieses Erdreich? Jst man nicht schon zufrieden, wenn es narko- tisch süßduftende Blumen trägt, und unter dem wenigen Korn auch viele Trespe wächst?
Persönlich hat mich der Hof wahrlich nie gedrückt, vielmehr haben mich seine er- sten Personen mit Gnade und Zutrauen be- handelt und ertragen, indessen wurde mir doch nach seinem Abzuge ungefähr zu Mu- the, wie einem Menschen, der sich in der Niederung aufhielte, ohne eben krank von ihren wässerigen Dünsten zu werden, aus dieser aber in eine höhere Gegend zieht, wo er, von ganz andrer Luft angeweht, seine leibliche Beschaffenheit umgeändert fühlt. Die so zu sagen unsichtbare Coexistenz mit Menschen, die Verstand und Willen, und was sie sonst im Vermögen haben, auf eine Art anwenden, die dem nicht so gearteten ganz fremd ist, hat etwas unangenehmes für letztern, und seine Misbilligung ihres Zustandes scheinet ihm den seinigen einzu- schränken und zu zerstückeln. Soll man nun
jaͤmmerlichkeit duͤrfte alſo wohl zur Ord- nung der Dinge gehoͤren, denn alles, was geſchieht, hat mehrentheils Eine, oft ſogar die Hauptwurzel im Hoferdreich geſchlagen. Und wer bearbeitet dieſes Erdreich? Jſt man nicht ſchon zufrieden, wenn es narko- tiſch ſuͤßduftende Blumen traͤgt, und unter dem wenigen Korn auch viele Trespe waͤchſt?
Perſoͤnlich hat mich der Hof wahrlich nie gedruͤckt, vielmehr haben mich ſeine er- ſten Perſonen mit Gnade und Zutrauen be- handelt und ertragen, indeſſen wurde mir doch nach ſeinem Abzuge ungefaͤhr zu Mu- the, wie einem Menſchen, der ſich in der Niederung aufhielte, ohne eben krank von ihren waͤſſerigen Duͤnſten zu werden, aus dieſer aber in eine hoͤhere Gegend zieht, wo er, von ganz andrer Luft angeweht, ſeine leibliche Beſchaffenheit umgeaͤndert fuͤhlt. Die ſo zu ſagen unſichtbare Coexiſtenz mit Menſchen, die Verſtand und Willen, und was ſie ſonſt im Vermoͤgen haben, auf eine Art anwenden, die dem nicht ſo gearteten ganz fremd iſt, hat etwas unangenehmes fuͤr letztern, und ſeine Misbilligung ihres Zuſtandes ſcheinet ihm den ſeinigen einzu- ſchraͤnken und zu zerſtuͤckeln. Soll man nun
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jaͤmmerlichkeit duͤrfte alſo wohl zur Ord-
nung der Dinge gehoͤren, denn alles, was
geſchieht, hat mehrentheils Eine, oft ſogar
die Hauptwurzel im Hoferdreich geſchlagen.
Und wer bearbeitet dieſes Erdreich? Jſt
man nicht ſchon zufrieden, wenn es narko-
tiſch ſuͤßduftende Blumen traͤgt, und unter
dem wenigen Korn auch viele Trespe waͤchſt?
Perſoͤnlich hat mich der Hof wahrlich
nie gedruͤckt, vielmehr haben mich ſeine er-
ſten Perſonen mit Gnade und Zutrauen be-
handelt und ertragen, indeſſen wurde mir
doch nach ſeinem Abzuge ungefaͤhr zu Mu-
the, wie einem Menſchen, der ſich in der
Niederung aufhielte, ohne eben krank von
ihren waͤſſerigen Duͤnſten zu werden, aus
dieſer aber in eine hoͤhere Gegend zieht, wo
er, von ganz andrer Luft angeweht, ſeine
leibliche Beſchaffenheit umgeaͤndert fuͤhlt.
Die ſo zu ſagen unſichtbare Coexiſtenz mit
Menſchen, die Verſtand und Willen, und
was ſie ſonſt im Vermoͤgen haben, auf eine
Art anwenden, die dem nicht ſo gearteten
ganz fremd iſt, hat etwas unangenehmes
fuͤr letztern, und ſeine Misbilligung ihres
Zuſtandes ſcheinet ihm den ſeinigen einzu-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/335>, abgerufen am 22.11.2024.
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