Tisch bin ich in spätern Jahren gesprächiger geworden, als ich es in frühern war, wo ich oft kein Wort sprach und durch mein Schweigen zu manchem falschen Urtheil über mich Anlaß gab. Große Gesellschaften sind mir beynah so zuwider, wie mir das wech- selseitige Küssen der Männer unschicklich vor- kommt. Schon hat mir das Küssen der Weiberhände von je her lästig und übel an- gebracht geschienen, weil ich den Kuß für eine Besiegelung des freundschaftlich Gesag- ten, oder für ein Mittel halte, Gefühle zu bezeichnen, die man nicht auszudrücken ver- mag. Es scheinet mir die Aeußerung einer innern Exaltation und der Handkuß eine hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu seyn.
Jch bin ein schlechterer Wirth als Gast, in welcher letztern Qualität ich mich ver- pflichtet halte, dem Wirth einen Ersatz für die Aufnahmkosten durch meine Conversation zu geben, wenigstens einen Beytrag dazu. Die Wirthsrolle spiel ich nicht mit der ge- hörigen Gewandheit, die ein Wirth haben muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tisch- leben stiften und erhalten will, ob ich gleich meinen Gästen mit dem frohsten Herzen
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Tiſch bin ich in ſpaͤtern Jahren geſpraͤchiger geworden, als ich es in fruͤhern war, wo ich oft kein Wort ſprach und durch mein Schweigen zu manchem falſchen Urtheil uͤber mich Anlaß gab. Große Geſellſchaften ſind mir beynah ſo zuwider, wie mir das wech- ſelſeitige Kuͤſſen der Maͤnner unſchicklich vor- kommt. Schon hat mir das Kuͤſſen der Weiberhaͤnde von je her laͤſtig und uͤbel an- gebracht geſchienen, weil ich den Kuß fuͤr eine Beſiegelung des freundſchaftlich Geſag- ten, oder fuͤr ein Mittel halte, Gefuͤhle zu bezeichnen, die man nicht auszudruͤcken ver- mag. Es ſcheinet mir die Aeußerung einer innern Exaltation und der Handkuß eine hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu ſeyn.
Jch bin ein ſchlechterer Wirth als Gaſt, in welcher letztern Qualitaͤt ich mich ver- pflichtet halte, dem Wirth einen Erſatz fuͤr die Aufnahmkoſten durch meine Converſation zu geben, wenigſtens einen Beytrag dazu. Die Wirthsrolle ſpiel ich nicht mit der ge- hoͤrigen Gewandheit, die ein Wirth haben muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tiſch- leben ſtiften und erhalten will, ob ich gleich meinen Gaͤſten mit dem frohſten Herzen
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Tiſch bin ich in ſpaͤtern Jahren geſpraͤchiger
geworden, als ich es in fruͤhern war, wo
ich oft kein Wort ſprach und durch mein
Schweigen zu manchem falſchen Urtheil uͤber
mich Anlaß gab. Große Geſellſchaften ſind
mir beynah ſo zuwider, wie mir das wech-
ſelſeitige Kuͤſſen der Maͤnner unſchicklich vor-
kommt. Schon hat mir das Kuͤſſen der
Weiberhaͤnde von je her laͤſtig und uͤbel an-
gebracht geſchienen, weil ich den Kuß fuͤr
eine Beſiegelung des freundſchaftlich Geſag-
ten, oder fuͤr ein Mittel halte, Gefuͤhle zu
bezeichnen, die man nicht auszudruͤcken ver-
mag. Es ſcheinet mir die Aeußerung einer
innern Exaltation und der Handkuß eine
hohe Dank- und Achtungsbezeugung zu
ſeyn.
Jch bin ein ſchlechterer Wirth als Gaſt,
in welcher letztern Qualitaͤt ich mich ver-
pflichtet halte, dem Wirth einen Erſatz fuͤr
die Aufnahmkoſten durch meine Converſation
zu geben, wenigſtens einen Beytrag dazu.
Die Wirthsrolle ſpiel ich nicht mit der ge-
hoͤrigen Gewandheit, die ein Wirth haben
muß, wenn er ein wirklich zufriednes Tiſch-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/372>, abgerufen am 25.11.2024.
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