Nach einer bis nahe an die goldne Hoch- zeit gelangten kinderlosen Ehe muß doch auch etwas über mein ehemännisches Betra- gen seine Stelle finden, und da Freund Hippel, der nie verheyrathet gewesen, ein dreymal aufgelegtes Buch über die Ehe hat schreiben können, so will ich doch auch ein Wörtchen über die alte Heyrathssitte sa- gen. Mir scheint die Ehe das Gleiche mit der bürgerlichen Verfaßung zu haben, daß sie einem manchmal unangenehme Tage, we- nigstens Stunden macht; wer möchte aber wohl ohne bürgerliche Verfassung leben und ihrer kleinen Beschwerlichkeiten wegen auf ihre vielen großen Vortheile Verzicht thun? Wie im Staat, so ist auch in der Ehe alles auf das mutuum adjutorium (wechselseitige Hülfsleistung) berechnet, und wenn eine Hand nicht die andre wäscht, so bleiben beide schmutzig. Alle andere, außer diesem wechselseitigen Beystande, von Philosophen und Juristen angegebene Ehestandszwecke ha- ben mir daher immer, theils nebenseitig, theils untergeordnet geschienen, und ich kann daher auch die Verbindung zweyer, im Alter sehr verschiednen Personen, nicht gut heißen. Einige Jahre älter wie die Frau
Nach einer bis nahe an die goldne Hoch- zeit gelangten kinderloſen Ehe muß doch auch etwas uͤber mein ehemaͤnniſches Betra- gen ſeine Stelle finden, und da Freund Hippel, der nie verheyrathet geweſen, ein dreymal aufgelegtes Buch uͤber die Ehe hat ſchreiben koͤnnen, ſo will ich doch auch ein Woͤrtchen uͤber die alte Heyrathsſitte ſa- gen. Mir ſcheint die Ehe das Gleiche mit der buͤrgerlichen Verfaßung zu haben, daß ſie einem manchmal unangenehme Tage, we- nigſtens Stunden macht; wer moͤchte aber wohl ohne buͤrgerliche Verfaſſung leben und ihrer kleinen Beſchwerlichkeiten wegen auf ihre vielen großen Vortheile Verzicht thun? Wie im Staat, ſo iſt auch in der Ehe alles auf das mutuum adjutorium (wechſelſeitige Huͤlfsleiſtung) berechnet, und wenn eine Hand nicht die andre waͤſcht, ſo bleiben beide ſchmutzig. Alle andere, außer dieſem wechſelſeitigen Beyſtande, von Philoſophen und Juriſten angegebene Eheſtandszwecke ha- ben mir daher immer, theils nebenſeitig, theils untergeordnet geſchienen, und ich kann daher auch die Verbindung zweyer, im Alter ſehr verſchiednen Perſonen, nicht gut heißen. Einige Jahre aͤlter wie die Frau
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Nach einer bis nahe an die goldne Hoch-
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auch etwas uͤber mein ehemaͤnniſches Betra-
gen ſeine Stelle finden, und da Freund
Hippel, der nie verheyrathet geweſen, ein
dreymal aufgelegtes Buch uͤber die Ehe
hat ſchreiben koͤnnen, ſo will ich doch auch
ein Woͤrtchen uͤber die alte Heyrathsſitte ſa-
gen. Mir ſcheint die Ehe das Gleiche mit
der buͤrgerlichen Verfaßung zu haben, daß
ſie einem manchmal unangenehme Tage, we-
nigſtens Stunden macht; wer moͤchte aber
wohl ohne buͤrgerliche Verfaſſung leben und
ihrer kleinen Beſchwerlichkeiten wegen auf
ihre vielen großen Vortheile Verzicht thun?
Wie im Staat, ſo iſt auch in der Ehe alles
auf das mutuum adjutorium (wechſelſeitige
Huͤlfsleiſtung) berechnet, und wenn eine
Hand nicht die andre waͤſcht, ſo bleiben
beide ſchmutzig. Alle andere, außer dieſem
wechſelſeitigen Beyſtande, von Philoſophen
und Juriſten angegebene Eheſtandszwecke ha-
ben mir daher immer, theils nebenſeitig,
theils untergeordnet geſchienen, und ich
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/382>, abgerufen am 25.11.2024.
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