freylich ein trotzig und verzagt Ding, wie konnte aber das seine, das so viele Jahre getrotzt hatte, plötzlich so ganz verzagen, und sich nicht zum letzten Trostversuch er- mannen, um an der Spitze eines ihm treu gebliebnen Haufens zu sterben? Ein solcher Entschluß hätte das Urtheil über ihn wahr- lich schwieriger gemacht.
Den 8ten August 1814.
Daß das Abschiednehmen nicht tödtlich sey, erfuhr ich abermals an meinem neun und siebzigsten Geburtstage, den ich heut, mich so wohlbesindend, erlebt habe, als es in diesem Alter geschehen kann; ich will mich daher auch nicht ferner mit solchem Adieu- sagen befassen, sondern still fortleben in der möglichst ruhigen Erwartung des Ausganges aus der Welt, über die ich freylich gar nicht zu klagen, zu welcher gehörigem Gebrauch ich aber viel weniger Kraft habe, als meine gütigen Freunde mir einreden wollen.
Das gewiß nicht angenehme Gefühl: ertragen zu werden, begleitet mich in jede Gesellschaft, die ich daher auch immer mit einer Art von Zwang besuche, um mei- nen Freunden, die mir gänzliche Zurück-
freylich ein trotzig und verzagt Ding, wie konnte aber das ſeine, das ſo viele Jahre getrotzt hatte, ploͤtzlich ſo ganz verzagen, und ſich nicht zum letzten Troſtverſuch er- mannen, um an der Spitze eines ihm treu gebliebnen Haufens zu ſterben? Ein ſolcher Entſchluß haͤtte das Urtheil uͤber ihn wahr- lich ſchwieriger gemacht.
Den 8ten Auguſt 1814.
Daß das Abſchiednehmen nicht toͤdtlich ſey, erfuhr ich abermals an meinem neun und ſiebzigſten Geburtstage, den ich heut, mich ſo wohlbeſindend, erlebt habe, als es in dieſem Alter geſchehen kann; ich will mich daher auch nicht ferner mit ſolchem Adieu- ſagen befaſſen, ſondern ſtill fortleben in der moͤglichſt ruhigen Erwartung des Ausganges aus der Welt, uͤber die ich freylich gar nicht zu klagen, zu welcher gehoͤrigem Gebrauch ich aber viel weniger Kraft habe, als meine guͤtigen Freunde mir einreden wollen.
Das gewiß nicht angenehme Gefuͤhl: ertragen zu werden, begleitet mich in jede Geſellſchaft, die ich daher auch immer mit einer Art von Zwang beſuche, um mei- nen Freunden, die mir gaͤnzliche Zuruͤck-
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freylich ein trotzig und verzagt Ding, wie
konnte aber das ſeine, das ſo viele Jahre
getrotzt hatte, ploͤtzlich ſo ganz verzagen,
und ſich nicht zum letzten Troſtverſuch er-
mannen, um an der Spitze eines ihm treu
gebliebnen Haufens zu ſterben? Ein ſolcher
Entſchluß haͤtte das Urtheil uͤber ihn wahr-
lich ſchwieriger gemacht.
Den 8ten Auguſt 1814.
Daß das Abſchiednehmen nicht toͤdtlich
ſey, erfuhr ich abermals an meinem neun
und ſiebzigſten Geburtstage, den ich heut,
mich ſo wohlbeſindend, erlebt habe, als es
in dieſem Alter geſchehen kann; ich will mich
daher auch nicht ferner mit ſolchem Adieu-
ſagen befaſſen, ſondern ſtill fortleben in der
moͤglichſt ruhigen Erwartung des Ausganges
aus der Welt, uͤber die ich freylich gar nicht
zu klagen, zu welcher gehoͤrigem Gebrauch
ich aber viel weniger Kraft habe, als meine
guͤtigen Freunde mir einreden wollen.
Das gewiß nicht angenehme Gefuͤhl:
ertragen zu werden, begleitet mich in
jede Geſellſchaft, die ich daher auch immer
mit einer Art von Zwang beſuche, um mei-
nen Freunden, die mir gaͤnzliche Zuruͤck-
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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