schlechts thaten. Da sie aber bald von Kö- nigsberg entfernt wurde, so erlosch mein Liebeslämpchen, sogar auf viele Jahre; al- lein die Franzosen sagen: le diable n'y per- doit rien*)
Um zu zeigen, wie verschieden man im Jahr 1752 über Verschämtheit im Reden urtheilte gegen die unsrige, führ ich ein klei- nes Beyspiel von dieser Cousine an. Dieses züchtige, brave, neunzehnjährige Mädchen sprach in einer Familiengesellschaft von der Schwangerschaft einer Ehefrau, und den Zu- hörerinnen war die Verwunderung über das Wort schwanger im Munde einer Jung- frau deutlich anzusehen. Daß die Kensch- heit bey größrei Ausdrucksfreyheit nicht ge- wonnen habe, wird wohl keiner lengnen, so wenig als zu leugnen ist, daß durch ein bis
*) Sollten Neugierige es mir übelnehmen, wenn sie von meinen Liebhaberrollen weiter keine Er- wähnung finden, so bitt ich sie, mein Stillschwei- gen über dergleichen Darstellungen sich aus dem Vorgefühl zu erklären, das mich besorgen ließ, diese Geschichtchen würden keinesweges so interes- sant ausfallen, wie sie dem Herrn von Göthe und dem Graien Alfreri in ihren Biographien geglückt sind, und würden ihnen dadurch nur ärgerlich oder langweilig geworden seyn.
ſchlechts thaten. Da ſie aber bald von Koͤ- nigsberg entfernt wurde, ſo erloſch mein Liebeslaͤmpchen, ſogar auf viele Jahre; al- lein die Franzoſen ſagen: le diáble n’y per- doit rien*)
Um zu zeigen, wie verſchieden man im Jahr 1752 uͤber Verſchaͤmtheit im Reden urtheilte gegen die unſrige, fuͤhr ich ein klei- nes Beyſpiel von dieſer Couſine an. Dieſes zuͤchtige, brave, neunzehnjaͤhrige Maͤdchen ſprach in einer Familiengeſellſchaft von der Schwangerſchaft einer Ehefrau, und den Zu- hoͤrerinnen war die Verwunderung uͤber das Wort ſchwanger im Munde einer Jung- frau deutlich anzuſehen. Daß die Kenſch- heit bey groͤßrei Ausdrucksfreyheit nicht ge- wonnen habe, wird wohl keiner lengnen, ſo wenig als zu leugnen iſt, daß durch ein bis
*) Sollten Neugierige es mir uͤbelnehmen, wenn ſie von meinen Liebhaberrollen weiter keine Er- waͤhnung finden, ſo bitt ich ſie, mein Stillſchwei- gen uͤber dergleichen Darſtellungen ſich aus dem Vorgefuͤhl zu erklaͤren, das mich beſorgen ließ, dieſe Geſchichtchen wuͤrden keinesweges ſo intereſ- ſant ausfallen, wie ſie dem Herrn von Goͤthe und dem Graien Alfreri in ihren Biographien gegluͤckt ſind, und wuͤrden ihnen dadurch nur aͤrgerlich oder langweilig geworden ſeyn.
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ſchlechts thaten. Da ſie aber bald von Koͤ-
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Liebeslaͤmpchen, ſogar auf viele Jahre; al-
lein die Franzoſen ſagen: le diáble n’y per-
doit rien *)
Um zu zeigen, wie verſchieden man im
Jahr 1752 uͤber Verſchaͤmtheit im Reden
urtheilte gegen die unſrige, fuͤhr ich ein klei-
nes Beyſpiel von dieſer Couſine an. Dieſes
zuͤchtige, brave, neunzehnjaͤhrige Maͤdchen
ſprach in einer Familiengeſellſchaft von der
Schwangerſchaft einer Ehefrau, und den Zu-
hoͤrerinnen war die Verwunderung uͤber das
Wort ſchwanger im Munde einer Jung-
frau deutlich anzuſehen. Daß die Kenſch-
heit bey groͤßrei Ausdrucksfreyheit nicht ge-
wonnen habe, wird wohl keiner lengnen, ſo
wenig als zu leugnen iſt, daß durch ein bis
*) Sollten Neugierige es mir uͤbelnehmen, wenn
ſie von meinen Liebhaberrollen weiter keine Er-
waͤhnung finden, ſo bitt ich ſie, mein Stillſchwei-
gen uͤber dergleichen Darſtellungen ſich aus dem
Vorgefuͤhl zu erklaͤren, das mich beſorgen ließ,
dieſe Geſchichtchen wuͤrden keinesweges ſo intereſ-
ſant ausfallen, wie ſie dem Herrn von Goͤthe und
dem Graien Alfreri in ihren Biographien gegluͤckt
ſind, und wuͤrden ihnen dadurch nur aͤrgerlich
oder langweilig geworden ſeyn.
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Scheffner, Johann George: Mein Leben, wie ich Johann George Scheffner es selbst beschrieben. Leipzig, 1823, S. 42. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/scheffner_leben_1823/59>, abgerufen am 23.11.2024.
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