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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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der Mythologie darzustellen. Aber dieß wäre doch wieder nur Ge-
brauch
(wie bei Darwin). Die Forderung einer Mythologie ist ja
aber gerade, nicht daß ihre Symbole bloß Ideen bedeuten, sondern
daß sie für sich selbst bedeutend, unabhängige Wesen seyen. Vorläufig
also hätte man sich nur nach der Welt umzusehen, in der sich diese
Wesen unabhängig bewegen könnten. Wäre uns diese durch die Ge-
schichte
gegeben, so würden sich jene ohne Zweifel von selbst finden.
Man gebe uns nur erst das trojanische Schlachtfeld, worauf die Götter
und die Göttinnen selbst mit an dem Kampf theilnehmen können.
Also: ehe die Geschichte uns die Mythologie als allgemeingültige
Form wiedergibt, wird es immer dabei bleiben, daß das Individuum
selbst sich seinen poetischen Kreis schaffen muß; und da das allgemeine
Element des Modernen die Originalität ist, wird das Gesetz gelten,
daß gerade je origineller, desto universeller; wobei man von der Ori-
ginalität nur die Particularität unterscheiden muß. Jeder originell
behandelte Stoff ist eben dadurch auch universell poetisch. Wer
den Stoff der höheren Physik auf diese originelle Weise zu
brauchen weiß, dem wird er wahrhaft- und universell-poetisch werden
können.

Aber eine andere Beziehung, welche Naturphilosophie auf die mo-
derne Bildung hat, kommt hier in Betracht. Die dem Christenthum
eigenthümliche Richtung ist vom Endlichen zum Unendlichen. Es ist
gezeigt worden, wie diese Richtung alle symbolische Anschauung aufhebt
und das Endliche nur als das Allegorische des Unendlichen begreift.
Die in dieser allgemeinen Richtung wieder durchbrechende Tendenz, das
Unendliche im Endlichen zu schauen, war ein symbolisches Bestreben,
das aber wegen des Mangels an Objektivität, weil die Einheit in das
Subjekt zurückfiel, sich nur als Mysticismus äußern konnte. Die
Mystiker im Christenthum sind von jeher innerhalb desselben als Ver-
irrte, wenn nicht gar als Abtrünnige, betrachtet worden. Die Kirche
verstattete den Mysticismus nur im Handeln (Handlungen), weil er hier
zugleich objektiv, universell war, statt daß jener subjektive Mysticismus
eine Besonderheit von dem Ganzen, eine wirkliche Häresis war. Natur-

der Mythologie darzuſtellen. Aber dieß wäre doch wieder nur Ge-
brauch
(wie bei Darwin). Die Forderung einer Mythologie iſt ja
aber gerade, nicht daß ihre Symbole bloß Ideen bedeuten, ſondern
daß ſie für ſich ſelbſt bedeutend, unabhängige Weſen ſeyen. Vorläufig
alſo hätte man ſich nur nach der Welt umzuſehen, in der ſich dieſe
Weſen unabhängig bewegen könnten. Wäre uns dieſe durch die Ge-
ſchichte
gegeben, ſo würden ſich jene ohne Zweifel von ſelbſt finden.
Man gebe uns nur erſt das trojaniſche Schlachtfeld, worauf die Götter
und die Göttinnen ſelbſt mit an dem Kampf theilnehmen können.
Alſo: ehe die Geſchichte uns die Mythologie als allgemeingültige
Form wiedergibt, wird es immer dabei bleiben, daß das Individuum
ſelbſt ſich ſeinen poetiſchen Kreis ſchaffen muß; und da das allgemeine
Element des Modernen die Originalität iſt, wird das Geſetz gelten,
daß gerade je origineller, deſto univerſeller; wobei man von der Ori-
ginalität nur die Particularität unterſcheiden muß. Jeder originell
behandelte Stoff iſt eben dadurch auch univerſell poetiſch. Wer
den Stoff der höheren Phyſik auf dieſe originelle Weiſe zu
brauchen weiß, dem wird er wahrhaft- und univerſell-poetiſch werden
können.

Aber eine andere Beziehung, welche Naturphiloſophie auf die mo-
derne Bildung hat, kommt hier in Betracht. Die dem Chriſtenthum
eigenthümliche Richtung iſt vom Endlichen zum Unendlichen. Es iſt
gezeigt worden, wie dieſe Richtung alle ſymboliſche Anſchauung aufhebt
und das Endliche nur als das Allegoriſche des Unendlichen begreift.
Die in dieſer allgemeinen Richtung wieder durchbrechende Tendenz, das
Unendliche im Endlichen zu ſchauen, war ein ſymboliſches Beſtreben,
das aber wegen des Mangels an Objektivität, weil die Einheit in das
Subjekt zurückfiel, ſich nur als Myſticismus äußern konnte. Die
Myſtiker im Chriſtenthum ſind von jeher innerhalb deſſelben als Ver-
irrte, wenn nicht gar als Abtrünnige, betrachtet worden. Die Kirche
verſtattete den Myſticismus nur im Handeln (Handlungen), weil er hier
zugleich objektiv, univerſell war, ſtatt daß jener ſubjektive Myſticismus
eine Beſonderheit von dem Ganzen, eine wirkliche Häreſis war. Natur-

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[447/0123] der Mythologie darzuſtellen. Aber dieß wäre doch wieder nur Ge- brauch (wie bei Darwin). Die Forderung einer Mythologie iſt ja aber gerade, nicht daß ihre Symbole bloß Ideen bedeuten, ſondern daß ſie für ſich ſelbſt bedeutend, unabhängige Weſen ſeyen. Vorläufig alſo hätte man ſich nur nach der Welt umzuſehen, in der ſich dieſe Weſen unabhängig bewegen könnten. Wäre uns dieſe durch die Ge- ſchichte gegeben, ſo würden ſich jene ohne Zweifel von ſelbſt finden. Man gebe uns nur erſt das trojaniſche Schlachtfeld, worauf die Götter und die Göttinnen ſelbſt mit an dem Kampf theilnehmen können. Alſo: ehe die Geſchichte uns die Mythologie als allgemeingültige Form wiedergibt, wird es immer dabei bleiben, daß das Individuum ſelbſt ſich ſeinen poetiſchen Kreis ſchaffen muß; und da das allgemeine Element des Modernen die Originalität iſt, wird das Geſetz gelten, daß gerade je origineller, deſto univerſeller; wobei man von der Ori- ginalität nur die Particularität unterſcheiden muß. Jeder originell behandelte Stoff iſt eben dadurch auch univerſell poetiſch. Wer den Stoff der höheren Phyſik auf dieſe originelle Weiſe zu brauchen weiß, dem wird er wahrhaft- und univerſell-poetiſch werden können. Aber eine andere Beziehung, welche Naturphiloſophie auf die mo- derne Bildung hat, kommt hier in Betracht. Die dem Chriſtenthum eigenthümliche Richtung iſt vom Endlichen zum Unendlichen. Es iſt gezeigt worden, wie dieſe Richtung alle ſymboliſche Anſchauung aufhebt und das Endliche nur als das Allegoriſche des Unendlichen begreift. Die in dieſer allgemeinen Richtung wieder durchbrechende Tendenz, das Unendliche im Endlichen zu ſchauen, war ein ſymboliſches Beſtreben, das aber wegen des Mangels an Objektivität, weil die Einheit in das Subjekt zurückfiel, ſich nur als Myſticismus äußern konnte. Die Myſtiker im Chriſtenthum ſind von jeher innerhalb deſſelben als Ver- irrte, wenn nicht gar als Abtrünnige, betrachtet worden. Die Kirche verſtattete den Myſticismus nur im Handeln (Handlungen), weil er hier zugleich objektiv, univerſell war, ſtatt daß jener ſubjektive Myſticismus eine Beſonderheit von dem Ganzen, eine wirkliche Häreſis war. Natur-

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/123>, abgerufen am 26.11.2024.