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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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der Gestirne, und daß sie von inwohnenden Seelen in ihren Bahnen
geführt werden, war eine Meinung, die sich noch von Plato und
Aristoteles her erhalten hatte. Die Erde wurde bis zu Copernicus als
Mittelpunkt des Universums angeschaut; darauf ruhte auch jene aristo-
telische Astronomie, die dem Gedicht des Dante durchweg zu Grunde
liegt. Es läßt sich leicht denken, welche Folge für das Christenthum,
d. h. für das katholische System, die Copernicanische Theorie haben
mußte, und es war gewiß nicht allein wegen des Spruchs bei Josua,
daß die römische Kirche dieser reinen Lehre sich so mächtig widersetzte.
-- Geheimnißvolle Kräfte der Steine und Pflanzen waren im Orient
allgemein angenommen. Der Glaube daran kam ebenso wie die Arznei-
kunst mit den Arabern nach Europa. Ebenso der Gebrauch der Talis-
mane und Amulete, womit man sich im Orient seit den ältesten Zeiten
gegen giftige Schlangen und böse Geister verwahrt. Viele der mytho-
logischen Ansichten der Thierwelt waren den Neueren nicht eigenthümlich.

Ich werde nun, was ich von der modernen Mythologie bisher vor-
getragen, in einige Sätze zusammenfassen, um dadurch die Uebersicht zu
erleichtern. Zuerst haben wir des Zusammenhangs wegen auf einen
früheren Satz §. 28 zurückzusehen, welcher das Princip für diese ganze
Untersuchung enthält. Er setzte nämlich im Allgemeinen fest, daß die
Ideen real und als Götter, die Ideenwelt demnach als eine Welt der
Götter angeschaut werden könne. Diese Welt ist der Stoff aller Poesie.
Wo er sich bildet, ist die höchste Indifferenz des Absoluten mit dem
Besonderen in der realen Welt producirt. Hieran schließt sich nun der
folgende Satz an:

§. 43. Im Stoff der Kunst ist kein Gegensatz denkbar
als ein formeller
. Dem Wesen nach ist nämlich jener immer und
ewig eins, immer und nothwendig absolute Identität des Allgemeinen
und des Besonderen. Wenn also überhaupt ein Gegensatz in Ansehung
des Stoffes stattfindet, so ist er bloß formell, und als solcher muß er
auch objektiv sich ausdrücken als bloßer Gegensatz in der Zeit.

§. 44. Der Gegensatz wird sich darin äußern, daß die
Einheit des Absoluten und Endlichen (Besonderen) in dem

der Geſtirne, und daß ſie von inwohnenden Seelen in ihren Bahnen
geführt werden, war eine Meinung, die ſich noch von Plato und
Ariſtoteles her erhalten hatte. Die Erde wurde bis zu Copernicus als
Mittelpunkt des Univerſums angeſchaut; darauf ruhte auch jene ariſto-
teliſche Aſtronomie, die dem Gedicht des Dante durchweg zu Grunde
liegt. Es läßt ſich leicht denken, welche Folge für das Chriſtenthum,
d. h. für das katholiſche Syſtem, die Copernicaniſche Theorie haben
mußte, und es war gewiß nicht allein wegen des Spruchs bei Joſua,
daß die römiſche Kirche dieſer reinen Lehre ſich ſo mächtig widerſetzte.
— Geheimnißvolle Kräfte der Steine und Pflanzen waren im Orient
allgemein angenommen. Der Glaube daran kam ebenſo wie die Arznei-
kunſt mit den Arabern nach Europa. Ebenſo der Gebrauch der Talis-
mane und Amulete, womit man ſich im Orient ſeit den älteſten Zeiten
gegen giftige Schlangen und böſe Geiſter verwahrt. Viele der mytho-
logiſchen Anſichten der Thierwelt waren den Neueren nicht eigenthümlich.

Ich werde nun, was ich von der modernen Mythologie bisher vor-
getragen, in einige Sätze zuſammenfaſſen, um dadurch die Ueberſicht zu
erleichtern. Zuerſt haben wir des Zuſammenhangs wegen auf einen
früheren Satz §. 28 zurückzuſehen, welcher das Princip für dieſe ganze
Unterſuchung enthält. Er ſetzte nämlich im Allgemeinen feſt, daß die
Ideen real und als Götter, die Ideenwelt demnach als eine Welt der
Götter angeſchaut werden könne. Dieſe Welt iſt der Stoff aller Poeſie.
Wo er ſich bildet, iſt die höchſte Indifferenz des Abſoluten mit dem
Beſonderen in der realen Welt producirt. Hieran ſchließt ſich nun der
folgende Satz an:

§. 43. Im Stoff der Kunſt iſt kein Gegenſatz denkbar
als ein formeller
. Dem Weſen nach iſt nämlich jener immer und
ewig eins, immer und nothwendig abſolute Identität des Allgemeinen
und des Beſonderen. Wenn alſo überhaupt ein Gegenſatz in Anſehung
des Stoffes ſtattfindet, ſo iſt er bloß formell, und als ſolcher muß er
auch objektiv ſich ausdrücken als bloßer Gegenſatz in der Zeit.

§. 44. Der Gegenſatz wird ſich darin äußern, daß die
Einheit des Abſoluten und Endlichen (Beſonderen) in dem

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[451/0127] der Geſtirne, und daß ſie von inwohnenden Seelen in ihren Bahnen geführt werden, war eine Meinung, die ſich noch von Plato und Ariſtoteles her erhalten hatte. Die Erde wurde bis zu Copernicus als Mittelpunkt des Univerſums angeſchaut; darauf ruhte auch jene ariſto- teliſche Aſtronomie, die dem Gedicht des Dante durchweg zu Grunde liegt. Es läßt ſich leicht denken, welche Folge für das Chriſtenthum, d. h. für das katholiſche Syſtem, die Copernicaniſche Theorie haben mußte, und es war gewiß nicht allein wegen des Spruchs bei Joſua, daß die römiſche Kirche dieſer reinen Lehre ſich ſo mächtig widerſetzte. — Geheimnißvolle Kräfte der Steine und Pflanzen waren im Orient allgemein angenommen. Der Glaube daran kam ebenſo wie die Arznei- kunſt mit den Arabern nach Europa. Ebenſo der Gebrauch der Talis- mane und Amulete, womit man ſich im Orient ſeit den älteſten Zeiten gegen giftige Schlangen und böſe Geiſter verwahrt. Viele der mytho- logiſchen Anſichten der Thierwelt waren den Neueren nicht eigenthümlich. Ich werde nun, was ich von der modernen Mythologie bisher vor- getragen, in einige Sätze zuſammenfaſſen, um dadurch die Ueberſicht zu erleichtern. Zuerſt haben wir des Zuſammenhangs wegen auf einen früheren Satz §. 28 zurückzuſehen, welcher das Princip für dieſe ganze Unterſuchung enthält. Er ſetzte nämlich im Allgemeinen feſt, daß die Ideen real und als Götter, die Ideenwelt demnach als eine Welt der Götter angeſchaut werden könne. Dieſe Welt iſt der Stoff aller Poeſie. Wo er ſich bildet, iſt die höchſte Indifferenz des Abſoluten mit dem Beſonderen in der realen Welt producirt. Hieran ſchließt ſich nun der folgende Satz an: §. 43. Im Stoff der Kunſt iſt kein Gegenſatz denkbar als ein formeller. Dem Weſen nach iſt nämlich jener immer und ewig eins, immer und nothwendig abſolute Identität des Allgemeinen und des Beſonderen. Wenn alſo überhaupt ein Gegenſatz in Anſehung des Stoffes ſtattfindet, ſo iſt er bloß formell, und als ſolcher muß er auch objektiv ſich ausdrücken als bloßer Gegenſatz in der Zeit. §. 44. Der Gegenſatz wird ſich darin äußern, daß die Einheit des Abſoluten und Endlichen (Beſonderen) in dem

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/127>, abgerufen am 26.11.2024.