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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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Endliche zugleich das Unendliche selbst, nicht bloß es bedeutend, eben darum
etwas für sich, auch unabhängig von seiner Bedeutung. Im andern
Falle ist es für sich selbst nichts, nur in der Beziehung aufs Unendliche.

Folgesatz. Der Charakter der Kunst im ersten Fall ist im Ganzen
symbolisch, im andern im Ganzen allegorisch. (Daß dieß in der
modernen Kunst der Fall sey, ist in der Folge im Einzelnen zu be-
weisen. Indessen fassen wir hier natürlich den reinen Gegensatz auf,
also das Moderne, nicht wie es in seiner Absolutheit seyn kann, son-
dern wie es sich in seiner Nicht-Absolutheit darstellt, und demnach bisher
dargestellt hat, da uns alles überzeugt, daß die bisherige Erscheinung
der modernen Poesie noch nicht der vollendete Gegensatz ist, in welchem
eben deßwegen die beiden Entgegengesetzten auch wieder eins würden).

§. 47. In der Mythologie der ersten Art wird das
Universum angeschaut als Natur, in der andern als Welt
der Vorsehung oder als Geschichte
. -- Nothwendige Folge, da
die Einheit, welche der andern zu Grunde liegt, = Handeln, Vorsehung
im Gegensatz gegen Schicksal: Schicksal = Differenz (Uebergang),
Abfall von der Identität der Natur, Vorsehung = Reconstruktion.

Zusatz. Die Entgegensetzung des Endlichen mit dem Universum
muß sich in der ersten als Empörung, in der andern als unbedingte
Hingabe an das Universum darstellen. Jenes kann als Erhabenheit
(Grundcharakter des Antiken), dieses als Schönheit im engern Sinn
charakterisirt werden.

§. 48. In der poetischen Welt der ersten Art wird die
Gattung sich zum Individuum oder Besondern ausbil-
den, in der andern das Individuum für sich das Allge-
meine auszudrücken streben
. -- Nothwendige Folge. Denn dort
ist das Allgemeine im Besonderen als solche, hier das Besondere im
Allgemeinen als bedeutend das Allgemeine.

§. 49. Die Mythologie der ersten Art wird sich zu einer
geschlossenen Götterwelt bilden, für die andere wird das
Ganze, worin ihre Ideen objektiv werden, selbst wieder
ein unendliches Ganzes seyn
. -- Nothwendige Folge. Denn

Endliche zugleich das Unendliche ſelbſt, nicht bloß es bedeutend, eben darum
etwas für ſich, auch unabhängig von ſeiner Bedeutung. Im andern
Falle iſt es für ſich ſelbſt nichts, nur in der Beziehung aufs Unendliche.

Folgeſatz. Der Charakter der Kunſt im erſten Fall iſt im Ganzen
ſymboliſch, im andern im Ganzen allegoriſch. (Daß dieß in der
modernen Kunſt der Fall ſey, iſt in der Folge im Einzelnen zu be-
weiſen. Indeſſen faſſen wir hier natürlich den reinen Gegenſatz auf,
alſo das Moderne, nicht wie es in ſeiner Abſolutheit ſeyn kann, ſon-
dern wie es ſich in ſeiner Nicht-Abſolutheit darſtellt, und demnach bisher
dargeſtellt hat, da uns alles überzeugt, daß die bisherige Erſcheinung
der modernen Poeſie noch nicht der vollendete Gegenſatz iſt, in welchem
eben deßwegen die beiden Entgegengeſetzten auch wieder eins würden).

§. 47. In der Mythologie der erſten Art wird das
Univerſum angeſchaut als Natur, in der andern als Welt
der Vorſehung oder als Geſchichte
. — Nothwendige Folge, da
die Einheit, welche der andern zu Grunde liegt, = Handeln, Vorſehung
im Gegenſatz gegen Schickſal: Schickſal = Differenz (Uebergang),
Abfall von der Identität der Natur, Vorſehung = Reconſtruktion.

Zuſatz. Die Entgegenſetzung des Endlichen mit dem Univerſum
muß ſich in der erſten als Empörung, in der andern als unbedingte
Hingabe an das Univerſum darſtellen. Jenes kann als Erhabenheit
(Grundcharakter des Antiken), dieſes als Schönheit im engern Sinn
charakteriſirt werden.

§. 48. In der poetiſchen Welt der erſten Art wird die
Gattung ſich zum Individuum oder Beſondern ausbil-
den, in der andern das Individuum für ſich das Allge-
meine auszudrücken ſtreben
. — Nothwendige Folge. Denn dort
iſt das Allgemeine im Beſonderen als ſolche, hier das Beſondere im
Allgemeinen als bedeutend das Allgemeine.

§. 49. Die Mythologie der erſten Art wird ſich zu einer
geſchloſſenen Götterwelt bilden, für die andere wird das
Ganze, worin ihre Ideen objektiv werden, ſelbſt wieder
ein unendliches Ganzes ſeyn
. — Nothwendige Folge. Denn

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[453/0129] Endliche zugleich das Unendliche ſelbſt, nicht bloß es bedeutend, eben darum etwas für ſich, auch unabhängig von ſeiner Bedeutung. Im andern Falle iſt es für ſich ſelbſt nichts, nur in der Beziehung aufs Unendliche. Folgeſatz. Der Charakter der Kunſt im erſten Fall iſt im Ganzen ſymboliſch, im andern im Ganzen allegoriſch. (Daß dieß in der modernen Kunſt der Fall ſey, iſt in der Folge im Einzelnen zu be- weiſen. Indeſſen faſſen wir hier natürlich den reinen Gegenſatz auf, alſo das Moderne, nicht wie es in ſeiner Abſolutheit ſeyn kann, ſon- dern wie es ſich in ſeiner Nicht-Abſolutheit darſtellt, und demnach bisher dargeſtellt hat, da uns alles überzeugt, daß die bisherige Erſcheinung der modernen Poeſie noch nicht der vollendete Gegenſatz iſt, in welchem eben deßwegen die beiden Entgegengeſetzten auch wieder eins würden). §. 47. In der Mythologie der erſten Art wird das Univerſum angeſchaut als Natur, in der andern als Welt der Vorſehung oder als Geſchichte. — Nothwendige Folge, da die Einheit, welche der andern zu Grunde liegt, = Handeln, Vorſehung im Gegenſatz gegen Schickſal: Schickſal = Differenz (Uebergang), Abfall von der Identität der Natur, Vorſehung = Reconſtruktion. Zuſatz. Die Entgegenſetzung des Endlichen mit dem Univerſum muß ſich in der erſten als Empörung, in der andern als unbedingte Hingabe an das Univerſum darſtellen. Jenes kann als Erhabenheit (Grundcharakter des Antiken), dieſes als Schönheit im engern Sinn charakteriſirt werden. §. 48. In der poetiſchen Welt der erſten Art wird die Gattung ſich zum Individuum oder Beſondern ausbil- den, in der andern das Individuum für ſich das Allge- meine auszudrücken ſtreben. — Nothwendige Folge. Denn dort iſt das Allgemeine im Beſonderen als ſolche, hier das Beſondere im Allgemeinen als bedeutend das Allgemeine. §. 49. Die Mythologie der erſten Art wird ſich zu einer geſchloſſenen Götterwelt bilden, für die andere wird das Ganze, worin ihre Ideen objektiv werden, ſelbſt wieder ein unendliches Ganzes ſeyn. — Nothwendige Folge. Denn

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 453. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/129>, abgerufen am 26.11.2024.