heben, bestimmt ist; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht wird, so kann man in denselben Fall kommen, wie jener Maler, der von dem Apelles, den er um sein Urtheil wegen eines Gemäldes der Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil du sie nicht schön zu machen wußtest, hast du sie wenigstens reich machen wollen. Noch näher an das Wesentliche sich anschließend, aber insofern nur noch störender für Darstellung desselben, ist die Beobach- tung der Kleinigkeiten der Gestalt, der Haut, der Haare u. s. w. Von dieser Art sind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländischer Meister. Sie sind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das- jenige, wodurch sie gefallen wollen, zu erkennen, sie dem Gesichte so nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf strenge Nach- ahmung des Allerkleinsten, sie scheuten sich das geringste Häärchen an- ders zu legen, als man es fand, um dem schärfsten Auge, ja wenn es möglich gewesen wäre, selbst den Vergrößerungsgläsern das Unmerk- lichste in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart- haare vorzulegen. Eine solche Kunstfertigkeit könnte etwa zu Insekten- malerei zuträglich und dem Physiker oder Naturbeschreiber erwünscht seyn.
In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen abgesehen und nur das Wesentliche dargestellt wird, nähert sie sich dem Idealischen; denn die Idee ist die Nothwendigkeit und Absolutheit eines Dings. Man kann allgemein sagen, daß mit der Entfernung dessen, was nicht zum Wesen gehört, von selbst die Schönheit hervortrete, da die Schönheit das schlechthin Erste, die Substanz und das Wesen der Dinge ist, dessen Erscheinung nur durch die empirischen Bedingungen gestört ist. Die bildende Kunst hat aber überall den Gegenstand nicht in seiner empirischen, sondern in seiner absoluten Wahrheit, befreit von den Bedingungen der Zeit, in seinem An-sich darzustellen.
Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und die Composition gerechnet. Ausdruck ist überhaupt Darstellung des Inneren durch das Aeußere. Allein man sieht deutlich, daß diese zwei Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage ist, welche Art des
heben, beſtimmt iſt; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht wird, ſo kann man in denſelben Fall kommen, wie jener Maler, der von dem Apelles, den er um ſein Urtheil wegen eines Gemäldes der Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil du ſie nicht ſchön zu machen wußteſt, haſt du ſie wenigſtens reich machen wollen. Noch näher an das Weſentliche ſich anſchließend, aber inſofern nur noch ſtörender für Darſtellung deſſelben, iſt die Beobach- tung der Kleinigkeiten der Geſtalt, der Haut, der Haare u. ſ. w. Von dieſer Art ſind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländiſcher Meiſter. Sie ſind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das- jenige, wodurch ſie gefallen wollen, zu erkennen, ſie dem Geſichte ſo nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf ſtrenge Nach- ahmung des Allerkleinſten, ſie ſcheuten ſich das geringſte Häärchen an- ders zu legen, als man es fand, um dem ſchärfſten Auge, ja wenn es möglich geweſen wäre, ſelbſt den Vergrößerungsgläſern das Unmerk- lichſte in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart- haare vorzulegen. Eine ſolche Kunſtfertigkeit könnte etwa zu Inſekten- malerei zuträglich und dem Phyſiker oder Naturbeſchreiber erwünſcht ſeyn.
In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen abgeſehen und nur das Weſentliche dargeſtellt wird, nähert ſie ſich dem Idealiſchen; denn die Idee iſt die Nothwendigkeit und Abſolutheit eines Dings. Man kann allgemein ſagen, daß mit der Entfernung deſſen, was nicht zum Weſen gehört, von ſelbſt die Schönheit hervortrete, da die Schönheit das ſchlechthin Erſte, die Subſtanz und das Weſen der Dinge iſt, deſſen Erſcheinung nur durch die empiriſchen Bedingungen geſtört iſt. Die bildende Kunſt hat aber überall den Gegenſtand nicht in ſeiner empiriſchen, ſondern in ſeiner abſoluten Wahrheit, befreit von den Bedingungen der Zeit, in ſeinem An-ſich darzuſtellen.
Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und die Compoſition gerechnet. Ausdruck iſt überhaupt Darſtellung des Inneren durch das Aeußere. Allein man ſieht deutlich, daß dieſe zwei Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage iſt, welche Art des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0203"n="527"/>
heben, beſtimmt iſt; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht<lb/>
wird, ſo kann man in denſelben Fall kommen, wie jener Maler, der<lb/>
von dem Apelles, den er um ſein Urtheil wegen eines Gemäldes der<lb/>
Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil<lb/>
du ſie nicht ſchön zu machen wußteſt, haſt du ſie wenigſtens reich<lb/>
machen wollen. Noch näher an das Weſentliche ſich anſchließend, aber<lb/>
inſofern nur noch ſtörender für Darſtellung deſſelben, iſt die Beobach-<lb/>
tung der Kleinigkeiten der Geſtalt, der Haut, der Haare u. ſ. w. Von<lb/>
dieſer Art ſind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländiſcher Meiſter.<lb/>
Sie ſind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das-<lb/>
jenige, wodurch ſie gefallen wollen, zu erkennen, ſie dem Geſichte ſo<lb/>
nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf ſtrenge Nach-<lb/>
ahmung des Allerkleinſten, ſie ſcheuten ſich das geringſte Häärchen an-<lb/>
ders zu legen, als man es fand, um dem ſchärfſten Auge, ja wenn<lb/>
es möglich geweſen wäre, ſelbſt den Vergrößerungsgläſern das Unmerk-<lb/>
lichſte in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart-<lb/>
haare vorzulegen. Eine ſolche Kunſtfertigkeit könnte etwa zu Inſekten-<lb/>
malerei zuträglich und dem Phyſiker oder Naturbeſchreiber erwünſcht ſeyn.</p><lb/><p>In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen<lb/>
abgeſehen und nur das Weſentliche dargeſtellt wird, nähert ſie ſich dem<lb/>
Idealiſchen; denn die Idee iſt die Nothwendigkeit und Abſolutheit eines<lb/>
Dings. Man kann allgemein ſagen, daß mit der Entfernung deſſen,<lb/>
was nicht zum Weſen gehört, von ſelbſt die Schönheit hervortrete, da<lb/>
die Schönheit das ſchlechthin Erſte, die Subſtanz und das Weſen der<lb/>
Dinge iſt, deſſen Erſcheinung nur durch die empiriſchen Bedingungen<lb/>
geſtört iſt. Die bildende Kunſt hat aber überall den Gegenſtand nicht<lb/>
in ſeiner empiriſchen, ſondern in ſeiner abſoluten Wahrheit, befreit von<lb/>
den Bedingungen der Zeit, in ſeinem <hirendition="#g">An-ſich</hi> darzuſtellen.</p><lb/><p>Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und<lb/>
die Compoſition gerechnet. <hirendition="#g">Ausdruck</hi> iſt überhaupt Darſtellung des<lb/>
Inneren durch das Aeußere. Allein man ſieht deutlich, daß dieſe zwei<lb/>
Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte<lb/>
gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage iſt, <hirendition="#g">welche</hi> Art des<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[527/0203]
heben, beſtimmt iſt; wenn aber die Kleidung etwa zum Zweck gemacht
wird, ſo kann man in denſelben Fall kommen, wie jener Maler, der
von dem Apelles, den er um ſein Urtheil wegen eines Gemäldes der
Helena, das er verfertigt, gefragt hatte, zur Antwort bekam: Weil
du ſie nicht ſchön zu machen wußteſt, haſt du ſie wenigſtens reich
machen wollen. Noch näher an das Weſentliche ſich anſchließend, aber
inſofern nur noch ſtörender für Darſtellung deſſelben, iſt die Beobach-
tung der Kleinigkeiten der Geſtalt, der Haut, der Haare u. ſ. w. Von
dieſer Art ſind vorzüglich die Arbeiten einiger niederländiſcher Meiſter.
Sie ſind wie für den Geruch gearbeitet, denn man muß, um das-
jenige, wodurch ſie gefallen wollen, zu erkennen, ſie dem Geſichte ſo
nahe bringen als Blumen. Ihre Sorgfalt ging auf ſtrenge Nach-
ahmung des Allerkleinſten, ſie ſcheuten ſich das geringſte Häärchen an-
ders zu legen, als man es fand, um dem ſchärfſten Auge, ja wenn
es möglich geweſen wäre, ſelbſt den Vergrößerungsgläſern das Unmerk-
lichſte in der Natur, alle Poren der Haut, alle Nuancen der Bart-
haare vorzulegen. Eine ſolche Kunſtfertigkeit könnte etwa zu Inſekten-
malerei zuträglich und dem Phyſiker oder Naturbeſchreiber erwünſcht ſeyn.
In dem Verhältniß, wie in der Zeichnung von dem Zufälligen
abgeſehen und nur das Weſentliche dargeſtellt wird, nähert ſie ſich dem
Idealiſchen; denn die Idee iſt die Nothwendigkeit und Abſolutheit eines
Dings. Man kann allgemein ſagen, daß mit der Entfernung deſſen,
was nicht zum Weſen gehört, von ſelbſt die Schönheit hervortrete, da
die Schönheit das ſchlechthin Erſte, die Subſtanz und das Weſen der
Dinge iſt, deſſen Erſcheinung nur durch die empiriſchen Bedingungen
geſtört iſt. Die bildende Kunſt hat aber überall den Gegenſtand nicht
in ſeiner empiriſchen, ſondern in ſeiner abſoluten Wahrheit, befreit von
den Bedingungen der Zeit, in ſeinem An-ſich darzuſtellen.
Gewöhnlich wird zu der Zeichnung auch noch der Ausdruck und
die Compoſition gerechnet. Ausdruck iſt überhaupt Darſtellung des
Inneren durch das Aeußere. Allein man ſieht deutlich, daß dieſe zwei
Seiten hat, die der Invention und die der Ausführung; bloß die letzte
gehört der Zeichnung an. Wenn die Frage iſt, welche Art des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 527. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/203>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.