des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling in der Methode vorzog, sofern das, was ein anderes aufnimmt, das Herrschende ist, das Aufgenommene dagegen das Beherrschte (nach Philosophie der Kunst S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden- thum aber war das Herrschende das Endliche, im Christenthum ist es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber- gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das Reale im Christenthum) ist "nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur Unendlichkeit, sondern eine Endlichwerdung des Unendlichen", wie die Abhandlung sagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292) sich ausdrückt, vgl. mit Philosophie der Kunst S. 431 ff.: das wahre Unendliche mußte erst ins Endliche kommen, um dieses an sich selbst zu opfern, es dadurch zu versöhnen und -- als Geist -- zum Unendlichen zurückzuführen: -- wir sehen, die Methode (und die Philosophie der Kunst) stimmt auch in dieser letzteren Bestimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet ihrer Abweichung von derselben bei der Anwendung jener Formel.
Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Christen- thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An- schauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, so ist meines Er- achtens der Grund darin zu suchen, daß er es dort nicht nach seiner allgemeinen Richtung, sondern gleich nur nach dem charakterisirt, was er als sein Besonderstes und Innerstes, als seine "Vollendung" erklärt, zu welcher das Christenthum als Ge- gensatz nur der Weg sey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben nach dieser Vollendung nennt er Mysticismus. Nach dieser tief in ihm liegenden Tendenz betrachtet, ist das Christenthum Schauen des Unendlichen im Endlichen, während seine "allgemeine und un- mittelbare Richtung" auf das Unendliche geht. Sein herrschendes Princip ist das Unendliche, aber innerhalb dieser principiellen Rich- tung selbst bricht wieder "das symbolische Bestreben" (= das Un- endliche im Endlichen zu schauen) durch. Die Philosophie der Kunst
des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling in der Methode vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt, das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte (nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden- thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber- gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das Reale im Chriſtenthum) iſt „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292) ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff.: das wahre Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel.
Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten- thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An- ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er- achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach ſeiner allgemeinen Richtung, ſondern gleich nur nach dem charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als ſeine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge- genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „allgemeine und un- mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich- tung ſelbſt bricht wieder „das ſymboliſche Beſtreben“ (= das Un- endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der Kunſt
<TEI><text><front><divn="1"><p><pbfacs="#f0023"n="XV"/>
des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt<lb/>
Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling<lb/>
in der <hirendition="#g">Methode</hi> vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt,<lb/>
das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte<lb/>
(nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden-<lb/>
thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt<lb/>
es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber-<lb/>
gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das<lb/>
Reale im Chriſtenthum) iſt „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur<lb/>
Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie<lb/>
die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292)<lb/>ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff.: das<lb/><hirendition="#g">wahre</hi> Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes<lb/>
an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als<lb/>
Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die<lb/>
Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer<lb/>
letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet<lb/>
ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel.</p><lb/><p>Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten-<lb/>
thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An-<lb/>ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er-<lb/>
achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach<lb/>ſeiner <hirendition="#g">allgemeinen</hi> Richtung, ſondern gleich nur nach dem<lb/>
charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als<lb/>ſeine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge-<lb/>
genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben<lb/>
nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief<lb/>
in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen<lb/>
des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „allgemeine und un-<lb/>
mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes<lb/>
Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich-<lb/>
tung ſelbſt bricht wieder „das ſymboliſche Beſtreben“ (= das Un-<lb/>
endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der Kunſt<lb/></p></div></front></text></TEI>
[XV/0023]
des Endlichen im Unendlichen, das des Heidenthums umgekehrt
Einbildung des Unendlichen ins Endliche, wie es auch Schelling
in der Methode vorzog, ſofern das, was ein anderes aufnimmt,
das Herrſchende iſt, das Aufgenommene dagegen das Beherrſchte
(nach Philoſophie der Kunſt S. 378, Z. 5 v. o.), im Heiden-
thum aber war das Herrſchende das Endliche, im Chriſtenthum iſt
es das Unendliche; der Weg aber oder das Mittel hierzu (zum Ueber-
gewicht des Unendlichen über das Endliche, des Idealen über das
Reale im Chriſtenthum) iſt „nicht eine Erhebung der Endlichkeit zur
Unendlichkeit, ſondern eine Endlichwerdung des Unendlichen“, wie
die Abhandlung ſagt (S. 117), oder, wie die Methode (S. 292)
ſich ausdrückt, vgl. mit Philoſophie der Kunſt S. 431 ff.: das
wahre Unendliche mußte erſt ins Endliche kommen, um dieſes
an ſich ſelbſt zu opfern, es dadurch zu verſöhnen und — als
Geiſt — zum Unendlichen zurückzuführen: — wir ſehen, die
Methode (und die Philoſophie der Kunſt) ſtimmt auch in dieſer
letzteren Beſtimmung mit der Abhandlung völlig überein ungeachtet
ihrer Abweichung von derſelben bei der Anwendung jener Formel.
Wenn Schelling in der Abhandlung vielmehr das Chriſten-
thum als Einbildung des Unendlichen ins Endliche oder als An-
ſchauung des Unendlichen im Endlichen bezeichnete, ſo iſt meines Er-
achtens der Grund darin zu ſuchen, daß er es dort nicht nach
ſeiner allgemeinen Richtung, ſondern gleich nur nach dem
charakteriſirt, was er als ſein Beſonderſtes und Innerſtes, als
ſeine „Vollendung“ erklärt, zu welcher das Chriſtenthum als Ge-
genſatz nur der Weg ſey (S. 120, Z. 1 v. o.). Das Streben
nach dieſer Vollendung nennt er Myſticismus. Nach dieſer tief
in ihm liegenden Tendenz betrachtet, iſt das Chriſtenthum Schauen
des Unendlichen im Endlichen, während ſeine „allgemeine und un-
mittelbare Richtung“ auf das Unendliche geht. Sein herrſchendes
Princip iſt das Unendliche, aber innerhalb dieſer principiellen Rich-
tung ſelbſt bricht wieder „das ſymboliſche Beſtreben“ (= das Un-
endliche im Endlichen zu ſchauen) durch. Die Philoſophie der Kunſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. XV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/23>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.