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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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die Tragödie oder das Heldengedicht hat. Jede mögliche Geschichte ist
an und für sich ein einzelnes Factum, welches demnach zur Kunstdar-
stellung nur dadurch erhoben wird, daß es zugleich bedeutend und wo
möglich Ausdruck von Ideen, allgemein bedeutend, wird. Aristoteles
sagt, Homer habe lieber das Unmögliche, welches wahrscheinlich ist,
als das bloß Mögliche darstellen wollen; man fordert mit Recht das-
selbe von dem Gemälde, daß es sich nämlich über das gemeinhin
Mögliche erhebe und eine höhere und absolute Möglichkeit zum Maß-
stab der Darstellung nehme.

Das historische Gemälde, sagten wir, könne Darstellung von Ideen,
also symbolisch seyn theils in dem Ausdruck, welcher den einzelnen Ge-
stalten gegeben wird, theils in der Art des Geschehens der Begebenheit,
welche vorgestellt wird. Was das Erste betrifft, so gewährt nichts Be-
friedigung, was bloß die Sinne rührt und nicht in das Innere des
Geistes dringt. Die bloße Schönheit der Umrisse vollendet das Be-
deutende nicht ohne tieferen Hintergrund, der nicht gleich beim ersten
Blicke erforscht wird. Eine ernsthafte Schönheit läßt niemals völlig
satt und zufrieden gehen, weil man immer noch Schöneres und Tieferes
an ihr entdecken zu können glaubt. Von dieser Art sind die Schön-
heiten des Raphael und der alten Meister, "nicht spielend und lieb-
reizend, wie Winkelmann sagt, aber wohlgebildet und erfüllet mit einer
wahrhaften und ursprünglichen Schönheit". Durch Reizungen dieser Art
ist Cleopatra durch alle Zeiten berühmt geworden, und selbst in die
Köpfe des Antonius haben die Alten diesen würdigen Ernst gelegt.

Es gibt also eine Würde und Höhe des Ausdrucks, die noch über
die Schönheit des Umrisses hinzukommt, oder diesen erst wirklich bedeu-
tend macht. Eine Veredlung der gemeinen Natur fordert man auch
von dem Portraitmaler, und er kann diese erreichen, ohne der Aehn-
lichkeit zu schaden, d. h. ohne daß er aufhört Nachahmer zu seyn.
Das, was immer und nothwendig erfunden ist, ist die Idee, und diese,
wenn von ihr in dem Bilde ein Ausdruck ist, kann sogar dem Portrait
durch höheren Reiz das Symbolische geben.

Was die Art des Darstellens der Begebenheiten selbst betrifft,

die Tragödie oder das Heldengedicht hat. Jede mögliche Geſchichte iſt
an und für ſich ein einzelnes Factum, welches demnach zur Kunſtdar-
ſtellung nur dadurch erhoben wird, daß es zugleich bedeutend und wo
möglich Ausdruck von Ideen, allgemein bedeutend, wird. Ariſtoteles
ſagt, Homer habe lieber das Unmögliche, welches wahrſcheinlich iſt,
als das bloß Mögliche darſtellen wollen; man fordert mit Recht das-
ſelbe von dem Gemälde, daß es ſich nämlich über das gemeinhin
Mögliche erhebe und eine höhere und abſolute Möglichkeit zum Maß-
ſtab der Darſtellung nehme.

Das hiſtoriſche Gemälde, ſagten wir, könne Darſtellung von Ideen,
alſo ſymboliſch ſeyn theils in dem Ausdruck, welcher den einzelnen Ge-
ſtalten gegeben wird, theils in der Art des Geſchehens der Begebenheit,
welche vorgeſtellt wird. Was das Erſte betrifft, ſo gewährt nichts Be-
friedigung, was bloß die Sinne rührt und nicht in das Innere des
Geiſtes dringt. Die bloße Schönheit der Umriſſe vollendet das Be-
deutende nicht ohne tieferen Hintergrund, der nicht gleich beim erſten
Blicke erforſcht wird. Eine ernſthafte Schönheit läßt niemals völlig
ſatt und zufrieden gehen, weil man immer noch Schöneres und Tieferes
an ihr entdecken zu können glaubt. Von dieſer Art ſind die Schön-
heiten des Raphael und der alten Meiſter, „nicht ſpielend und lieb-
reizend, wie Winkelmann ſagt, aber wohlgebildet und erfüllet mit einer
wahrhaften und urſprünglichen Schönheit“. Durch Reizungen dieſer Art
iſt Cleopatra durch alle Zeiten berühmt geworden, und ſelbſt in die
Köpfe des Antonius haben die Alten dieſen würdigen Ernſt gelegt.

Es gibt alſo eine Würde und Höhe des Ausdrucks, die noch über
die Schönheit des Umriſſes hinzukommt, oder dieſen erſt wirklich bedeu-
tend macht. Eine Veredlung der gemeinen Natur fordert man auch
von dem Portraitmaler, und er kann dieſe erreichen, ohne der Aehn-
lichkeit zu ſchaden, d. h. ohne daß er aufhört Nachahmer zu ſeyn.
Das, was immer und nothwendig erfunden iſt, iſt die Idee, und dieſe,
wenn von ihr in dem Bilde ein Ausdruck iſt, kann ſogar dem Portrait
durch höheren Reiz das Symboliſche geben.

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[556/0232] die Tragödie oder das Heldengedicht hat. Jede mögliche Geſchichte iſt an und für ſich ein einzelnes Factum, welches demnach zur Kunſtdar- ſtellung nur dadurch erhoben wird, daß es zugleich bedeutend und wo möglich Ausdruck von Ideen, allgemein bedeutend, wird. Ariſtoteles ſagt, Homer habe lieber das Unmögliche, welches wahrſcheinlich iſt, als das bloß Mögliche darſtellen wollen; man fordert mit Recht das- ſelbe von dem Gemälde, daß es ſich nämlich über das gemeinhin Mögliche erhebe und eine höhere und abſolute Möglichkeit zum Maß- ſtab der Darſtellung nehme. Das hiſtoriſche Gemälde, ſagten wir, könne Darſtellung von Ideen, alſo ſymboliſch ſeyn theils in dem Ausdruck, welcher den einzelnen Ge- ſtalten gegeben wird, theils in der Art des Geſchehens der Begebenheit, welche vorgeſtellt wird. Was das Erſte betrifft, ſo gewährt nichts Be- friedigung, was bloß die Sinne rührt und nicht in das Innere des Geiſtes dringt. Die bloße Schönheit der Umriſſe vollendet das Be- deutende nicht ohne tieferen Hintergrund, der nicht gleich beim erſten Blicke erforſcht wird. Eine ernſthafte Schönheit läßt niemals völlig ſatt und zufrieden gehen, weil man immer noch Schöneres und Tieferes an ihr entdecken zu können glaubt. Von dieſer Art ſind die Schön- heiten des Raphael und der alten Meiſter, „nicht ſpielend und lieb- reizend, wie Winkelmann ſagt, aber wohlgebildet und erfüllet mit einer wahrhaften und urſprünglichen Schönheit“. Durch Reizungen dieſer Art iſt Cleopatra durch alle Zeiten berühmt geworden, und ſelbſt in die Köpfe des Antonius haben die Alten dieſen würdigen Ernſt gelegt. Es gibt alſo eine Würde und Höhe des Ausdrucks, die noch über die Schönheit des Umriſſes hinzukommt, oder dieſen erſt wirklich bedeu- tend macht. Eine Veredlung der gemeinen Natur fordert man auch von dem Portraitmaler, und er kann dieſe erreichen, ohne der Aehn- lichkeit zu ſchaden, d. h. ohne daß er aufhört Nachahmer zu ſeyn. Das, was immer und nothwendig erfunden iſt, iſt die Idee, und dieſe, wenn von ihr in dem Bilde ein Ausdruck iſt, kann ſogar dem Portrait durch höheren Reiz das Symboliſche geben. Was die Art des Darſtellens der Begebenheiten ſelbſt betrifft,

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/232>, abgerufen am 21.11.2024.