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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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seiner Werke; daher in ihrer Uebernatürlichkeit doch wieder die höchste,
in Unschuld übergehende Natürlichkeit, jenes letzte Kennzeichen der Kunst.

Bisher war von der Kunst des historischen Gemäldes rein als
solcher die Rede. Es ist nöthig, daß wir noch von den Gegenständen
des historischen Gemäldes handeln. -- Vorzüglich kommt dabei eine
Frage in Betracht, welche nicht nur die Liebhaber, sondern selbst Kenner
interessirt hat: durch welche in der Kunst selbst liegende Mittel es
möglich sey, einen Gegenstand malerisch so darzustellen, daß er als
dieser erkannt werde. Man setzt nämlich bei dieser Frage voraus, daß
die Hauptsache im historischen Gemälde die wirkliche, empirische Er-
kennbarkeit des Gegenstandes sey: allein dieß kann wenigstens nicht auf
irgend eine Weise zum Gesetz gemacht werden, weil, sobald es allge-
mein gedacht wird, die Forderung selbst ungereimt ist. Wer z. B. in
dem oben angeführten Gemälde des Raphael den römischen Bischof
nicht nur so weit als nöthig ist diesen allgemeinen Charakter zu wissen,
sondern auch persönlich als den, der so oder so geheißen hat, bezeichnet
wissen wollte, der müßte die Sitte der alten Maler, ihren Figuren
Zettel aus dem Munde herausgehen zu lassen, worauf ihre Bedeutung
geschrieben stand, für die zweckmäßigste erklären. Die Forderung, ein
Gemälde bis zur empirischen Wirklichkeit zu begreifen, muß also immer
eingeschränkt bleiben, und das Symbolische des historischen Gemäldes
erhebt schon von selbst über diesen Gesichtspunkt. Wir würden von
der hohen Schönheit der Gruppe des Laokoon nichts verlieren, wenn
wir auch nicht durch Plinius und Virgilius von dem Namen des
Leidenden unterrichtet wären. Die Grundforderung ist nur, daß der
Gegenstand an und für sich selbst vollkommen und klar erkennbar sey.
Ist das Gemälde seinem eigentlichen Gegenstande nach symbolisch, so
gehört es schon von selbst zu einem gewissen mythologischen Kreis, dessen
Kenntniß auf eine allgemeingültige Weise vorausgesetzt wird. Ist es
der ersten Intention nach historisch, so stehen eben der malerischen
Darstellung Mittel genug zu Gebot Zeitalter und Nation zu bezeichnen.
Nicht eben allein durch das, was man Beobachtung des Kostüms in
der Kleidung nennt, das bei antiken Gegenständen freilich darum nicht

Schelling, sämmtl. Werke. 1. Abth. V. 36

ſeiner Werke; daher in ihrer Uebernatürlichkeit doch wieder die höchſte,
in Unſchuld übergehende Natürlichkeit, jenes letzte Kennzeichen der Kunſt.

Bisher war von der Kunſt des hiſtoriſchen Gemäldes rein als
ſolcher die Rede. Es iſt nöthig, daß wir noch von den Gegenſtänden
des hiſtoriſchen Gemäldes handeln. — Vorzüglich kommt dabei eine
Frage in Betracht, welche nicht nur die Liebhaber, ſondern ſelbſt Kenner
intereſſirt hat: durch welche in der Kunſt ſelbſt liegende Mittel es
möglich ſey, einen Gegenſtand maleriſch ſo darzuſtellen, daß er als
dieſer erkannt werde. Man ſetzt nämlich bei dieſer Frage voraus, daß
die Hauptſache im hiſtoriſchen Gemälde die wirkliche, empiriſche Er-
kennbarkeit des Gegenſtandes ſey: allein dieß kann wenigſtens nicht auf
irgend eine Weiſe zum Geſetz gemacht werden, weil, ſobald es allge-
mein gedacht wird, die Forderung ſelbſt ungereimt iſt. Wer z. B. in
dem oben angeführten Gemälde des Raphael den römiſchen Biſchof
nicht nur ſo weit als nöthig iſt dieſen allgemeinen Charakter zu wiſſen,
ſondern auch perſönlich als den, der ſo oder ſo geheißen hat, bezeichnet
wiſſen wollte, der müßte die Sitte der alten Maler, ihren Figuren
Zettel aus dem Munde herausgehen zu laſſen, worauf ihre Bedeutung
geſchrieben ſtand, für die zweckmäßigſte erklären. Die Forderung, ein
Gemälde bis zur empiriſchen Wirklichkeit zu begreifen, muß alſo immer
eingeſchränkt bleiben, und das Symboliſche des hiſtoriſchen Gemäldes
erhebt ſchon von ſelbſt über dieſen Geſichtspunkt. Wir würden von
der hohen Schönheit der Gruppe des Laokoon nichts verlieren, wenn
wir auch nicht durch Plinius und Virgilius von dem Namen des
Leidenden unterrichtet wären. Die Grundforderung iſt nur, daß der
Gegenſtand an und für ſich ſelbſt vollkommen und klar erkennbar ſey.
Iſt das Gemälde ſeinem eigentlichen Gegenſtande nach ſymboliſch, ſo
gehört es ſchon von ſelbſt zu einem gewiſſen mythologiſchen Kreis, deſſen
Kenntniß auf eine allgemeingültige Weiſe vorausgeſetzt wird. Iſt es
der erſten Intention nach hiſtoriſch, ſo ſtehen eben der maleriſchen
Darſtellung Mittel genug zu Gebot Zeitalter und Nation zu bezeichnen.
Nicht eben allein durch das, was man Beobachtung des Koſtüms in
der Kleidung nennt, das bei antiken Gegenſtänden freilich darum nicht

Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 36
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[561/0237] ſeiner Werke; daher in ihrer Uebernatürlichkeit doch wieder die höchſte, in Unſchuld übergehende Natürlichkeit, jenes letzte Kennzeichen der Kunſt. Bisher war von der Kunſt des hiſtoriſchen Gemäldes rein als ſolcher die Rede. Es iſt nöthig, daß wir noch von den Gegenſtänden des hiſtoriſchen Gemäldes handeln. — Vorzüglich kommt dabei eine Frage in Betracht, welche nicht nur die Liebhaber, ſondern ſelbſt Kenner intereſſirt hat: durch welche in der Kunſt ſelbſt liegende Mittel es möglich ſey, einen Gegenſtand maleriſch ſo darzuſtellen, daß er als dieſer erkannt werde. Man ſetzt nämlich bei dieſer Frage voraus, daß die Hauptſache im hiſtoriſchen Gemälde die wirkliche, empiriſche Er- kennbarkeit des Gegenſtandes ſey: allein dieß kann wenigſtens nicht auf irgend eine Weiſe zum Geſetz gemacht werden, weil, ſobald es allge- mein gedacht wird, die Forderung ſelbſt ungereimt iſt. Wer z. B. in dem oben angeführten Gemälde des Raphael den römiſchen Biſchof nicht nur ſo weit als nöthig iſt dieſen allgemeinen Charakter zu wiſſen, ſondern auch perſönlich als den, der ſo oder ſo geheißen hat, bezeichnet wiſſen wollte, der müßte die Sitte der alten Maler, ihren Figuren Zettel aus dem Munde herausgehen zu laſſen, worauf ihre Bedeutung geſchrieben ſtand, für die zweckmäßigſte erklären. Die Forderung, ein Gemälde bis zur empiriſchen Wirklichkeit zu begreifen, muß alſo immer eingeſchränkt bleiben, und das Symboliſche des hiſtoriſchen Gemäldes erhebt ſchon von ſelbſt über dieſen Geſichtspunkt. Wir würden von der hohen Schönheit der Gruppe des Laokoon nichts verlieren, wenn wir auch nicht durch Plinius und Virgilius von dem Namen des Leidenden unterrichtet wären. Die Grundforderung iſt nur, daß der Gegenſtand an und für ſich ſelbſt vollkommen und klar erkennbar ſey. Iſt das Gemälde ſeinem eigentlichen Gegenſtande nach ſymboliſch, ſo gehört es ſchon von ſelbſt zu einem gewiſſen mythologiſchen Kreis, deſſen Kenntniß auf eine allgemeingültige Weiſe vorausgeſetzt wird. Iſt es der erſten Intention nach hiſtoriſch, ſo ſtehen eben der maleriſchen Darſtellung Mittel genug zu Gebot Zeitalter und Nation zu bezeichnen. Nicht eben allein durch das, was man Beobachtung des Koſtüms in der Kleidung nennt, das bei antiken Gegenſtänden freilich darum nicht Schelling, ſämmtl. Werke. 1. Abth. V. 36

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 561. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/237>, abgerufen am 21.11.2024.