Dieser Charakter, wie er hier angegeben ist, ist der Charakter der plastischen Götterbildungen, jeder nämlich in ihrer Art. Jede ist voll- endet, jede ruht in der höchsten Befriedigung, ohne deßwegen unthätig zu scheinen. Nur die Thätigkeit, welche das Gleichgewicht der Seele aufhebt, der Ernst und die Arbeit, welche die Stirne der Sterblichen furcht, ebenso wie die Lust und die Begier, welche sie aus sich selbst herauszieht, sind von ihrem Angesicht verschwunden. In dieser erhabe- nen Gleichgültigkeit kann keine Möglichkeit der Wirklichkeit vorangehen; deßwegen ist "mit der Neigung zugleich auch alle Spur des Willens, der nicht zugleich That und Befriedigung wäre, aus ihnen ausgelöscht" 1. Sie erscheinen als Wesen, die schlechthin um ihrer selbst willen und ganz in sich selbst sind. Sie erscheinen unbeschränkt von außen, denn sie sind gleichsam nicht im Raum, sondern tragen ihn selbst in sich als eine geschlossene Schöpfung. Jeder fremden Berührung entrückt, erscheint auch, was in ihnen wirklich Begrenzung ist, als ihre Vollkommenheit und Absolutheit. Eben durch diese sind sie in sich selbst.
§. 131. Das höchste Gesetz aller plastischen Bildungen ist Indifferenz, absolutes Gleichgewicht der Möglichkeit und Wirklichkeit. -- Unmittelbare Folge aus dem Vorhergehenden. Dieses Gesetz ist allgemein, denn das höhere plastische Werk ist schon für sich ein Gott, auch wenn es einen Sterblichen darstellen sollte. Auch der Mensch, wenn er leidet, soll leiden, wie ein Gott leiden würde, wenn er dessen fähig wäre. Schon aus dem Begriff der Götter folgt, daß sie alles Leidens entbunden erscheinen, und nur Prometheus, das Urbild aller tragischen Kunst, leidet als Gott. In den Götter- gestalten kann also an und für sich selbst kein Ausdruck angetroffen werden, der das innere Gleichgewicht der Seele aufgehoben zeigte.
In der Construktion der Malerei wurde (§. 87) behauptet, daß auch in ihren Darstellungen der Ausdruck gemäßigt werden müsse. Allein in der Malerei ist dieß nicht so unmittelbar der Fall als in der Plastik. Die Malerei muß ihn mäßigen, damit er der Schönheit nicht
1 Schiller über die ästhetische Erziehung des Menschen (Taschenausgabe von 1847, Bd. 12, S. 62).
Dieſer Charakter, wie er hier angegeben iſt, iſt der Charakter der plaſtiſchen Götterbildungen, jeder nämlich in ihrer Art. Jede iſt voll- endet, jede ruht in der höchſten Befriedigung, ohne deßwegen unthätig zu ſcheinen. Nur die Thätigkeit, welche das Gleichgewicht der Seele aufhebt, der Ernſt und die Arbeit, welche die Stirne der Sterblichen furcht, ebenſo wie die Luſt und die Begier, welche ſie aus ſich ſelbſt herauszieht, ſind von ihrem Angeſicht verſchwunden. In dieſer erhabe- nen Gleichgültigkeit kann keine Möglichkeit der Wirklichkeit vorangehen; deßwegen iſt „mit der Neigung zugleich auch alle Spur des Willens, der nicht zugleich That und Befriedigung wäre, aus ihnen ausgelöſcht“ 1. Sie erſcheinen als Weſen, die ſchlechthin um ihrer ſelbſt willen und ganz in ſich ſelbſt ſind. Sie erſcheinen unbeſchränkt von außen, denn ſie ſind gleichſam nicht im Raum, ſondern tragen ihn ſelbſt in ſich als eine geſchloſſene Schöpfung. Jeder fremden Berührung entrückt, erſcheint auch, was in ihnen wirklich Begrenzung iſt, als ihre Vollkommenheit und Abſolutheit. Eben durch dieſe ſind ſie in ſich ſelbſt.
§. 131. Das höchſte Geſetz aller plaſtiſchen Bildungen iſt Indifferenz, abſolutes Gleichgewicht der Möglichkeit und Wirklichkeit. — Unmittelbare Folge aus dem Vorhergehenden. Dieſes Geſetz iſt allgemein, denn das höhere plaſtiſche Werk iſt ſchon für ſich ein Gott, auch wenn es einen Sterblichen darſtellen ſollte. Auch der Menſch, wenn er leidet, ſoll leiden, wie ein Gott leiden würde, wenn er deſſen fähig wäre. Schon aus dem Begriff der Götter folgt, daß ſie alles Leidens entbunden erſcheinen, und nur Prometheus, das Urbild aller tragiſchen Kunſt, leidet als Gott. In den Götter- geſtalten kann alſo an und für ſich ſelbſt kein Ausdruck angetroffen werden, der das innere Gleichgewicht der Seele aufgehoben zeigte.
In der Conſtruktion der Malerei wurde (§. 87) behauptet, daß auch in ihren Darſtellungen der Ausdruck gemäßigt werden müſſe. Allein in der Malerei iſt dieß nicht ſo unmittelbar der Fall als in der Plaſtik. Die Malerei muß ihn mäßigen, damit er der Schönheit nicht
1 Schiller über die äſthetiſche Erziehung des Menſchen (Taſchenausgabe von 1847, Bd. 12, S. 62).
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Dieſer Charakter, wie er hier angegeben iſt, iſt der Charakter der
plaſtiſchen Götterbildungen, jeder nämlich in ihrer Art. Jede iſt voll-
endet, jede ruht in der höchſten Befriedigung, ohne deßwegen unthätig
zu ſcheinen. Nur die Thätigkeit, welche das Gleichgewicht der Seele
aufhebt, der Ernſt und die Arbeit, welche die Stirne der Sterblichen
furcht, ebenſo wie die Luſt und die Begier, welche ſie aus ſich ſelbſt
herauszieht, ſind von ihrem Angeſicht verſchwunden. In dieſer erhabe-
nen Gleichgültigkeit kann keine Möglichkeit der Wirklichkeit vorangehen;
deßwegen iſt „mit der Neigung zugleich auch alle Spur des Willens, der
nicht zugleich That und Befriedigung wäre, aus ihnen ausgelöſcht“ 1. Sie
erſcheinen als Weſen, die ſchlechthin um ihrer ſelbſt willen und ganz
in ſich ſelbſt ſind. Sie erſcheinen unbeſchränkt von außen, denn ſie
ſind gleichſam nicht im Raum, ſondern tragen ihn ſelbſt in ſich als
eine geſchloſſene Schöpfung. Jeder fremden Berührung entrückt, erſcheint
auch, was in ihnen wirklich Begrenzung iſt, als ihre Vollkommenheit
und Abſolutheit. Eben durch dieſe ſind ſie in ſich ſelbſt.
§. 131. Das höchſte Geſetz aller plaſtiſchen Bildungen
iſt Indifferenz, abſolutes Gleichgewicht der Möglichkeit
und Wirklichkeit. — Unmittelbare Folge aus dem Vorhergehenden.
Dieſes Geſetz iſt allgemein, denn das höhere plaſtiſche Werk iſt ſchon
für ſich ein Gott, auch wenn es einen Sterblichen darſtellen ſollte.
Auch der Menſch, wenn er leidet, ſoll leiden, wie ein Gott leiden
würde, wenn er deſſen fähig wäre. Schon aus dem Begriff der Götter
folgt, daß ſie alles Leidens entbunden erſcheinen, und nur Prometheus,
das Urbild aller tragiſchen Kunſt, leidet als Gott. In den Götter-
geſtalten kann alſo an und für ſich ſelbſt kein Ausdruck angetroffen
werden, der das innere Gleichgewicht der Seele aufgehoben zeigte.
In der Conſtruktion der Malerei wurde (§. 87) behauptet, daß
auch in ihren Darſtellungen der Ausdruck gemäßigt werden müſſe.
Allein in der Malerei iſt dieß nicht ſo unmittelbar der Fall als in der
Plaſtik. Die Malerei muß ihn mäßigen, damit er der Schönheit nicht
1 Schiller über die äſthetiſche Erziehung des Menſchen (Taſchenausgabe von
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 623. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/299>, abgerufen am 21.11.2024.
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