im Seyn, und integrirt sich doch von der andern durch ein Reales, ohne daß er aufhörte ideal zu seyn. Insbesondere das Verhältniß der Sprache zum Klang überhaupt betreffend, erinnere ich Folgendes. Klang = reine Einbildung des Unendlichen ins Endliche, als solche aufgefaßt. In der Sprache ist diese Einbildung vollendet, und es beginnt schon das Reich der entgegengesetzten Einheit. Die Sprache ist daher gleichsam der po- tenzirteste, aus der Einbildung des Unendlichen ins Endliche entsprungene Stoff. Die Materie ist das ins Endliche eingegangene Wort Gottes. Dieses Wort, welches sich im Klang noch durch lauter Differenzen (in der Verschiedenheit der Töne) zu erkennen gibt und anorgisch ist, also den entsprechenden Leib noch nicht gefunden hat, findet ihn in der Sprache. Wie in dem Fleisch des menschlichen Leibs sich alle Differenzen der Farben aufheben, und die höchste Indifferenz aller entsteht, so ist die Rede der zur Indifferenz reducirte Stoff aller Töne und Klänge. -- Es ist nothwendig, wie auch in dem Verlauf der allgemeinen Philosophie klar wird, daß die höchste Verkörperung und Bindung der Intelligenz zugleich der Moment ihrer Befreiung ist. In dem menschlichen Orga- nismus ist der höchste Contraktionspunkt des Universum und der in ihm wohnenden Intelligenz. Aber eben im Menschen auch bricht sie zur Freiheit durch. Deßwegen erscheint auch hier wieder Klang, Ton als Ausdruck des Unendlichen im Endlichen, aber als Ausdruck der vollendeten Einbildung -- in der Sprache, die sich zum bloßen Klang ebenso verhält, wie sich der dem Licht vermählte Stoff eines organischen Leibs zur allgemeinen Materie verhält.
Die Sprache für sich selbst nun ist das Chaos, aus dem die Poesie die Leiber ihrer Ideen bilden soll. Das poetische Kunstwerk soll aber, wie jedes andere, ein Absolutes im Besondern, ein Universum, ein Weltkörper seyn. Dieß ist nicht anders möglich als durch Absonderung der Rede, worin das Kunstwerk sich ausdrückt, von der Totalität der Sprache. Aber diese Absonderung einerseits und die Absolutheit anderer- seits ist nicht möglich, ohne daß die Rede ihre eigne unabhängige Bewegung und eben deßwegen ihre Zeit in sich selbst habe, wie der Weltkörper; dadurch schließt sie sich von allem andern ab, indem sie einer inneren Gesetz-
im Seyn, und integrirt ſich doch von der andern durch ein Reales, ohne daß er aufhörte ideal zu ſeyn. Insbeſondere das Verhältniß der Sprache zum Klang überhaupt betreffend, erinnere ich Folgendes. Klang = reine Einbildung des Unendlichen ins Endliche, als ſolche aufgefaßt. In der Sprache iſt dieſe Einbildung vollendet, und es beginnt ſchon das Reich der entgegengeſetzten Einheit. Die Sprache iſt daher gleichſam der po- tenzirteſte, aus der Einbildung des Unendlichen ins Endliche entſprungene Stoff. Die Materie iſt das ins Endliche eingegangene Wort Gottes. Dieſes Wort, welches ſich im Klang noch durch lauter Differenzen (in der Verſchiedenheit der Töne) zu erkennen gibt und anorgiſch iſt, alſo den entſprechenden Leib noch nicht gefunden hat, findet ihn in der Sprache. Wie in dem Fleiſch des menſchlichen Leibs ſich alle Differenzen der Farben aufheben, und die höchſte Indifferenz aller entſteht, ſo iſt die Rede der zur Indifferenz reducirte Stoff aller Töne und Klänge. — Es iſt nothwendig, wie auch in dem Verlauf der allgemeinen Philoſophie klar wird, daß die höchſte Verkörperung und Bindung der Intelligenz zugleich der Moment ihrer Befreiung iſt. In dem menſchlichen Orga- nismus iſt der höchſte Contraktionspunkt des Univerſum und der in ihm wohnenden Intelligenz. Aber eben im Menſchen auch bricht ſie zur Freiheit durch. Deßwegen erſcheint auch hier wieder Klang, Ton als Ausdruck des Unendlichen im Endlichen, aber als Ausdruck der vollendeten Einbildung — in der Sprache, die ſich zum bloßen Klang ebenſo verhält, wie ſich der dem Licht vermählte Stoff eines organiſchen Leibs zur allgemeinen Materie verhält.
Die Sprache für ſich ſelbſt nun iſt das Chaos, aus dem die Poeſie die Leiber ihrer Ideen bilden ſoll. Das poetiſche Kunſtwerk ſoll aber, wie jedes andere, ein Abſolutes im Beſondern, ein Univerſum, ein Weltkörper ſeyn. Dieß iſt nicht anders möglich als durch Abſonderung der Rede, worin das Kunſtwerk ſich ausdrückt, von der Totalität der Sprache. Aber dieſe Abſonderung einerſeits und die Abſolutheit anderer- ſeits iſt nicht möglich, ohne daß die Rede ihre eigne unabhängige Bewegung und eben deßwegen ihre Zeit in ſich ſelbſt habe, wie der Weltkörper; dadurch ſchließt ſie ſich von allem andern ab, indem ſie einer inneren Geſetz-
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im Seyn, und integrirt ſich doch von der andern durch ein Reales, ohne
daß er aufhörte ideal zu ſeyn. Insbeſondere das Verhältniß der Sprache
zum Klang überhaupt betreffend, erinnere ich Folgendes. Klang = reine
Einbildung des Unendlichen ins Endliche, als ſolche aufgefaßt. In der
Sprache iſt dieſe Einbildung vollendet, und es beginnt ſchon das Reich
der entgegengeſetzten Einheit. Die Sprache iſt daher gleichſam der po-
tenzirteſte, aus der Einbildung des Unendlichen ins Endliche entſprungene
Stoff. Die Materie iſt das ins Endliche eingegangene Wort Gottes.
Dieſes Wort, welches ſich im Klang noch durch lauter Differenzen (in der
Verſchiedenheit der Töne) zu erkennen gibt und anorgiſch iſt, alſo den
entſprechenden Leib noch nicht gefunden hat, findet ihn in der Sprache.
Wie in dem Fleiſch des menſchlichen Leibs ſich alle Differenzen der
Farben aufheben, und die höchſte Indifferenz aller entſteht, ſo iſt die
Rede der zur Indifferenz reducirte Stoff aller Töne und Klänge. — Es
iſt nothwendig, wie auch in dem Verlauf der allgemeinen Philoſophie
klar wird, daß die höchſte Verkörperung und Bindung der Intelligenz
zugleich der Moment ihrer Befreiung iſt. In dem menſchlichen Orga-
nismus iſt der höchſte Contraktionspunkt des Univerſum und der in
ihm wohnenden Intelligenz. Aber eben im Menſchen auch bricht ſie
zur Freiheit durch. Deßwegen erſcheint auch hier wieder Klang, Ton
als Ausdruck des Unendlichen im Endlichen, aber als Ausdruck der
vollendeten Einbildung — in der Sprache, die ſich zum bloßen Klang
ebenſo verhält, wie ſich der dem Licht vermählte Stoff eines organiſchen
Leibs zur allgemeinen Materie verhält.
Die Sprache für ſich ſelbſt nun iſt das Chaos, aus dem die Poeſie
die Leiber ihrer Ideen bilden ſoll. Das poetiſche Kunſtwerk ſoll aber,
wie jedes andere, ein Abſolutes im Beſondern, ein Univerſum, ein
Weltkörper ſeyn. Dieß iſt nicht anders möglich als durch Abſonderung
der Rede, worin das Kunſtwerk ſich ausdrückt, von der Totalität der
Sprache. Aber dieſe Abſonderung einerſeits und die Abſolutheit anderer-
ſeits iſt nicht möglich, ohne daß die Rede ihre eigne unabhängige Bewegung
und eben deßwegen ihre Zeit in ſich ſelbſt habe, wie der Weltkörper; dadurch
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 635. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/311>, abgerufen am 22.11.2024.
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