dagegen Sophokles die Kunst und Schönheit über die Theile seiner Werke gleichmäßig verbreitet, und jedem außer der Absolutheit in sich auch noch die Harmonie mit den andern gegeben. Wie aber in der plastischen Kunst die nach dem hohen und strengen Styl hervorgehende harmo- nische Schönheit eine Blüthe war, die gleichsam nur auf Einem Punkte erreicht werden konnte, und dann wieder welken, oder nach dem ent- gegengesetzten Ende der bloß sinnlichen Schönheit sich fortbilden mußte, so ist dasselbe auch in der dramatischen Kunst geschehen, in der Sophokles der wahre Gipfel ist, auf den gleich Euripides folgt, welcher weniger Priester der ungeborenen und ewigen, als Diener der zeitlichen und vergänglichen Schönheit ist.
Von dem Wesen der Komödie.
Es wurde gleich anfangs bemerkt, daß durch den allgemeinen Be- griff nicht bestimmt ist, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit sey, daß aber das ursprüngliche Verhältniß von Freiheit und Nothwendigkeit dasjenige ist, in welchem die Nothwendigkeit als das Objekt, die Freiheit als das Subjekt erscheint. Dieses Ver- hältniß aber ist das der Tragödie, und darum auch sie die erste und gleichsam positive Erscheinung des Drama. Durch die Umkehrung des Verhältnisses muß also diejenige Form entspringen, worin die Noth- wendigkeit oder Identität vielmehr das Subjekt, die Freiheit oder Differenz das Objekt ist, und dieß ist das Verhältniß der Komödie, wie aus folgenden Betrachtungen sich ergeben wird.
Jede Umkehrung eines nothwendigen und entschiedenen Verhältnisses setzt einen in die Augen fallenden Widerspruch, eine Ungereimtheit in dem Subjekt dieser Umkehrung. Gewisse Arten der Ungereimtheit sind nun unerträglicher Art, theils inwiefern sie theoretisch pervers und verderblich sind, theils inwiefern sie praktisch nachtheilig sind und ernst- liche Folgen haben. Allein in dem angenommenen Fall der Umkehrung wird 1) eine objektive, demnach nicht eigentlich theoretische Unge- reimtheit gesetzt, 2) ist das Verhältniß in derselben so, daß das Ob- jektive nicht die Nothwendigkeit, sondern die Differenz ist oder die Freiheit.
dagegen Sophokles die Kunſt und Schönheit über die Theile ſeiner Werke gleichmäßig verbreitet, und jedem außer der Abſolutheit in ſich auch noch die Harmonie mit den andern gegeben. Wie aber in der plaſtiſchen Kunſt die nach dem hohen und ſtrengen Styl hervorgehende harmo- niſche Schönheit eine Blüthe war, die gleichſam nur auf Einem Punkte erreicht werden konnte, und dann wieder welken, oder nach dem ent- gegengeſetzten Ende der bloß ſinnlichen Schönheit ſich fortbilden mußte, ſo iſt daſſelbe auch in der dramatiſchen Kunſt geſchehen, in der Sophokles der wahre Gipfel iſt, auf den gleich Euripides folgt, welcher weniger Prieſter der ungeborenen und ewigen, als Diener der zeitlichen und vergänglichen Schönheit iſt.
Von dem Weſen der Komödie.
Es wurde gleich anfangs bemerkt, daß durch den allgemeinen Be- griff nicht beſtimmt iſt, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher die Nothwendigkeit ſey, daß aber das urſprüngliche Verhältniß von Freiheit und Nothwendigkeit dasjenige iſt, in welchem die Nothwendigkeit als das Objekt, die Freiheit als das Subjekt erſcheint. Dieſes Ver- hältniß aber iſt das der Tragödie, und darum auch ſie die erſte und gleichſam poſitive Erſcheinung des Drama. Durch die Umkehrung des Verhältniſſes muß alſo diejenige Form entſpringen, worin die Noth- wendigkeit oder Identität vielmehr das Subjekt, die Freiheit oder Differenz das Objekt iſt, und dieß iſt das Verhältniß der Komödie, wie aus folgenden Betrachtungen ſich ergeben wird.
Jede Umkehrung eines nothwendigen und entſchiedenen Verhältniſſes ſetzt einen in die Augen fallenden Widerſpruch, eine Ungereimtheit in dem Subjekt dieſer Umkehrung. Gewiſſe Arten der Ungereimtheit ſind nun unerträglicher Art, theils inwiefern ſie theoretiſch pervers und verderblich ſind, theils inwiefern ſie praktiſch nachtheilig ſind und ernſt- liche Folgen haben. Allein in dem angenommenen Fall der Umkehrung wird 1) eine objektive, demnach nicht eigentlich theoretiſche Unge- reimtheit geſetzt, 2) iſt das Verhältniß in derſelben ſo, daß das Ob- jektive nicht die Nothwendigkeit, ſondern die Differenz iſt oder die Freiheit.
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dagegen Sophokles die Kunſt und Schönheit über die Theile ſeiner Werke
gleichmäßig verbreitet, und jedem außer der Abſolutheit in ſich auch
noch die Harmonie mit den andern gegeben. Wie aber in der plaſtiſchen
Kunſt die nach dem hohen und ſtrengen Styl hervorgehende harmo-
niſche Schönheit eine Blüthe war, die gleichſam nur auf Einem Punkte
erreicht werden konnte, und dann wieder welken, oder nach dem ent-
gegengeſetzten Ende der bloß ſinnlichen Schönheit ſich fortbilden mußte,
ſo iſt daſſelbe auch in der dramatiſchen Kunſt geſchehen, in der Sophokles
der wahre Gipfel iſt, auf den gleich Euripides folgt, welcher weniger
Prieſter der ungeborenen und ewigen, als Diener der zeitlichen und
vergänglichen Schönheit iſt.
Von dem Weſen der Komödie.
Es wurde gleich anfangs bemerkt, daß durch den allgemeinen Be-
griff nicht beſtimmt iſt, auf welcher Seite die Freiheit, und auf welcher
die Nothwendigkeit ſey, daß aber das urſprüngliche Verhältniß von
Freiheit und Nothwendigkeit dasjenige iſt, in welchem die Nothwendigkeit
als das Objekt, die Freiheit als das Subjekt erſcheint. Dieſes Ver-
hältniß aber iſt das der Tragödie, und darum auch ſie die erſte und
gleichſam poſitive Erſcheinung des Drama. Durch die Umkehrung des
Verhältniſſes muß alſo diejenige Form entſpringen, worin die Noth-
wendigkeit oder Identität vielmehr das Subjekt, die Freiheit oder
Differenz das Objekt iſt, und dieß iſt das Verhältniß der Komödie,
wie aus folgenden Betrachtungen ſich ergeben wird.
Jede Umkehrung eines nothwendigen und entſchiedenen Verhältniſſes
ſetzt einen in die Augen fallenden Widerſpruch, eine Ungereimtheit in
dem Subjekt dieſer Umkehrung. Gewiſſe Arten der Ungereimtheit ſind
nun unerträglicher Art, theils inwiefern ſie theoretiſch pervers und
verderblich ſind, theils inwiefern ſie praktiſch nachtheilig ſind und ernſt-
liche Folgen haben. Allein in dem angenommenen Fall der Umkehrung
wird 1) eine objektive, demnach nicht eigentlich theoretiſche Unge-
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jektive nicht die Nothwendigkeit, ſondern die Differenz iſt oder die Freiheit.
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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 711. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/387>, abgerufen am 22.11.2024.
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