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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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höchsten Erscheinung der Komödie bedarf es also nothwendig öffent-
licher
Charaktere, und damit das Maximum der Anschaulichkeit erreicht
werde, so müssen es wirkliche Personen von öffentlichem Charakter
seyn, die in der Komödie vorgestellt werden. In diesem Fall allein
ist dem Dichter so viel vorausgegeben, daß er nun ferner alles wagen
und den gegebenen Personen alle möglichen Erhöhungen der Züge ins
Komische leihen kann, weil er die beständige Beglaubigung an dem un-
abhängig von seiner Dichtung existirenden Charakter der Person zur
Begleitung hat. Das öffentliche Leben im Staat wird dem Dichter
hier zur Mythologie. Innerhalb dieser Grenze braucht er sich nichts
zu versagen, und je kecker er sein dichterisches Recht gebraucht, desto
mehr erhebt er sich wieder über die Begrenzung, da die Person in seiner
Behandlung gleichsam den persönlichen Charakter wieder ablegt und
allgemein-bedeutend oder symbolisch wird.

Die einzige höchste Art der Komödie ist also die alte griechische
oder die Aristophanische, sofern sie sich auf öffentliche Charaktere wirk-
licher Personen gründet und diese gleichsam zur Form nimmt, worein
sie ihre Erfindung ergießt.

Wie die griechische Tragödie in ihrer Vollkommenheit die höchste
Sittlichkeit verkündet und ausspricht, so die alte griechische Komödie
die höchste denkbare Freiheit im Staat, welche selbst die höchste Sitt-
lichkeit und mit dieser innig eins ist. Wenn uns auch von den drama-
tischen Werken der Griechen nichts geblieben wäre außer den Komödien
des Aristophanes, so würden wir doch aus diesen allein auf einen
Grad der Bildung und einen Zustand der sittlichen Begriffe schließen
müssen, der der modernen Welt nicht nur fremd, sondern sogar un-
faßlich ist. Aristophanes ist mit Sophokles dem Geiste nach wahrhaft
eins und er selbst; nur in der andern Gestalt, worin er allein noch
existiren konnte, als das vollkommene Zeitalter Athens vorbei und die
Blüthe der Sittlichkeit in Zügellosigkeit und üppige Schwelgerei über-
gegangen war. Beide sind wie zwei gleiche Seelen in verschiedenen
Leibern, und die sittliche und poetische Rohheit, die den Aristophanes
nicht begreift, vermag ja auch den Sophokles nicht zu fassen.

höchſten Erſcheinung der Komödie bedarf es alſo nothwendig öffent-
licher
Charaktere, und damit das Maximum der Anſchaulichkeit erreicht
werde, ſo müſſen es wirkliche Perſonen von öffentlichem Charakter
ſeyn, die in der Komödie vorgeſtellt werden. In dieſem Fall allein
iſt dem Dichter ſo viel vorausgegeben, daß er nun ferner alles wagen
und den gegebenen Perſonen alle möglichen Erhöhungen der Züge ins
Komiſche leihen kann, weil er die beſtändige Beglaubigung an dem un-
abhängig von ſeiner Dichtung exiſtirenden Charakter der Perſon zur
Begleitung hat. Das öffentliche Leben im Staat wird dem Dichter
hier zur Mythologie. Innerhalb dieſer Grenze braucht er ſich nichts
zu verſagen, und je kecker er ſein dichteriſches Recht gebraucht, deſto
mehr erhebt er ſich wieder über die Begrenzung, da die Perſon in ſeiner
Behandlung gleichſam den perſönlichen Charakter wieder ablegt und
allgemein-bedeutend oder ſymboliſch wird.

Die einzige höchſte Art der Komödie iſt alſo die alte griechiſche
oder die Ariſtophaniſche, ſofern ſie ſich auf öffentliche Charaktere wirk-
licher Perſonen gründet und dieſe gleichſam zur Form nimmt, worein
ſie ihre Erfindung ergießt.

Wie die griechiſche Tragödie in ihrer Vollkommenheit die höchſte
Sittlichkeit verkündet und ausſpricht, ſo die alte griechiſche Komödie
die höchſte denkbare Freiheit im Staat, welche ſelbſt die höchſte Sitt-
lichkeit und mit dieſer innig eins iſt. Wenn uns auch von den drama-
tiſchen Werken der Griechen nichts geblieben wäre außer den Komödien
des Ariſtophanes, ſo würden wir doch aus dieſen allein auf einen
Grad der Bildung und einen Zuſtand der ſittlichen Begriffe ſchließen
müſſen, der der modernen Welt nicht nur fremd, ſondern ſogar un-
faßlich iſt. Ariſtophanes iſt mit Sophokles dem Geiſte nach wahrhaft
eins und er ſelbſt; nur in der andern Geſtalt, worin er allein noch
exiſtiren konnte, als das vollkommene Zeitalter Athens vorbei und die
Blüthe der Sittlichkeit in Zügelloſigkeit und üppige Schwelgerei über-
gegangen war. Beide ſind wie zwei gleiche Seelen in verſchiedenen
Leibern, und die ſittliche und poetiſche Rohheit, die den Ariſtophanes
nicht begreift, vermag ja auch den Sophokles nicht zu faſſen.

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[714/0390] höchſten Erſcheinung der Komödie bedarf es alſo nothwendig öffent- licher Charaktere, und damit das Maximum der Anſchaulichkeit erreicht werde, ſo müſſen es wirkliche Perſonen von öffentlichem Charakter ſeyn, die in der Komödie vorgeſtellt werden. In dieſem Fall allein iſt dem Dichter ſo viel vorausgegeben, daß er nun ferner alles wagen und den gegebenen Perſonen alle möglichen Erhöhungen der Züge ins Komiſche leihen kann, weil er die beſtändige Beglaubigung an dem un- abhängig von ſeiner Dichtung exiſtirenden Charakter der Perſon zur Begleitung hat. Das öffentliche Leben im Staat wird dem Dichter hier zur Mythologie. Innerhalb dieſer Grenze braucht er ſich nichts zu verſagen, und je kecker er ſein dichteriſches Recht gebraucht, deſto mehr erhebt er ſich wieder über die Begrenzung, da die Perſon in ſeiner Behandlung gleichſam den perſönlichen Charakter wieder ablegt und allgemein-bedeutend oder ſymboliſch wird. Die einzige höchſte Art der Komödie iſt alſo die alte griechiſche oder die Ariſtophaniſche, ſofern ſie ſich auf öffentliche Charaktere wirk- licher Perſonen gründet und dieſe gleichſam zur Form nimmt, worein ſie ihre Erfindung ergießt. Wie die griechiſche Tragödie in ihrer Vollkommenheit die höchſte Sittlichkeit verkündet und ausſpricht, ſo die alte griechiſche Komödie die höchſte denkbare Freiheit im Staat, welche ſelbſt die höchſte Sitt- lichkeit und mit dieſer innig eins iſt. Wenn uns auch von den drama- tiſchen Werken der Griechen nichts geblieben wäre außer den Komödien des Ariſtophanes, ſo würden wir doch aus dieſen allein auf einen Grad der Bildung und einen Zuſtand der ſittlichen Begriffe ſchließen müſſen, der der modernen Welt nicht nur fremd, ſondern ſogar un- faßlich iſt. Ariſtophanes iſt mit Sophokles dem Geiſte nach wahrhaft eins und er ſelbſt; nur in der andern Geſtalt, worin er allein noch exiſtiren konnte, als das vollkommene Zeitalter Athens vorbei und die Blüthe der Sittlichkeit in Zügelloſigkeit und üppige Schwelgerei über- gegangen war. Beide ſind wie zwei gleiche Seelen in verſchiedenen Leibern, und die ſittliche und poetiſche Rohheit, die den Ariſtophanes nicht begreift, vermag ja auch den Sophokles nicht zu faſſen.

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/390>, abgerufen am 22.11.2024.