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Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.

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dem Aristophanes vorwirst, den Sokrates so entstellt und ihm Züge
und Handlungen geliehen zu haben, die zu seinem Charakter gar nicht
passen, ist sein Gedicht poetisch, anstatt daß es im entgegengesetzten
Fall nur gemein, grob oder Pasquill gewesen wäre.

Um seinen Erfindungen Glauben, Anschaulichkeit, Eingang zu ver-
schaffen, bedurfte Aristophanes eines berühmten Namens, auf den er
alle die Lächerlichkeiten häufen konnte. Daß er eben den Namen des
Sokrates wählte, davon war außer der Popularität, die dieser Name
hatte, ohne Zweifel der vorhin angegebene Grund der vorzüglichste.

Die Komödien des Aristophanes würden, ohne allgemeine Gründe,
hinreichend seyn zu beweisen, daß die Komödie in ihrer wahren Er-
scheinung durchaus nur die Frucht der höchsten Bildung sey, sowie daß
sie nur in einem freien Staat existiren kann. Unmittelbar nach der
Erscheinung der ersten Aristophanischen Dramen, die noch zu der alten
Komödie gehören, entstand in Athen die Herrschaft der dreißig Tyrannen,
welche durch ein Gesetz den komischen Dichtern untersagte, die Namen
wirklicher Personen auf die Bühne zu bringen. Von diesem Verbot an
hörte daher, wenigstens für eine Zeitlang, der Gebrauch der Komödien-
dichter auf ihre Personen nach wirklichen Menschen von öffentlichem
Charakter zu benennen. (Kecke Allegorien.) Sobald Athen wieder frei
war, stellte sich zwar der Gebrauch wieder her, so daß selbst in den
neuen Komödien Namen wirklicher Personen vorkommen, aber auch die
Dichter der sogenannten mittleren Komödie, wenn sie nicht wirkliche
Namen gebrauchten, stellten doch unter erdichteten Namen wahre Per-
sonen und wahre Begebenheiten dar.

Die Komödie ist ihrer Natur nach an das öffentliche Leben ge-
wiesen. Es gibt für sie keine Mythologie und keinen fixirten Kreis
ihrer Darstellungen, wie es für die Tragödie eine tragische Periode
gibt. Die Komödie muß sich also ihre Mythologie selbst aus dem Zeit-
alter und dem öffentlichen Zustand schaffen, wozu denn freilich ein solcher
politischer Zustand erfordert wird, der den Stoff nicht nur darbietet,
sondern auch den Gebrauch verstattet. Sobald daher die alte Komödie
die vorerwähnte Einschränkung erhielt, waren die Komödiendichter

dem Ariſtophanes vorwirſt, den Sokrates ſo entſtellt und ihm Züge
und Handlungen geliehen zu haben, die zu ſeinem Charakter gar nicht
paſſen, iſt ſein Gedicht poetiſch, anſtatt daß es im entgegengeſetzten
Fall nur gemein, grob oder Pasquill geweſen wäre.

Um ſeinen Erfindungen Glauben, Anſchaulichkeit, Eingang zu ver-
ſchaffen, bedurfte Ariſtophanes eines berühmten Namens, auf den er
alle die Lächerlichkeiten häufen konnte. Daß er eben den Namen des
Sokrates wählte, davon war außer der Popularität, die dieſer Name
hatte, ohne Zweifel der vorhin angegebene Grund der vorzüglichſte.

Die Komödien des Ariſtophanes würden, ohne allgemeine Gründe,
hinreichend ſeyn zu beweiſen, daß die Komödie in ihrer wahren Er-
ſcheinung durchaus nur die Frucht der höchſten Bildung ſey, ſowie daß
ſie nur in einem freien Staat exiſtiren kann. Unmittelbar nach der
Erſcheinung der erſten Ariſtophaniſchen Dramen, die noch zu der alten
Komödie gehören, entſtand in Athen die Herrſchaft der dreißig Tyrannen,
welche durch ein Geſetz den komiſchen Dichtern unterſagte, die Namen
wirklicher Perſonen auf die Bühne zu bringen. Von dieſem Verbot an
hörte daher, wenigſtens für eine Zeitlang, der Gebrauch der Komödien-
dichter auf ihre Perſonen nach wirklichen Menſchen von öffentlichem
Charakter zu benennen. (Kecke Allegorien.) Sobald Athen wieder frei
war, ſtellte ſich zwar der Gebrauch wieder her, ſo daß ſelbſt in den
neuen Komödien Namen wirklicher Perſonen vorkommen, aber auch die
Dichter der ſogenannten mittleren Komödie, wenn ſie nicht wirkliche
Namen gebrauchten, ſtellten doch unter erdichteten Namen wahre Per-
ſonen und wahre Begebenheiten dar.

Die Komödie iſt ihrer Natur nach an das öffentliche Leben ge-
wieſen. Es gibt für ſie keine Mythologie und keinen fixirten Kreis
ihrer Darſtellungen, wie es für die Tragödie eine tragiſche Periode
gibt. Die Komödie muß ſich alſo ihre Mythologie ſelbſt aus dem Zeit-
alter und dem öffentlichen Zuſtand ſchaffen, wozu denn freilich ein ſolcher
politiſcher Zuſtand erfordert wird, der den Stoff nicht nur darbietet,
ſondern auch den Gebrauch verſtattet. Sobald daher die alte Komödie
die vorerwähnte Einſchränkung erhielt, waren die Komödiendichter

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[716/0392] dem Ariſtophanes vorwirſt, den Sokrates ſo entſtellt und ihm Züge und Handlungen geliehen zu haben, die zu ſeinem Charakter gar nicht paſſen, iſt ſein Gedicht poetiſch, anſtatt daß es im entgegengeſetzten Fall nur gemein, grob oder Pasquill geweſen wäre. Um ſeinen Erfindungen Glauben, Anſchaulichkeit, Eingang zu ver- ſchaffen, bedurfte Ariſtophanes eines berühmten Namens, auf den er alle die Lächerlichkeiten häufen konnte. Daß er eben den Namen des Sokrates wählte, davon war außer der Popularität, die dieſer Name hatte, ohne Zweifel der vorhin angegebene Grund der vorzüglichſte. Die Komödien des Ariſtophanes würden, ohne allgemeine Gründe, hinreichend ſeyn zu beweiſen, daß die Komödie in ihrer wahren Er- ſcheinung durchaus nur die Frucht der höchſten Bildung ſey, ſowie daß ſie nur in einem freien Staat exiſtiren kann. Unmittelbar nach der Erſcheinung der erſten Ariſtophaniſchen Dramen, die noch zu der alten Komödie gehören, entſtand in Athen die Herrſchaft der dreißig Tyrannen, welche durch ein Geſetz den komiſchen Dichtern unterſagte, die Namen wirklicher Perſonen auf die Bühne zu bringen. Von dieſem Verbot an hörte daher, wenigſtens für eine Zeitlang, der Gebrauch der Komödien- dichter auf ihre Perſonen nach wirklichen Menſchen von öffentlichem Charakter zu benennen. (Kecke Allegorien.) Sobald Athen wieder frei war, ſtellte ſich zwar der Gebrauch wieder her, ſo daß ſelbſt in den neuen Komödien Namen wirklicher Perſonen vorkommen, aber auch die Dichter der ſogenannten mittleren Komödie, wenn ſie nicht wirkliche Namen gebrauchten, ſtellten doch unter erdichteten Namen wahre Per- ſonen und wahre Begebenheiten dar. Die Komödie iſt ihrer Natur nach an das öffentliche Leben ge- wieſen. Es gibt für ſie keine Mythologie und keinen fixirten Kreis ihrer Darſtellungen, wie es für die Tragödie eine tragiſche Periode gibt. Die Komödie muß ſich alſo ihre Mythologie ſelbſt aus dem Zeit- alter und dem öffentlichen Zuſtand ſchaffen, wozu denn freilich ein ſolcher politiſcher Zuſtand erfordert wird, der den Stoff nicht nur darbietet, ſondern auch den Gebrauch verſtattet. Sobald daher die alte Komödie die vorerwähnte Einſchränkung erhielt, waren die Komödiendichter

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Zitationshilfe: Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859, S. 716. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schelling_kunst_1859/392>, abgerufen am 22.11.2024.