Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von: Philosophie der Kunst (in: Sämtliche Werke. Abt. 1, Bd. 5). Stuttgart, 1859.Eine sanftere, ja die mildeste Nemesis ist im Julius Cäsar. Brutus Der Unterschied dieser Nemesis von dem wahren Schicksal ist Im Cyclus der griechischen Darstellungen herrschte ebenfalls eine Alle tragischen Mythen der Griechen gehörten schon von Anbeginn Wenn wir nach diesem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was Eine ſanftere, ja die mildeſte Nemeſis iſt im Julius Cäſar. Brutus Der Unterſchied dieſer Nemeſis von dem wahren Schickſal iſt Im Cyclus der griechiſchen Darſtellungen herrſchte ebenfalls eine Alle tragiſchen Mythen der Griechen gehörten ſchon von Anbeginn Wenn wir nach dieſem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0398" n="722"/> <p>Eine ſanftere, ja die mildeſte Nemeſis iſt im Julius Cäſar. Brutus<lb/> geht nicht ſowohl zu Grunde durch ſtrafende Mächte als durch die<lb/> eigne Milde des ſchönſten und zarteſten Gemüths, das ihn nach der<lb/> That falſche Maßregeln ergreifen ließ. Er hatte der Tugend das Opfer<lb/> ſeiner That gebracht, das er ihr bringen zu müſſen glaubte, und bringt<lb/> ebenſo ihr ſich ſelbſt dar.</p><lb/> <p>Der Unterſchied dieſer Nemeſis von dem wahren <hi rendition="#g">Schickſal</hi> iſt<lb/> indeß ſehr bedeutend. Sie kommt aus der wirklichen Welt und liegt<lb/> in der <hi rendition="#g">Wirklichkeit</hi>; es iſt die Nemeſis, die auch in der Geſchichte<lb/> waltet, und Shakeſpeare hat ſie, wie ſeinen ganzen Stoff, auch in<lb/><hi rendition="#g">dieſer</hi> aufgefunden. Es iſt <hi rendition="#g">Freiheit mit Freiheit</hi> ſtreitend, was<lb/> ſie herbeiführt; es iſt <hi rendition="#g">Succeſſion</hi>, und die Rache iſt nicht mit dem<lb/> Verbrechen unmittelbar eins.</p><lb/> <p>Im Cyclus der griechiſchen Darſtellungen herrſchte ebenfalls eine<lb/> Nemeſis, aber hier begrenzte und beſtrafte ſich Nothwendigkeit unmittel-<lb/> bar durch Nothwendigkeit, und jede Lage für ſich herausgenommen war<lb/> eine beſchloſſene Handlung.</p><lb/> <p>Alle tragiſchen Mythen der Griechen gehörten ſchon von Anbeginn<lb/> an mehr der Kunſt an, und ein beſtändiger Verkehr der Götter und<lb/> Menſchen wie des Schickſals war in ihnen einheimiſch, alſo auch der<lb/> Begriff eines unwiderſtehlichen Einfluſſes. Vielleicht ſpielt ſelbſt der <hi rendition="#g">Zu-<lb/> fall</hi> in dem unergründlichſten der Shakeſpeareſchen Stücke (Hamlet) eine<lb/> Rolle, aber Shakeſpeare hat ihn ſelbſt <hi rendition="#g">mit</hi> ſeinen Folgen erkannt, und<lb/> er iſt daher wieder Abſicht bei ihm und wird zum höchſten Verſtande.</p><lb/> <p>Wenn wir nach dieſem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was<lb/> Shakeſpeare in Bezug auf die Hoheit der alten Tragödie iſt, ſo werden<lb/> wir ihn den größten Erfinder im <hi rendition="#g">Charakteriſtiſchen</hi> nennen müſſen.<lb/> Er kann nicht jene hohe, im Schickſal ſich bewährende, gleichſam geläu-<lb/> terte und verklärte Schönheit, die mit der ſittlichen Güte in Eins fließt,<lb/> — und auch diejenige Schönheit, die er darſtellt, nicht ſo darſtellen,<lb/> daß ſie <hi rendition="#g">im Ganzen</hi> erſchiene, und das Ganze jedes Werks ihr Bild<lb/> trüge. Er <hi rendition="#g">kennt</hi> die höchſte Schönheit nur als einzelnen Charakter.<lb/> Er hat ihr nicht alles unterordnen können, weil er als Moderner, <hi rendition="#g">als</hi><lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [722/0398]
Eine ſanftere, ja die mildeſte Nemeſis iſt im Julius Cäſar. Brutus
geht nicht ſowohl zu Grunde durch ſtrafende Mächte als durch die
eigne Milde des ſchönſten und zarteſten Gemüths, das ihn nach der
That falſche Maßregeln ergreifen ließ. Er hatte der Tugend das Opfer
ſeiner That gebracht, das er ihr bringen zu müſſen glaubte, und bringt
ebenſo ihr ſich ſelbſt dar.
Der Unterſchied dieſer Nemeſis von dem wahren Schickſal iſt
indeß ſehr bedeutend. Sie kommt aus der wirklichen Welt und liegt
in der Wirklichkeit; es iſt die Nemeſis, die auch in der Geſchichte
waltet, und Shakeſpeare hat ſie, wie ſeinen ganzen Stoff, auch in
dieſer aufgefunden. Es iſt Freiheit mit Freiheit ſtreitend, was
ſie herbeiführt; es iſt Succeſſion, und die Rache iſt nicht mit dem
Verbrechen unmittelbar eins.
Im Cyclus der griechiſchen Darſtellungen herrſchte ebenfalls eine
Nemeſis, aber hier begrenzte und beſtrafte ſich Nothwendigkeit unmittel-
bar durch Nothwendigkeit, und jede Lage für ſich herausgenommen war
eine beſchloſſene Handlung.
Alle tragiſchen Mythen der Griechen gehörten ſchon von Anbeginn
an mehr der Kunſt an, und ein beſtändiger Verkehr der Götter und
Menſchen wie des Schickſals war in ihnen einheimiſch, alſo auch der
Begriff eines unwiderſtehlichen Einfluſſes. Vielleicht ſpielt ſelbſt der Zu-
fall in dem unergründlichſten der Shakeſpeareſchen Stücke (Hamlet) eine
Rolle, aber Shakeſpeare hat ihn ſelbſt mit ſeinen Folgen erkannt, und
er iſt daher wieder Abſicht bei ihm und wird zum höchſten Verſtande.
Wenn wir nach dieſem mit Einem Wort ausdrücken wollen, was
Shakeſpeare in Bezug auf die Hoheit der alten Tragödie iſt, ſo werden
wir ihn den größten Erfinder im Charakteriſtiſchen nennen müſſen.
Er kann nicht jene hohe, im Schickſal ſich bewährende, gleichſam geläu-
terte und verklärte Schönheit, die mit der ſittlichen Güte in Eins fließt,
— und auch diejenige Schönheit, die er darſtellt, nicht ſo darſtellen,
daß ſie im Ganzen erſchiene, und das Ganze jedes Werks ihr Bild
trüge. Er kennt die höchſte Schönheit nur als einzelnen Charakter.
Er hat ihr nicht alles unterordnen können, weil er als Moderner, als
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